Mord in der Buchhandlung. Tessa Korber
Wir sprechen über das Schreiben, das Ringen um das perfekte Wort, um die am besten tragende Struktur. Und ich schenke mehrmals Sekt nach, als ich sehe, dass Heidi Loreenas Mann fest im Griff hat.
Lesley hat die meisten Gäste bereits verabschiedet und beginnt, ihre Buchhandlung aufzuräumen.
»Hast du morgen Zeit, dass wir uns noch einmal treffen können?«, frage ich.
Loreenas Augen leuchten auf. »Das wäre schön. Ich habe nachmittags immer ab zwei frei. Magst du Cupcakes? Hier ein Stück die Straße runter liegt ›Laurie’s Café‹, da ist es sehr nett …«
Ich kann ihr noch eine Visitenkarte mit meiner Handynummer in die Hand drücken, dann ist Stephen Brown wieder da und erinnert Loreena daran, dass es spät ist.
»Du weißt doch, wie wichtig Schlaf für dich ist, Honey.« Sein Lächeln erreicht nicht seine Augen.
Heidi schlägt vor, den Rückweg in unser Guesthouse zu Fuß anzutreten. Ich stimme zu, denn ich brauche jetzt viel frische Luft.
»Danke, dass du den Mann so beschäftigt hast«, sage ich zu ihr.
Sie zuckt mit den Schultern. »Blieb mir ja nichts anderes übrig, wenn du dich mit Loreena unterhalten wolltest. Du musst mir aber erzählen, was sie gesagt hat. Habt ihr über ein zweites Buch gesprochen?«
»Ja, und ich habe das Gefühl, das wird noch besser als ›Nighttime Visitors‹.«
»Wenn er sie das schreiben lässt.«
»Sie hat schon angefangen. Und er kann ihr das Schreiben doch nicht verbieten, oder?«
»Er kann es ihr aber schwer machen.«
»Stimmt.«
Ich erinnere mich.
Wir sind schon ein ganzes Stück weitergegangen. Rechts liegt die Wiese der Bruntsfield Links.
»Wenn wir hier rüber über die Meadows gehen, ist es kürzer«, erklärt Heidi.
»Aber dunkler.«
Sie nickt.
Wir gehen also weiter geradeaus, die Straße entlang. Schweigend. Jede von uns hängt ihren Gedanken nach.
»Ich treffe mich morgen Nachmittag noch mal mit Loreena«, erzähle ich schließlich. »Willst du mitkommen?«
»Hm, ich weiß nicht. Vielleicht geh ich auch einfach mal shoppen oder so.«
Wir schweigen wieder.
»Meinst du, Loreena wäre ein Fall für mein Autorinnen-Förderprogramm?«, fragt Heidi, als wir endlich an unserem Guesthouse in der Old Town ankommen.
»Daran habe ich auch schon gedacht«, gebe ich zu. »Ich werde sie morgen mal ein wenig in diese Richtung aushorchen.«
»Laurie’s Café« ist winzig, es gibt nur drei Tischchen. Zum Glück ist eines frei und Loreena und ich sitzen schon bald vor unserem Tee und zwei knallbunt gestreiften Cupcakes mit dem Namen »Rainbow«.
Die Zeit vergeht wie im Flug. Irgendwann sieht Loreena auf ihre Armbanduhr und erschrickt.
»Ich muss los, in einer halben Stunde kommt Stephen, und wenn ich dann nichts zum Abendessen …«
»Lauf los, ich zahle«, sage ich. »Aber ich erwarte natürlich, dass du dich meldest und mir den Anfang des neuen Manuskripts mailst!«
Sie strahlt und umarmt mich zum Abschied.
Ich sehe ihr nach, wie sie eilig das Café verlässt.
Sie ist definitiv ein Fall für Heidis Autorinnen-Förderprogramm.
Am Abend sitzen Heidi und ich im Pub und essen Haggis. Kennen Sie Haggis? Als Heidi mir zum ersten Mal davon erzählt hat, war ich alles andere als begeistert. Es handelt sich nämlich um den Magen eines Schafes, der mit Herz, Leber, Lunge, Nierenfett, Zwiebeln und Hafermehl gefüllt wird, das Ganze wird mit Pfeffer gewürzt. Ich finde immer noch, dass das wenig appetitlich klingt, aber ich muss zugeben, mit dem traditionellen Kartoffel- und Steckrübenbrei schmeckt es ausgezeichnet.
