Mord in der Buchhandlung. Tessa Korber
was für ein Gedanke! Aber Boelsen hat seine Drohung auf andere Art wahrgemacht. Seit einigen Wochen bietet er jedes Gericht, das die Hansers sich für ihr Café ausgedacht haben, binnen weniger Tage selbst an – und zwar einen Euro billiger.
»Ach, was soll’s!«, winkt Hilde Hanser ab. »Soll er doch billige Pfannkuchen verkaufen. Am besten backt er sie gleich in seinem Frittenfett!« Sie lacht. »Aber unsere tolle Terrasse, die kann er nicht kopieren!«
Die Sonnenterrasse des Cafés gleich hinter der Buchhandlung ist die Trumpfkarte von »Hansers Platz«, wie Herbert und Hilde ihren Laden getauft haben. Im Sommer sowieso, aber gerade im Frühling und Herbst kann man hier die ersten und die letzten Sonnenstunden des Jahres wind- und sichtgeschützt genießen, bei Kaffee oder Tee, Landbier oder Rotwein, Kuchen oder einem herzhaften Happen aus Hildes Küche. Besonders gut gehen Matjes, Chili con Carne und Labskaus. Und natürlich Pfannkuchen.
Auf diese Terrasse ist Boelsen offenbar besonders neidisch. So etwas hat er nicht, er kann seinen Kunden nur Stehtische an der Straßenecke anbieten. Vielleicht lässt er deswegen keine Gelegenheit aus, die Hansers und ihr Geschäft madigzumachen. »So ne alte Bruchbude, da wird doch alles nur mit Hansaplast zusammengehalten!«, hat er schon öfter getönt. Hinter ihrem Rücken nennt er ihr Geschäft sowieso ständig »Hansaplast«. Hilde und Herbert wissen das, denn sie sind mit einigen Kaufleuten in der Altstadt befreundet. Längst nicht mit allen; hier ist nicht jeder kollegial, viele kämpfen mit harten Bandagen um ihr täglich Brot. Die Altstadt ist wirklich ein heißes Pflaster.
Auch die Hansers würden gerne mehr in ihr Geschäft investieren. Aber das geht nicht. Auch wenn sie es nicht gerne zugeben: In der Altstadt kann man nicht reich werden. Klar, es kaufen Stammkunden und in den Ferien auch Touristen ein, vor allem im Sommer. Aber was die in die Kasse bringen, reicht gerade, um über die Runden zu kommen. Da muss oft improvisiert werden; ganz falsch ist der Hansaplast-Spruch also gar nicht. Ohne die Einnahmen durch die Sonnenterrasse müssten sie zumachen.
Apropos. »Hat sich Reinhard gemeldet?«, fragt Herbert seine Frau. Reinhard ist Stammkunde und Freund, außerdem handwerklich versiert und öfter mal knapp bei Kasse. Kein Problem, Reinhard repariert hin und wieder etwas an Haus und Mobiliar, dafür lassen die Hansers dann seinen Bierdeckel verschwinden. Aktuell ist sein Deckel wieder einmal voll, und das Pflaster beim hinteren Terrassentor, dort, wo es auf den Rathausplatz geht, müsste dringend neu verlegt werden. Ein Baum, der auf städtischem Boden wächst, hat mit seinen Wurzeln die Pflastersteine hochgedrückt. Ein paar Gäste sind dort schon gestolpert, vor allem in der Abenddämmerung, und die Hansers möchten nicht, dass etwas passiert.
»Ja, hat er«, bestätigt Hilde und verzieht das Gesicht: »Bandscheibenvorfall. Er fällt die nächsten Wochen komplett aus.«
Das ist blöd, denkt Herbert. Er würde die Pflasterei ja selbst machen, auch wenn das wirklich nicht sein Ding ist. Aber er weiß nicht, wie er verhindern soll, dass die Baumwurzeln gleich alle Arbeit wieder zunichtemachen. Klar, man könnte die Wurzeln kappen, aber Herbert hatte dummerweise die Baumschutzkommission der Stadt um Rat gefragt und die hat das kategorisch verboten. Der Baum sei schützenswert und gekappte Wurzeln könnten seine Standfestigkeit beeinträchtigen. Toll, denkt Herbert, soll ich das mit den Stolperfallen jetzt selbst regeln? Von dem ganzen Laub und der ständigen Vogelkacke auf der Terrasse ganz zu schweigen.
»Ruf doch mal im Rathaus an, ob die nicht einen Bautrupp schicken können«, bittet er Hilde.
Doch die hebt bedauernd die Arme. »Würde ich ja machen, aber unser Telefon ist tot. Den ganzen Morgen schon. Hoffentlich bleibt das nicht so, sonst weiß ich nicht, wie ich heute Abend den Kassenabschluss machen soll. Und vorher die neue Ware einbuchen. Läuft ja alles online.« Sie verschwindet in den Tiefen des Ladens.
»Auch das noch!« Telefonchaos können die Hansers gar nicht gebrauchen. Laden und Café müssen erreichbar sein. Ständig rufen Leute an, reservieren Tische oder bestellen Bücher. Wer will schon zweimal laufen für ein einziges Buch? Die noch Bequemeren bestellen sowieso alles online.
