Die dünne Frau. Dorothy Cannell

Die dünne Frau - Dorothy  Cannell


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war der Mann, dessen Leben kurz das meine berühren würde.

      »Fahren Sie nicht in ein paar Tagen zu einer Konferenz?«, fragte ich, denn mir fiel plötzlich auf, wie spät es war. Seit zwei Stunden saß ich in diesem Zimmer.

      »Das Mädel ist unfähig, die Wahrheit zu sagen, selbst wenn ihr Leben davon abhinge. Konferenz! Hört sich großartig an, was? In Wirklichkeit besuche ich ein paar Tage meine Enkelkinder. Aber vor dem Vergnügen kommt die Pflicht. Bevor ich irgendwohin fahre, werde ich diesen Mann für Sie finden.«

      Wir erhoben unsere Kaffeetassen und tranken auf Mr. Tadellos, egal, wo er war.

      In der Woche nach meinem Besuch bei der Kultivierten Herrenbegleitung versuchte ich mich damit zu trösten, dass keine Neuigkeiten gute Neuigkeiten sind, aber selbst in meinen Ohren hatte der Spruch einen falschen Klang. Entweder war Mrs. Swabucher übertrieben wählerisch oder ihre Suchexpedition war kläglich gescheitert. Ich hatte ihr Jills Nummer gegeben, denn mein eigenes Telefon, das einem Trappistenkloster Ehre gemacht hätte, war längst abgeschafft. Jedes Mal, wenn ich Jills Schritte auf der Treppe hörte, hielt ich die Luft an, bis ich Sternchen sah. Meistens kam sie nur rauf, um sich von mir ein Ei zu borgen. Ihre neueste Masche war, eins in Salzwasser zu verrühren und damit um Mitternacht zu gurgeln. Ansonsten berichtete sie nur von drei obszönen Anrufen einer Dame aus dem vornehmen Knightsbridge, die Jill für ihren Zeitungsjungen hielt. Am Mittwoch endlich rief sie mich herunter und drückte mir den Hörer in die Hand. Er klinge traumhaft! Falscher Alarm, es war nicht er, sondern nur Mr. Green von der Reinigung an der Ecke, der mir überglücklich verkündete, er habe den Gürtel von meinem blauweiß gepunkteten Seidenkleid gefunden. Ich war drauf und dran, ihm zu sagen, er solle ihn als Wäscheleine behalten, aber er war ein freundliches Männlein und pflegte eine alte Mutter.

      Der Samstag kam herauf und Jill bestand auf einem Einkaufsbummel. Ich müsse unbedingt neu eingekleidet werden für das Wochenende. All mein Jammern, sobald ich den Rücken drehte, werde er anrufen, half nichts und so trottete ich hinter ihr her nach Soho in eine schmuddelige Boutique. Die Besitzerin, eine Schlampe mit verfilztem schulterlangem Haar und einem tätowierten kopflosen Huhn auf dem linken Unterarm, begrüßte uns überschwänglich. Sie, Serena, werde mich verwandeln! Fragte sich nur, in was. Trotz passiven Widerstandes wurde mir ein bodenlanger purpurroter Seidenkaftan aufgezwungen, dessen Ausschnitt mit Perlenstickerei prunkte, während Ärmel und Saum von Goldborte glänzten. Serena und Jill behaupteten, ich sähe märchenhaft aus. Ich hätte es anders ausgedrückt: der Schrecken Arabiens. Aber ein Quäntchen Rückgrat bewahrte ich und verweigerte die Schnabelpantoffeln aus Goldbrokat.

      »Was gluckert denn da so?«, fragte ich, als wir endlich Jills Tür erreicht hatten, völlig durchnässt, denn auf dem Weg von der U-Bahn hatte uns ein Wolkenbruch überrascht. »Hört sich an wie Tobias. Er ist irgendwo eingesperrt. Er erstickt!« Sie nahm ihren Schlüssel raus. »Das ist nicht Tobias. Du weißt ja, wie Miss Renshaw im Souterrain sich aufregt, wenn den ganzen Tag das Telefon klingelt und keiner rangeht. Deshalb schieb ich’s immer, wenn ich länger weg bin, unter den Sitzsack.«

      Ihre Hand verharrte vor dem Türschloss. Wir blickten uns an. »Das Telefon!«, kreischten wir im Chor. »Es klingelt!«

      Ich grapschte nach dem Schlüssel. Jill ließ ihn fallen und mit leisem, metallischem Klackern trudelte er über das dunkle Linoleum. »Rindvieh«, sagten wir gleichzeitig. Auf allen vieren krabbelten wir im Kreis herum, in unserer Panik prallten wir aufeinander.

      »Zu spät!«, schrie Jill.

      »Ist er in eine Spalte gerutscht?«

      »Nein, du Trampel! Das Telefon hat aufgehört. Ah! Hab ihn!« Sie hielt den Schlüssel so weit wie möglich von mir weg und verbot mir, mich zu rühren, bevor sie die Tür aufgeschlossen hatte.