»Verabrede dich morgen Nachmittag noch mal mit Loreena«, bittet Heidi.
Ich hebe die Augenbrauen.
Sie nickt.
Mehr brauchen wir nicht, um uns zu verstehen.
Ich fahre also wieder nach Morningside.
Heidi verfolgt ihre eigenen Pläne.
»Heute habe ich allerdings nur kurz Zeit, Stephen arbeitet donnerstags nur bis vier«, erklärt Loreena, als wir uns vor »Laurie’s Café« treffen. Wir müssen ein paar Minuten warten, bis ein Tisch frei wird, aber – Sie kennen das sicher – wenn man sich gut unterhält, ist das Warten kein Problem.
Loreena macht auf mich jetzt gar nicht mehr den Eindruck eines Mäuschens. Und das, was sie mir von ihrem neuen Roman erzählt, finde ich faszinierend. Ich freue mich, dass sie mir ihre Ideen so offen anvertraut. Unversehens diskutieren wir den Plot in aller Ausführlichkeit und vergessen die Zeit. Dann piepst ihr Handy.
»Sorry«, sagt sie, »ich muss jetzt gehen. Hab mir extra den Wecker gestellt, damit ich nicht wieder in Hektik gerate.« Sie steht auf.
In diesem Moment gibt ihr Handy erneut Töne von sich. Es ist ein Anruf. Sie nimmt ihn sofort an.
»Ja … ach so … ich verstehe … ja.«
Sie setzt sich wieder. »Mein Mann kommt heute doch später, er muss noch arbeiten.«
Aha.
So, wie sie aussieht, glaubt sie nicht wirklich daran.
Ich natürlich auch nicht.
Dennoch bleiben wir guter Stimmung.
Wir bestellen uns frischen Tee und Karamell-Cupcakes mit kleinen weißen Blümchen darauf und fachsimpeln weiter.
Als »Laurie’s Café« schließt und wir uns verabschieden, weil Heidi und ich am nächsten Morgen nach Inverness weiterfahren wollen, wissen wir, dass es nicht für immer ist.
Endlich ist Loreena MacArthur zu Gast in Deutschland und Heidi hat als Auftakt ihrer Lesereise hier in Bonn eine wunderbare Lesung für uns beide organisiert. Das haben Sie ja sicher den Veranstaltungshinweisen entnommen.
Loreena liest Ausschnitte aus »Nighttime Visitors« und aus ihrem neuen Buch »Strangers« und ich meine deutsche Übersetzung. Anschließend darf das Publikum Fragen stellen.
»Sie wirken, als ob Sie beide sich schon lange kennen«, bemerkt eine Zuhörerin auf Englisch.
»Wir haben uns vor zwei Jahren in Edinburgh bei Loreena MacArthurs Premierenlesung kennengelernt«, erzähle ich. »Und wir sind seither befreundet.«
»Jackie und Heidi haben mir über eine sehr schwere Zeit hinweggeholfen«, berichtet Loreena und weist auf Heidi, die an der Seite der Bühne sitzt. »Kurz nachdem wir uns getroffen hatten, hat mein Mann sich nämlich das Leben genommen und ich stand plötzlich ganz alleine da. Jackie ist bei der Nachricht sofort aus ihrem Urlaub in Inverness zurückgekommen und hat ihre Reise abgebrochen, um mir beizustehen. Sie war es auch, die mir Mut gemacht hat, ›Strangers‹ weiterzuschreiben. Ohne Jackie und Heidi würde es dieses Buch nicht geben.«
»Dann ist die Trauer, die die Protagonistin May in Ihrem Buch fühlt, also Ihre eigene?«, fragt eine junge Frau.
»Gewissermaßen.«
Ein älterer Herr meldet sich.
»Ich liebe ja besonders Ihre Sprache. Da habe ich eine Frage an Ihre Übersetzerin. War es schwer, die richtigen Worte zu finden, um die Atmosphäre beizubehalten? Meiner Meinung nach ist das ausgesprochen gelungen.«
Mehrere Köpfe im Publikum nicken zustimmend.
»Wir hatten schon während der Entstehung des Buches einen engen Austausch. Daher konnte ich Loreena