Lehren und Lernen auf der Sekundarstufe II (E-Book). Группа авторов

Lehren und Lernen auf der Sekundarstufe II (E-Book) - Группа авторов


Скачать книгу
Das hat Folgen für das Führen dieser Supertanker. Und das hat natürlich Folgen für die Kommunikation – nach außen wie nach innen –, die nun vor sich hinwuchert. Wohl deshalb erschallt jetzt der Ruf, man benötige strategische Kommunikation. Strategische Kommunikation als Rettungsanker? Wohl kaum. Mit Kommunikation kann man die entstandenen organisationalen Herausforderungen natürlich nicht lösen. Die Frage ist: Was eigentlich will die Universität sein? Was ist ihr Kerngeschäft? Wie will sie verfasst sein?

      Das vormalige dreigeteilte Organisationssystem – Forschung, Lehre, Verwaltung – steht auf dem Prüfstand. Universitäten als kollegiale Interessengemeinschaften mit einem hohen Grad an Autonomie wie Selbstbestimmung, so über Organisationsformen wie Führungspersonen und -prozesse, eben mit Fakultäten und Dekanen auf Zeit usw., werden hinterfragt. Die bislang vorherrschenden hochgradig informellen Abstimmungs- und sogar Entscheidungsformen, ein Modus aus der Wissenschaftlerinnen- wie Wissenschaftlerkultur, werden mehr und mehr formalisiert und mit wirksamen Autoritätsstrukturen hinterlegt.20 Nun gibt es den Dienstweg wirklich.

      Durch Leistungs- und Zielvereinbarungen werden spezifische Hierarchiestrukturen eingezogen. Funktions- und Leistungsbereiche werden definiert, ob durch wettbewerbliche Gewinne oder interne Entscheidungen. Leistungs- wie Zielerreichung will überprüft, muss dokumentiert, muss kommunizierbar sein. Der Prozess der Organisationswerdung ist sicher noch offen, aber die Universitäten sind auf dem Weg dorthin. Aber es ist wie in der ganzen Gesellschaft, die Uwe Schimank zu Recht als eine Organisationsgesellschaft begreift: Wir wollen durch Organisationen stabilisieren, Umweltkontrolle erlangen, soziale Gewissheiten schaffen und etablieren deshalb Strukturen. Die Universitäten als Organisation müssen dann aber, was alle Organisationen müssen: Sie haben Leistungen zu definieren und zu erbringen, sie müssen liefern.

      Warum aber kommt es zu diesem Organisationswerdungsprozess? Warum bildet sich die Universität zu einem multireferenziellen Sozialsystem aus – wenn doch niemand dieses Ziel explizit verfolgt hat?

      3Folgen der segmentären Differenzierung als Herausforderung für die Hochschulen

      Das führt zu einer zentralen, der dritten These: Die Universitäten haben nicht nur auf externe wie interne Anforderungen reagiert, sondern sie sind mit den Folgen der segmentären Differenzierung konfrontiert. Segmentäre Differenzierung bedeutet: Individualisierung, Wertepluralismus, Wahlhandlungen, Wechselverhalten, Streit um Wissen (vgl. Reckwitz, 2017). Den Folgen der segmentären Differenzierung sind die Universitäten hinter ihren eigenen Mauern ebenso ausgesetzt wie durch gesellschaftliche Anfragen. Die soziale Vielfalt wird intern wie extern größer. Für die Organisation Universität steigt damit die interne und die gesellschaftliche Umweltkomplexität zugleich stark an.

      Externe Umwelt: Die Notwendigkeit von vielfältigen, direkten wie indirekten, Austauschbeziehungen nimmt zu. Die Anforderungen an Hochschulen kommen nicht mehr allein von der (institutionellen) Politik, sondern direkt aus der Gesellschaft. Und weitere gesellschaftliche Anforderungen werden wiederum auch über die Politik herangetragen. Die Legitimation der aus Steuermitteln finanzierten Hochschulen bleibt zwar direkt von politischen Akteuren und deren Entscheidungen abhängig, aber diese bedürfen für das Investment mehr und mehr der gesellschaftlichen Zustimmung. So auch bei gesellschaftlich wenig etablierten Akteuren.

      In der hoch differenzierten, pluralistischen, dynamischen Gesellschaft aber sind die Erwartungen an Hochschulen vielfältig, vor allem aber sind sie widersprüchlich. Und sie werden direkt adressiert, an Forscherinnen wie Forscher, an Institute. Der etablierte Kommunikationsweg zwischen der institutionellen Politik («dem Ministerium») und der Hochschulleitung («dem Rektorat») wird um weitere Austauschwege erweitert. Bedürfen diese Kommunikationswege einer Regelung (Dienstweg)?

