Mord in der Buchhandlung. Tessa Korber

Mord in der Buchhandlung - Tessa Korber


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am Nachbartisch verstummten. Schnell senkte er seine Stimme wieder: »Wir wollen einen Buchladen retten, keinen Mord begehen. Um den König anzugreifen, muss man ihn studieren, seine Schwachstellen finden. Was ist mit Geld? Wir alle wissen, wie sehr die Immobilienpreise in den letzten Jahren hier im Viertel explodiert sind. Verdient der König mit seinen Spielhallen wirklich so viel, dass er innerhalb von zwei Jahren drei Häuser in bester Lage kaufen kann? Oder arbeitet er nur als Strohmann? Und wenn ja, für wen?«

      »Doro sagt, er hat das Haus bar bezahlt«, berichtete ich.

      »Bar! Das stinkt doch nach Schwarzgeld«, tönte Ralle.

      »Das Nagelstudio von Susi hat er auch bar bezahlt«, ergänzte Valery. »Susi sagt, der König hält nicht viel von Banken. Alles Verbrecher.«

      »Recht hat er, was die Banken angeht!« Ralle nickte. »Aber der Spur des Geldes zu folgen, ist aufwendig und langwierig«, gab er zu bedenken.

      »Man muss natürlich wissen, wo man ansetzt und wen man fragt.« Der Hirt verschränkte seine Arme im Nacken und lehnte sich zurück.

      »Und so ein heller Kopf wie du weiß das natürlich«, zwitscherte Valery und kicherte giftig. »Beste Beziehungen in die Finanzwelt …«

      Ich zog scharf die Luft ein und überlegte hastig, ob ich zur Entspannung der Situation schon meinen Trumpf ausspielen sollte. »Vielleicht«, unterbrach ich Valery. »Vielleicht gibt es …«

      »Wartet, wartet, Leute, mir kommt da eine ganz andere Idee!« Ralle sprang vom Sitz auf und blickte aufgeregt in die Runde. »Wir bauen dem König Nacht für Nacht die Türen seiner Spielhallen mit Büchern zu. Dazu müssen wir lediglich die öffentlichen Bücherschränke plündern, die nutzen die meisten Leute eh nur, um Leseschrott loszuwerden. Ein paar Quadratmeter Bücher aus meinem Keller könnt’ ich selbst beisteuern.«

      »Survival Band eins bis fünf, oder was?«, zündelte der Hirt, der bei Ralles Aufspringen nur durch beherzten Zugriff das Umkippen seines Wasserbechers verhindert hatte.

      »Mir gefällt das«, konterte Valery. »Eine tolle Aktion für Social Media. Damit schaffen wir es auch hundertprozentig in die Zeitungen. Denkt mal an Schlagzeilen wie: ›Spielhallenbesitzer muss sich durch Goethes Gesamtwerk kämpfen‹ oder ›Drei Fragezeichen versperren Zockern den Weg‹.«

      »Rechnet mal hoch, wie viele Bücher wir für die Aktion bräuchten«, warf der Hirt ein. »Selbst wenn du zwei Quadratmeter Survival-Krimis im Keller hast und wir alle Bücherschränke des Viertels leeren, es würde nicht reichen.«

      Auch ich war skeptisch: »Königs Spielhallen schließen um 2 Uhr, wir müssten mitten in der Nacht anrücken. Parkplätze gibt es um die Zeit nirgendwo mehr. Wie sollen wir die Bücher abliefern?«

      »Papperlapapp! Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg«, wischte Valery meine Bedenken vom Tisch.

      »Ich könnte einen Gabelstapler besorgen«, bot Ralle an.

      »Ich sage euch, was passiert, wenn es uns tatsächlich gelänge, genügend Bücher für die breiten Glastüren der Spielhalle beizubringen«, unkte der Hirt weiter. »Der Turmbau vor Königs Türen würde ewig dauern, weil wir alle Bücherfreaks sind. In diesen Bücherschränken wird nämlich nicht nur Schrott abgeladen, in Wirklichkeit sind das wahre Schatzkammern. Und wir könnten unmöglich Bücher aufstapeln, ohne auch in die Bücher hineinzuschauen, oder? Wahrscheinlich wären wir bis in die Morgenstunden am Stöbern und Durchblättern.«

      »Beim Bücherstapeln würdest du tatsächlich eines meiner Bücher aufschlagen und lesen?«, erkundigte sich Ralle misstrauisch.

      »Na ja, ich denke eher an … richtige Entdeckungen«, redete sich der Hirt heraus.

      »Sind meine Bücher etwa keine Entdeckungen? Nur weil ich sie selbst verlege? Nur weil ich nicht bei einem großen Verlag bin?«, grollte Ralle.

      Ich kannte diese Diskussionen und fürchtete neuen Zwist. Zudem sah es so aus, als würde in der Runde jeder Vorschlag zu Staub diskutiert werden. Es war an der Zeit, endlich meinen einzigen Trumpf in den Ring zu werfen.

