Lehren und Lernen auf der Sekundarstufe II (E-Book). Группа авторов

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und nützliche Schulbüchlein, 1798, S. 131). Genauer heißt es:

      «Wenn ein Volk frei bleiben will, muss es sorgen in allen nüzlichen Dingen wohl unterrichtet zu werden. Der dumme und unwissende Mensch ist immer der Sklav des Klugen. Alle Gemeinden haben daher gottesfürchtige und gelehrte Kirchen- und Schuldiener. Jedes Dorf hat eine wohlversehene Schule, zum Unterricht im Schreiben, Lesen, Rechnen, Religion und Vaterlandsbeschaffenheit. – Im Lande sind mehrere hohe Schulen, um allerlei fremde Sprachen und höhere Wissenschaften zu erlernen.» (Ebd., S. 134)

      Die politischen Gemeinden unterhalten öffentliche Schulen, die auch, aber nicht ausschließlich und auch nicht überwiegend Religion lehren und die ihre wesentliche Aufgabe darin haben, für den Anstieg der Volksbildung insgesamt zu sorgen. Ignoranz und Unwissen sind die Feinde der politischen Freiheit, soll man verstehen, also muss Religion als Wissensfach unterrichtet oder müssen Katechismus und öffentlicher Unterricht getrennt werden.

      Die Unterordnung der Geistlichen unter das Gesetz des «öffentlichen Unterrichts» (Stapfer, 1800, S. 11) war eines der großen Probleme der Helvetik. Kirche und Staat sollten je getrennte Erziehungsaufgaben erhalten, die «Nationalerziehung» und der «öffentliche Unterricht» sollten staatliche Angelegenheiten werden, die Kirche sollte sich auf «religiösen Unterricht» und «kirchliche Unterweisung» beschränken (ebd., S. 13f.). Das ist tatsächlich so durchgesetzt worden, nicht frei von Friktionen und mit dem Kompromiss, dass Religion in der staatlichen Volksschule als Glaubensfach unterrichtet werden konnte.

      Mit dem Aufbau der kantonalen Volksschulen war die Schweiz im 19. Jahrhundert offen für Lehrkräfte und Pädagogen aus dem Ausland. Auch dieser Transfer in die Schweiz hinein ist kaum beachtet worden. So ist wenig bekannt, dass Friedrich Fröbel, der Gründer des Kindergartens, mehr als sechs Jahre beruflich in der Schweiz verbracht hat, allerdings nur mit mäßigem Erfolg (Bericht, 1833). Das gilt auch für seinen kurzen Einsatz in der bernischen Lehrerbildung.

      Mehr Erfolg dagegen hatte der württembergische Blindenlehrer Ignaz Thomas Scherr, der im Kanton Zürich die Volksschule mit aufgebaut und die Lehrerbildung entwickelt hat. Allerdings fiel er nach mutigen Reformen und wegweisenden Initiativen in Ungnade und wurde im Zuge des Straußenhandels nach dem «Züriputsch» vom 6. September 1839 entlassen. Gründe waren seine liberale Auffassung vom Christentum und sein Einsatz für ein Verbot der Kinder-Nachtarbeit.

      Scherr war nach seiner Heirat mit Anna Lattmann aus Zürich naturalisiert, trug also kein deutsches Risiko. Und er tat nach dem Rauswurf das Naheliegende, er wechselte den Kanton. Scherr wurde 1849 Verfassungsrat des Kantons Thurgau und war dort auch einige Jahre im Erziehungsrat tätig. In Zürich erschien eine Würdigung des «Schulreformators» (Bänninger, 1871), allerdings wartete man damit bis nach seinem Tod.

      Im Anschluss an die gescheiterte Revolution 1848/49 kamen zahlreiche deutsche Emigranten in die Schweiz, darunter auch viele demokratisch gesinnte Lehrer. Für manche von ihnen war die Schweiz nur eine Zwischenstation auf dem Weg in die Vereinigten Staaten; diejenigen aber, die in der Schweiz blieben, trugen maßgeblich zum Aufbau der Volksschule bei.

      Die eigentliche Geschichte der schweizerischen Pädagogik hat primär mit dem Aufbau kantonaler Volksschulen zu tun. Das Projekt einer nationalen Volksschule, das Stapfer für die Helvetik entwickelt hat, scheiterte nach deren Untergang 1803. Die Idee der Volksschule wurde gleichwohl weiterverfolgt, nur diesmal mit kantonalen Gründungen. Volksschulgesetze im Aargau, in Basel, im Thurgau oder auch im Kanton Zürich zeigen die Richtung an.

      Bereits in der helvetischen Gesellschaft wurde die Maxime «Volksherrschaft ist Volksbildung» diskutiert. Die Eliten in der Schweiz waren sich darüber im Klaren, dass die Etablierung einer demokratischen Verfassung nur mit dem Aufbau der Volksbildung möglich und sinnvoll war. Bis zur Französischen Revolution waren dabei die Schriften von Condorcet eine maßgebende Größe, während sich die Kritiker der Volksschule auf Rousseau und Pestalozzi beziehen konnten.

