Mord in der Buchhandlung. Tessa Korber
uns in einem angeregten Gespräch. Ich werfe einen Seitenblick auf den Mann, der uns mit gerunzelten Brauen beobachtet und schließlich aufsteht.
»Solltest du deine Stimme nicht für die Lesung schonen, Honey?«, fragt er Loreena, als er zu uns stößt. »Nicht, dass sie dir nachher wegbleibt.«
Loreena nickt. »Wir können uns ja hinterher noch unterhalten«, sagt sie. »Das ist übrigens mein Mann Stephen.«
Stephen versichert formelhaft, wie erfreut er sei, uns kennenzulernen, dann begleitet er Loreena zurück zu ihrem Platz, wo er leise auf sie einredet.
»Premierenlesung? Das Buch ist doch bereits zwei Monate auf dem Markt«, wundert sich Heidi, als Lesley die nächsten drei Neuankömmlinge von der Liste gestrichen hat.
»Loreena war krank und dann mussten wir einen neuen Termin finden«, behauptet Lesley, doch als Heidi sie ungläubig anschaut, verrät sie uns, dass Loreena zuerst gar keine Lesung machen wollte. »Sie hatte Angst, nicht gut genug zu sein. Es hat mich eine ganze Menge Überredungskunst gekostet, dass sie heute zumindest in kleinem Rahmen auftritt. Aber keine Angst – sie kann das. Ich kenne sie ja schon seit Jahren und … Entschuldigen Sie mich einen Moment.«
Zwei ältere Damen betreten die Buchhandlung. Lesley eilt zu ihnen, um sie zu begrüßen.
»Ein bisschen erinnert sie mich an dich«, sagt Heidi leise.
Ich starre Lesley an. Mir ist keine Ähnlichkeit aufgefallen.
»Nicht Lesley, Loreena!«
Das mag sein. Auch ich war früher unsicher und eher kontaktscheu. Selbstbewusstsein hatte ich keines. Aber frau entwickelt sich ja weiter. Als Schriftstellerin wie als Mensch. Zumindest war das bei mir so, wobei ich natürlich Heidi viel verdanke, die mich seit meinem ersten Buch unterstützt und mich in ihr Autorinnen-Förderprogramm aufgenommen hat.
Wir setzen uns direkt hinter Loreena und ihren Mann. Auch die anderen Besucher nahmen Platz. Schade, dass nur so wenige Leute gekommen sind, aber das ist ja leider häufiger so bei Lesungen von Autoren, die nicht auf den Bestsellerlisten stehen. In Edinburgh gibt es zudem jede Menge Konkurrenzveranstaltungen wie Konzerte, Theater, Live-Musik in Pubs und vieles mehr.
Lesley schließt die Ladentür ab, sie rechnet wohl nicht mit spät eintreffendem Laufpublikum. Dann begrüßt sie uns noch einmal offiziell und stellt Loreena MacArthur vor.
Loreena steht auf, geht nach vorne und setzt sich hinter das kleine Tischchen, das mit nachtblauem Pannesamt umkleidet ist. Winzige Glitzersteinchen erwecken den Eindruck eines Nachthimmels und erinnern an die Coverillustration von »Nighttime Visitors«. Das hat Lesley schön vorbereitet, allerdings passt Loreenas Blümchenkleid nicht wirklich dazu.
Egal, als sie zu lesen beginnt, schließe ich ohnehin die Augen. Sie liest gut, mehr so, als erzählte sie uns die Geschichte. Vielleicht ein wenig zu leise für die beiden älteren Damen, könnte ich mir vorstellen, aber die beschweren sich nicht. Trotz des ungewohnten schottischen Akzents – oder gerade deswegen – entfaltet sich vor mir das Schicksal der weiblichen Hauptfigur, die an ihrer Familie zu zerbrechen droht.
Die Textstellen, die Loreena liest, sind nicht zu lang und gut ausgewählt, dazwischen erzählt sie ein wenig von ihrer Recherche. Ich bin sehr froh, dass Heidi mich heute Abend hierher eingeladen hat. Ich finde es ja immer spannend, die Autorinnen oder Autoren und ihre Arbeit hinter ihren Geschichten kennenzulernen. Geht Ihnen doch sicher auch so, oder?
Dann ist die Lesung zu Ende, wir sorgen für lauten Applaus, obwohl wir so wenige sind.
Loreena sieht glücklich aus, sie verbeugt sich und lädt uns alle zum Sekt ein.