      Auf diese vielfältigen, sich schnell wandelnden wie widersprüchlichen Anforderungen haben Universitäten organisational wie kommunikativ eher unbewusst denn bewusst reagiert: zuerst mit vielen neuen Angeboten und Formen der direkten Ansprache, also dem Einbezug von Zielgruppen, sodann mit individualisierten Partizipationsangeboten (Open Science). Im Ergebnis heißt das: Die Universität wird zunehmend vergesellschaftet (vgl. Loprieno, 2016).21

      Die segmentäre Differenzierung hat Wertevielfalt wie -streit, soziale wie kulturelle Pluralität und ein steigendes Maß an Individualismus zur Folge. Alle dominanten Intermediäre haben an Bündelungsfähigkeit wie an Aggregations- und Durchsetzungsmacht verloren. Vor allem haben sie ihre bislang weitgehend anerkannte Selektionskompetenz eingebüßt: Ihre Entscheidungs- wie Beglaubigungsprogramme und Expertendeutungen (Peer-System) sind umstritten, lösen keine starke Folgebereitschaft mehr aus. Das Gottvertrauen schwindet, das Selbstvertrauen wächst. Ob Pfarrer, Lehrerinnen und Lehrer oder Professorinnen wie Professoren, also alle Amts- und vormaligen Respektspersonen, müssen sich immer wieder neu beweisen, müssen direkt, immer wieder neu überzeugen.22

      Folgen des Medienwandels kommen hinzu: Die Massenmedien berichten in allgemeiner, aber nicht in spezifischer Form über den gewachsenen Hochschulsektor wie das Wissenschaftssystem und über das dort gewonnene Wissen, das sich zudem massiv erweitert hat. Experten- wie Wissensexplosion: Wissenschaftseinrichtungen produzieren und kommunizieren immer mehr Daten, Befunde usw. – doch die können immer weniger in den Massenmedien verarbeitet und verbreitet werden. Zudem: zu viel Wissen, zu spezielles Wissen. Open Data als Lösung? Das reicht wohl kaum aus. Open Science? Wer und was kann erreicht werden?

      Doch: Allgemeine Vermittlung bleibt relevant. Durch die vor gut zehn Jahren beginnende Medien- wie Journalismusfinanzierungskrise haben sich die Vermittlungschancen durch Dritte verringert, die Wissenschaftsberichterstattung wird reduziert. Die Universitäten haben auf diese Entwicklung mit eigenen Maßnahmen reagiert und ihre kommunikativen Aktivitäten erhöht. Übrigens mit Folgen, so für den (Wissenschafts-)Journalismus.

      Eine Folge der schwächelnden Intermediäre ist: Universitäten können sich nicht mehr hinter den Intermediären, so den politischen Parteien, verstecken, sie sind direkt angesprochen. Zahllose Gruppen, Grüppchen, Akteure wie Milieus sind neben den etablierten gesellschaftlichen Akteuren entstanden. Dort werden Interessen formuliert, ausgehandelt und zu Issues entwickelt. Dabei nimmt man auf Expertinnen und Experten wie Wissen Bezug. Wissen in jeglicher Form ermöglicht nämlich Differenzmarkierung. Mit Wissen kann man Interessen zur Geltung bringen und versuchen, Durchsetzungsmacht zu erlangen.23 Man sucht vielfach nach den opportunen Zeugen, so auch an Universitäten wie in Wissenschaftsorganisationen.

      Nicht erst seit dem Internet und Social Media sind diese Gruppen wie Wissensgemeinschaften vorhanden, doch nun sind sie sichtbar, für viele beobachtbar und schlagkräftiger geworden. Unterhalb der Massenmedien gab es ein breites Segment an Medien, in denen Interessen wie Wissen verhandelt wurden. In den zahlreichen Publikumszeitschriften, in Spezial- wie Fach- oder Verbandszeitschriften, in den Organen der zahllosen NPOs wie NGOs fand und findet eine dichte Binnenkommunikation statt, in der man auch auf wissenschaftliche Befunde Bezug nimmt. Ob Luftgrenzwerte, Impf- oder Ernährungsfragen – darüber gab es Austausch. Der fand in Zeitschriften statt und wurde von Fachjournalistinnen und -journalisten begleitet. Von dort gelangten Themen wie Positionen in die Massenmedien und somit in die allgemeine Öffentlichkeit. Es mussten also allerlei Zugangs- wie Selektionshürden übersprungen werden. In der allgemeinen Öffentlichkeit kam dominant nur das vor, was es in die Massenmedien geschafft hatte. Das waren hierarchische Prozesse. Internet und Social-Media-Plattformen sind ohne Filter. Sie haben die kommunikativen Möglichkeiten massiv erweitert und verändert. Nicht journalistische Profis, sondern Interessenorganisationen wie Einzelne wählen aus, leiten weiter, können potenziell die Gesamtgesellschaft direkt erreichen. Wir erleben derzeit, was auf Plattformen alles diskutiert, bestritten oder zustimmend beglaubigt werden kann. Wir erleben die Stärke von Kampagnen, so shit storms, gegen Einzelne. Fake news sind zwar nur ein Schlagwort, das aber immer mehr in den medialen Sprachgebrauch eingedrungen ist. Und wir erfahren, wie gegen Beglaubigungsinstanzen und -verfahren, gegen Befunde wie Erkenntnisse, gegen Eliten und auch gegen die sogenannten «Systemmedien» wie die «Lügenpresse» agiert werden kann. Wenngleich diese Phänomene nicht in allen europäischen Ländern auszumachen sind: Die Problematik ist ähnlich.

      4Medien- und Öffentlichkeitswandel als weitere Herausforderung für die Hochschulen

      Mit dem Internet und den Social


Скачать книгу