Hanser zückt gerade sein Handy, als er Schritte auf der Terrasse hört. »Das Café ist noch nicht geöffnet«, ruft er dem Ankömmling zu, so freundlich, wie es ihm unter diesen Umständen möglich ist. »Aber wenn Sie ein Buch kaufen möchten, dann können Sie …«
Der Mann schüttelt seinen sauber gescheitelten Kopf. »Freesemann, Ordnungsamt«, stellt er sich vor. »Uns liegt eine Beschwerde vor.« Er deutet auf die unebenen Pflastersteine beim Tor. »Wie ich sehe, wurde der Sachverhalt korrekt geschildert. Der Zustand der Pflasterung beim Eingang zu Ihrer Terrasse stellt eine Gefährdung dar. Unter diesen Umständen ist eine kommerzielle Nutzung dieses Areals leider nicht zulässig.«
Herbert Hanser blinzelt in die Frühsommersonne, lauscht für einen Moment den jubilierenden Vögeln und den summenden Bienen. »Wie jetzt?«, sagt er dann. »Die Ursache ist aber doch ein städtischer Baum, der uns die Steine hochgedrückt hat!«
Freesemann schüttelt den Kopf. »Es ist Ihre Terrasse und nur deren Zustand habe ich zu beurteilen. Rufen Sie uns an, wenn der Schaden behoben ist. Dann machen wir gerne einen Termin für eine Ortsbesichtigung zur Prüfung einer eventuellen Neuerteilung Ihrer Bewirtschaftungslizenz. Aber denken Sie daran, bald beginnt die Urlaubszeit, da wird es schwierig mit Terminen.« Er lächelt freundlich. »Dafür haben Sie doch bestimmt Verständnis.«
»Verständnis?« Herbert Hanser spürt, wie ihm die Röte ins Gesicht steigt. »Hier geht es doch nicht um Verständnis, hier geht es ums wirtschaftliche Überleben! Die Urlaubszeit hat begonnen, das Wetter ist gut, da wollen unsere Gäste auf der Terrasse sitzen! Wenn sie das nicht dürfen, gehen sie woandershin. Und Bücher kaufen sie auch nicht bei uns. Ohne die Umsätze, die uns dann wegbrechen, kommen wir einfach nicht klar!«
»Bedaure.« Herr Freesemann gibt sich verbindlich, aber unnachgiebig. »Man könnte ja über Fristen reden, wenn es nicht schon diese Anzeige gäbe. Dadurch sind mir leider die Hände gebunden. Hiermit ist die Terrasse vom ›Hansaplast‹, äh, ich meine natürlich von ›Hansers Platz‹ offiziell geschlossen.«
Herbert Hanser schäumt. »Anzeige! So eine Schweinerei, es hat sich doch keiner verletzt, das wüsste ich! Wer hat uns denn angezeigt? Kann man mit dem vielleicht reden?«
»Der Name unterliegt der absoluten Vertraulichkeit. Nicht, dass Sie den Mann noch unter Druck setzen.« Der Beamte verbeugt sich steif und verlässt das Gelände. Auf dem unebenen Pflaster am Tor kommt er kurz ins Straucheln. Herbert Hanser findet das echt provokant.
Als er zurück in den Buchladen will, kommt seine Frau ihm entgegen, ihr Handy in der Hand und völlig aufgelöst. »Herbert, stell dir vor, die Telefonfirma behauptet, wir hätten unseren Anschluss selbst abgemeldet! Vielmehr du hättest das gemacht! Herbert Hanser vom ›Hansaplast‹! Ist das zu fassen? Sag mal …« Hilde fixiert ihn misstrauisch. »Kann das sein? Du reagierst ja manchmal so impulsiv.«
»Was, ich? Wie käme ich denn dazu?«, empört sich Herbert.
»Na ja, die Rechnung neulich war schon ziemlich hoch.« Hilde stemmt die Fäuste in die Seiten: »Wirklich nicht?«
»Jetzt geht’s aber los!« Herbert kratzt sich im Nacken. Ein Haarschnitt wäre auch mal wieder fällig, aber kann er sich den überhaupt noch leisten? »Sag mir lieber, was wir jetzt tun sollen«, fordert er Hilde auf. »Ohne Festnetzanschluss kommen wir doch gar nicht klar.«
»Hab schon einen neuen Anschluss beantragt.« Hilde Hanser seufzt. »Dauert natürlich vier Wochen, bis der freigeschaltet ist. Muss erst beim Anbieter durch alle möglichen Abteilungen. Von wegen, man redet mal selbst mit dem Techniker! Kannst du vergessen. Läuft alles über Callcenter, total anonym, und wenn du irgendwas auszusetzen hast, wird der Auftrag gleich gecancelt, dann geht alles von vorne los.« Sie schüttelt den Kopf. »Jedenfalls sagen die, wir sollen uns die nächsten Wochen mit meinem alten Handy behelfen. Ist total umständlich, vor allem bei Kassenabschlüssen und Wareneingängen, macht die doppelte Arbeit. Ist aber die einzige Möglichkeit.«
Als Herbert sieht, dass Hilde den Tränen nahe ist, schließt er sie tröstend in die Arme. Von der Terrassensperrung erzähle ich ihr lieber erst einmal nichts, denkt er