      »Soll ich vielleicht ewig hier kauern? Ich kriege einen Krampf in den Knien.«

      Jill knurrte nur kurz, als ich mich aufrappelte und ihr in die Wohnung folgte. Da standen wir nun in unseren tropfnassen Mänteln traurig mitten im Zimmer; das Telefon hockte da und sagte keinen Ton.

      »Klingle, du schwarze Kröte«, befahl ich und es gehorchte.

      »Geh du ran.« Jill schälte sich aus ihrem Mantel. »Und wenn das wieder diese Labortante ist und fragt, ob ich meinen Körper für Versuchszwecke spende, sag ihr, geben tu’ ich nur im Leben.«

      »Riverbridge 6890«, krächzte ich. Wie kann einer Frau mit siebenundzwanzig schon die Stimme brechen?

      »Ellie Simons?«, kam es vorwurfsvoll vom anderen Ende.

      »Em, äh, was, ah, wer …?«

      »Bentley Haskell. Den ganzen Vormittag versuche ich, Sie telefonisch zu erreichen. Ich habe Mrs. Swabucher im Büro so verstanden, dass es sich um eine Art Notfall handelt. Sollten Sie inzwischen anders disponiert haben, wäre mir das durchaus recht, allerdings weiß ich bei diesen Aufträgen gern, woran ich bin.«

      »Ja, natürlich! Ich kann Sie vollkommen verstehen.« Vor lauter Schreck ließ ich den Hörer fallen, er polterte zu Boden.

      Jill hockte auf einem Stuhl neben meinem linken Ohr. »Hör auf zu katzbuckeln.«

      »Sst.« Ich entriss ihr die Schnur und sprach ins Mundstück. »Keine Sorge, mir ist nur das Telefon runtergefallen, nicht das Gebiss.«

      Ungeduldiges Atmen kam durch den Draht. »Miss Simons, ich nehme pro Monat nur wenige Aufträge an. Die Begleitung alleinstehender Damen ist nicht mein Hauptberuf, deshalb trachte ich, meinen Terminplan so weit wie möglich im Voraus aufzustellen. Um welche Zeitspanne handelt es sich bitte, und wann?«

      »Wann?«, echote ich. »Ich dachte, Mrs. Swabucher hätte Ihnen – einen Moment bitte. Sie müssen vielmals entschuldigen. Ich weiß, ich hab die Einladung hier irgendwo in meiner Handtasche. Sie wollen die Daten wissen?«

      »Leiden Sie an Gedächtnisschwund, Miss Simons?«

      »Wie witzig, Mr. äh …!« Ich kicherte wie ein blondes Doppeldummchen. »Ich mag Männer – Leute – mit Sinn für Humor.«

      Ich hielt die Hand über den Hörer und zischte Jill verzweifelt zu: »Wann fahre ich?«

      Sie schloss schmerzlich berührt die Augen. »An was erinnern dich schwarze Katzen und Spinnen am Morgen? Freitag, der dreizehnte! Und hör auf, so zu winseln, das ist menschenunwürdig.«

      Jill hatte recht. Schluss mit dem Unsinn! Ich reckte die Schultern und ahmte meinen Bankberater nach, wenn er mir klarmacht, dass er meine Schecks mit einer Hand platzen lassen kann. »Mr. Hammond, ich habe alle Informationen parat. Die Daten sind dreizehnter bis fünfzehnter Februar.«

      »Haskell. Bentley T. Haskell. Wie ich von unserer gemeinsamen Bekannten Mrs. Swabucher erfahre, ist Ihre Situation etwas ungewöhnlich und Sie suchen mehr als lediglich einen Begleiter. Ich soll mich als der getreue Lebengefährte ausgeben?«

      »Kostet das extra? Kein Problem. Sie können das Geld in bar haben, wenn Sie wollen.«

      »Vielen Dank, und zwar in nicht registrierten Scheinen, wenn’s geht.«

      Komischer Mensch. Verachtete er seine Arbeit, fand er sie erniedrigend? Er klang in Eile, sich rasch wieder einem Zeitvertreib zuzuwenden, wie er kultivierten Herren ansteht.

      »Sollen wir uns treffen, bevor wir losfahren?«, fragte er. »Dann können Sie mich über die Einzelheiten ins Bild setzen.«

      »Nein, das wird nicht nötig sein.« Ich sah keine Veranlassung, diesem ohnehin feindseligen Herrn einen Grund zu liefern, sich zu drücken. Mrs. Swabuchers barmherzige Beschreibung von mir mochte von der Wirklichkeit abweichen. »Wenn Sie mir Ihre Adresse geben, Mr. Haskell, schicke ich Ihnen den Terminplan – Abfahrtszeit, Reiseziel usw.«

      »Vielen Dank, aber richten Sie alle Korrespondenz an das Büro. Meine Privatadresse gebe ich Klienten nicht.«

      Hatte der Mann Angst, ich könnte in einer stürmischen Nacht auf seiner Türschwelle


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