»Das war eine wunderbare Veranstaltung«, höre ich Heidi zu Lesley sagen. »Schade, dass so wenig Publikum da war.«
»Ach, ich denke, für Loreena war das ganz gut so zum Start«, antwortet Lesley. »Sie muss sich in dieser Hinsicht noch entwickeln.«
»Aber diese Begabung! Ich hoffe, die Verkaufszahlen sind gut. Ich habe ›Nighttime Visitors‹ meiner englischlesenden Kundschaft jedenfalls schon mehrfach empfohlen.«
Lesleys Antwort verstehe ich nicht, denn Loreena drückt mir ein Glas Sekt in die Hand und bedankt sich noch einmal ausdrücklich dafür, dass ich, die Kollegin aus Deutschland, gekommen bin.
Ich bleibe bei ihr am Tisch stehen, warte, bis sie die letzten Gäste mit Sekt versorgt hat, bevor wir auf ihr Wohl trinken.
Mein Lob lässt sie strahlen, doch ihr Lächeln verblasst, als ihr Mann sich zu uns gesellt und den Arm um ihre Schultern legt. Erstaunlicherweise wirkt er angespannt.
»Sie sind also aus Deutschland hier im Urlaub«, stellt er fest. »Und da haben Sie heute Abend nichts Besseres gefunden als diese Lesung?«
Einen Moment lang bleibt mir die Luft weg. Soll das schottischer Humor sein? Wohl kaum, sonst wäre Loreena nicht so zusammengezuckt. Sie sieht definitiv nicht amüsiert aus.
»Loreena hat ein ganz wunderbares Buch geschrieben«, erkläre ich mit noch mehr Begeisterung in der Stimme, als ich ohnehin fühle. »Und ich bin sehr glücklich, dass ich sie heute hören und kennenlernen durfte, Mister MacArthur.«
Ich werde einen Teufel tun und den Menschen beim Vornamen nennen!
»Brown«, sagt er.
Ich sehe ihn irritiert an.
»Mein Name ist Stephen Brown, nicht MacArthur. MacArthur ist Loreenas Mädchenname. Der Verlag fand einen schottischen Nachnamen besser für den Verkauf. Allerdings scheint mir, das hat auch nicht viel gebracht.«
»Für einen Erstling in einem kleinen Verlag sind die Zahlen sehr gut«, mischt sich Lesley ein. Heidi, die neben ihr steht, nickt heftig. »Und dank der guten Rezensionen wird es beim nächsten Buch sicher einfacher.«
Loreena sieht auch jetzt nicht glücklich aus, muss ich feststellen.
Ihr Mann schüttelt den Kopf. »Ich bezweifle, dass es ein zweites Buch geben wird. Sagt man nicht, in jedem Menschen steckt ein Buch? Ein Buch.« Er lacht.
»Ich habe bisher 17 geschrieben«, kläre ich ihn auf.
»Aber Loreena hat auch noch anderes zu tun«, erwidert er.
Anderes? Diese Frau hat eine Begabung, tiefsinnig und poetisch zu schreiben, und soll etwas anderes tun? Ja, hat dieser Stephen Brown einen Ratsch im Kappes?
Verflixt, da werden Erinnerungen wach.
Wer soll denn dein Geschreibsel lesen?
Und: Daraus wird doch nie was, damit kannst du kein Geld verdienen!
Und: Du hast auch noch anderes zu tun!
Heidi und ich wechseln einen Blick. Dann fragt sie Loreenas Mann überaus interessiert und mit ihrem besonderen Augenaufschlag danach, ob er Tipps hat, was wir in Edinburgh unternehmen können, bevor wir weiterfahren nach Inverness und in die Highlands.
Natürlich beantwortet er ihre Frage gerne und in aller Ausführlichkeit – er ist der Typ dafür – und lässt Loreena los, um mit Heidi zu der großen Schottlandkarte zu gehen, die hinter den Stuhlreihen an der Wand hängt.
Ich sehe inzwischen, wo die Ähnlichkeit zwischen uns liegt. Auch Loreena wird sich ihren Weg erkämpfen müssen.
»Hat er dein Buch überhaupt gelesen?«, frage ich sie leise.
»Er hat behauptet, ja, aber ich bin nicht sicher.«
Ich nicke langsam. »Wenn er zu der Szene am Hafen im letzten Drittel nichts gesagt hat, hat er es nicht gelesen.«
Sie atmet einmal tief ein und aus. »Er meinte, es sei ganz okay.«
Ich greife nach der nächsten Sektflasche und gieße unsere Gläser wieder voll.
»Ich sollte eigentlich nicht …«, setzt Loreena an und betrachtet zweifelnd ihr Glas.
»Ach was«, sage ich. »Premierenlesung des ersten Romans hast du