      Am 28. September 1832 wurde das «Gesetz über die Organisation des gesammten Unterrichtswesens im Canton Zürich» erlassen, also mit heutigen Worten das erste Volksschulgesetz der Schweiz und wohl auch das erste Gesetz im deutschen Sprachraum, das den Begriff «Volksschule» positiv verwendet. Das erste basellandschaftliche Schulgesetz wurde erst 1835 vom Volk angenommen.12

      Das «gemeine Volk» war noch im 18. Jahrhundert ein anderer Ausdruck für «Pöbel», während der Gesetzgeber in Zürich nunmehr eine integrative Schule für das Volk vorsah, deren Zweckparagraph unmissverständlich so formuliert war:

      «Die Volksschule soll die Kinder aller Volksclassen nach übereinstimmenden Grundsätzen zu geistig thätigen, bürgerlich brauchbaren und sittlich religiösen Menschen bilden.» (Gesetz, 1832, S. 313)

      Die Einrichtung der Volksschule war gleichbedeutend mit der Absage an jede Form von Standesschule, wie sie im europäischen Umfeld zu diesem Zeitpunkt noch völlig selbstverständlich war. Das Gesetz unterschied grundsätzlich zwischen der allgemeinen und der höheren Volksschule; die erste sollte als Ortsschule geführt werden, drei Abteilungen umfassen und vom sechsten bis zum fünfzehnten Altersjahr reichen, allerdings in der dritten Abteilung nur der Repetition dienen (ebd., S. 347).

      Die allgemeinen Volksschulen haben die Aufgabe, «der gesammten Schuljugend diejenigen Kenntnisse und Fertigkeiten mitzutheilen», die zur Erfüllung des «Zwecks der Schulbildung unerlässlich sind» (ebd., S. 313). «Höhere» Volksschulen waren die heutigen Sekundarklassen, die noch nicht obligatorisch waren.

      Was unter den notwendigen Kenntnissen und Fertigkeiten zu verstehen ist, wird auf eine heute unvorstellbar kurze Weise festgelegt, nämlich durch eine Aufzählung von vier Lehrbereichen auf nur einer Seite.

      –Unterschieden werden die Elementarbildung in den Bereichen Sprache, Rechnen und Musik,

      –die Realbildung in Fächern einschließlich Unterricht in der «Staatseinrichtung»,

      –weiter die Kunstbildung im Singen, Zeichnen und Schönschreiben

      –sowie schließlich die Religionsbildung mit «biblischer Geschichte im Auszug» und «Vorbereitung auf den kirchlichen Religionsunterricht» (ebd., S. 313f.).

      Das Gesetz von 1832 sah unabhängige und selbstständige Lehrkräfte vor (ebd., S. 326), die verantwortlich für den Unterrichtserfolg waren und dafür Spielraum benötigen. Sie sollten nicht an den Buchstaben des Lehrplans, sondern an der Erreichung des Zweckes gemessen werden.

      Das erste Zürcher Volksschulgesetz enthält auch noch andere Regelungen, die aus heutiger Sicht erstaunlich sind,

      –etwa jährliche öffentliche Prüfungen aller Schülerinnen und Schüler (Gesetz, 1832, S. 321),

      –gesetzliche Ferien von mindestens vier und höchstens acht Wochen (ebd., S. 323),

      –Verpflichtung der «Schüler der obern Classen» zur Aushilfe beim «Lehrgeschäft» (ebd.),

      –Akzeptanz von Schulversäumnissen nur bei alsbaldiger Entschuldigung und dem Vorliegen «erheblicher Gründe» (ebd., S. 324f.),

      –die Verpflichtung der Lehrerschaft zur Fortbildung (ebd., S. 331),

      –dann weiter Schulsteuern und schließlich eine «Hochzeitgabe, welche jedes Brautpaar im Betrag von wenigstens zwey Franken an den Schulfonds seiner Bürgergemeinde zu entrichten hat» (ebd., S. 338f.).

      Dagegen machte das Gesetz keinerlei Aussagen oder auch nur Andeutungen über das, was heute vordringlich zu sein scheint, nämlich die Individualisierung des Lernens, die Förderung von sehr unterschiedlichen Talenten und die Integration von Schülerinnen und Schüler mit verschiedener sozialer Herkunft. Das ist leicht zu erklären, es gab für solche Stichworte keinen Anlass, weil die Gesellschaft wohl verschiedene Klassen kannte, aber das Umfeld der einzelnen Schulen sowohl in sozialer als auch in religiöser Hinsicht weitgehend homogen war.

      Entsprechend homogen war auch die Vorstellung des Lehrens und Lernens, von der sich das Gesetz seinerzeit leiten ließ. Die Grundanforderung an den Unterricht wird so beschrieben:

      «Die Lehrweise muss so beschaffen seyn, dass sie, indem die Schüler in schnellem


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