      »Ich kenne eine echte Schwachstelle von König«, verriet ich und hatte mit dem Satz die Aufmerksamkeit aller. »Sein Hund, dieser fette Mops. Der König macht keinen Schritt ohne ihn. Jeden Morgen sitzt er mit ihm vor dem ›Centrale‹.« Bei Luigi trinke ich auch gelegentlich meinen Espresso. Deshalb weiß ich das und auch, was der König für ein Geschiss um den Hund macht. Fressie, Fressie, Küsschen, Küsschen und so weiter.

      »Stimmt.« Ralle nickte.

      »Davon hat Susi auch gesprochen«, fiel Valery ein. »Der darf sogar bei den beiden im Bett schlafen, was Susi widerlich findet.«

      »Was schlägst du vor?«, wollte der Hirt wissen.

      »Na ja«, setzte ich an, aber weiter kam ich nicht.

      »Entführung, ist doch klar«, grätschte mir Ralle ins Wort. »Aber dafür müssen wir mindestens zu dritt sein. Einer, der den König ablenkt, einer, der die Leine durchschneidet, und einer, der den Hund packt. Der sollte einen ordentlichen Sprint hinlegen können. Kriegt das einer von euch hin?«

      »Nordic Walking«, sagte ich und Ralle lächelte mitleidig.

      »›Krimizunft entführt Hund für einen guten Zweck‹, die Überschrift ist auch nicht schlecht«, begeisterte sich Valery. »Wir könnten die Aktion filmen und daraus ein Kunstevent machen.«

      »Könnte tatsächlich erfolgsversprechend und öffentlichkeitswirksam sein«, ließ der Hirt sich vernehmen. »Die Botschaft: Eine Buchhandlung im Viertel gehört einfach zur Grundversorgung. Dafür kämpfen wir! Ich mache das Live-Video und übernehme den Kontakt zur Presse und den Social-Media-Kanälen.«

      Erst traute ich meinen Ohren nicht, dann glitt ein Lächeln über mein Gesicht. Eine gemeinsame Aktion anstelle unserer ewigen Sticheleien? Einigkeit, wo sonst nie Einigkeit herrschte? Mein Trumpf zog, und das verschaffte mir eine stille Befriedigung. Manchmal sind die leisen Töne erfolgreicher als die lauten.

      »Wir müssen uns beeilen«, mahnte Ralle. »Je schneller, desto besser.«

      Wir nickten. Schließlich kannten wir die deprimierenden Bilder aus Italien. Wir wussten, dass die Tage, in denen der König mit seinem Mops vor dem »Centrale« sitzen konnte, gezählt waren. Der Virus machte nicht vor Landesgrenzen Halt, die Krise würde auch unser Viertel erreichen und Straßen und Plätze leerfegen.

      »Morgen Vormittag«, schlug Valery vor und alle nickten.

      Die Rollen waren so schnell verteilt wie bei unserer Herbstlesung: Valery sollte den König ablenken, ich die Leine durchschneiden, Ralle den Hund entführen und der Hirt das Ganze filmen. Ralle war für Sturmhauben, Valery fürs Verkleiden. Jeder, wie er will, entschieden wir demokratisch.

      Am nächsten Morgen saßen kaum noch Leute vor dem »Centrale«. Wir fürchteten schon, die Aktion abblasen zu müssen, aber der König rauschte mit seinem Mops zur üblichen Zeit an. Er hockte sich auf seinen Stammplatz, der Mops ließ sich zu seinen Füßen nieder. Valery, mit Doris-Day-Perücke verkleidet, wartete bereits im Schatten der Eingangstür. Ralle mit aktuellem T-Shirt und doch ohne Sturmhaube schlenderte scheinbar ziellos über die Straße. Mit meinem schärfsten Küchenmesser in der Tasche trank ich am Tisch neben dem König einen Espresso. Der Hirt saß drei Tische weiter hinter der »Süddeutschen« verborgen, das Handy einsatzbereit neben sich auf dem Tisch. Eine solche Szenerie kannten wir aus dem Effeff, Szenen dieser Art hatte jeder von uns schon mal geschrieben. Man musste dabei immer alle Handelnden im Blick behalten, das war das Entscheidende.

      Es ging los.

      Großer Auftritt Valery. »Otto!«, kreischte sie, stürzte auf den König zu, und der Hirt zückte sein Handy. »Otto, die Susi hat nicht übertrieben. Die neue Frisur steht dir fantastisch!«

      Verwirrt, geschmeichelt, wie auch immer, der König griff prüfend in sein Haar – und ich nach meinem Messer. Was gar nicht nötig war, denn der König ließ beim Griff ins Haar die Leine los. Der Mops, von seiner plötzlichen Freiheit überrascht,


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