Mord in der Buchhandlung. Tessa Korber
König gehören drei Spielhallen im Viertel, die größte nur zwei Häuser von Doros Laden entfernt. Die zwei Häuser hat er im letzten Jahr gekauft und sich nun auch noch das Haus mit dem Buchladen unter den Nagel gerissen.
»Der König will sein Imperium vergrößern. Als ob unser Viertel noch einen Spielsalon braucht«, ätzte der Hirt und rückte die schicke rahmenlose Brille zurecht. Teuer, aber mit Understatement, so kleidet er sich gerne. Perlgrauer Anzug, weißes Hemd mit offenem Kragen und so weiter.
»Doros Laden ist das Herz des Viertels! Für jeden hat sie ein offenes Ohr!« Valery erneuerte den Knoten in dem grasgrünen Tüchlein über dem weißen Krägelchen. Immer trägt sie so ein Tüchlein, wahrscheinlich wegen der Falten. Nirgendwo sind sie so verräterisch wie am Hals. »Der Laden ist eine Wohlfühloase zwischen Spielhallen, Ein-Euro-Läden und Handyshops«, ereiferte sie sich weiter. »Ein Ruhepol nach hektischen Einkäufen, die letzte Rettung, wenn man schnell ein Geschenk braucht. Zum Beispiel einen Landhauskrimi und dazu die Gartenhandschuhe in passendem …«
»Entscheidend ist, dass in ihrer gut sortierten Belletristik-Abteilung Klassiker genauso zu finden sind wie aktuelle Neuerscheinungen«, fuhr ihr der Hirt in die Parade.
»Wirklich entscheidend ist, dass sie auch Krimis von Selfpublishern vertreibt und nicht nur Bestseller in den Regalen stehen.« Ralle funkelte den Hirt an und knüllte seine Papierserviette zusammen. »Und dass man bei ihr stundenlang schmökern darf«, fügte er hinzu.
Der Hirt scherte sich nicht um das Funkeln. »Genug Gemeinplätze getauscht«, bestimmte er und schaute mich an. »Sag endlich, warum wir hier sind! Ich habe nicht unbegrenzt Zeit.«
Noch vor einer Stunde fand ich meine Idee genial, die Krimizunft des Viertels zusammenzutrommeln, um gemeinsam einen Plan zur Rettung von Doros Laden zu schmieden. Wer weiß besser, wie man einen windigen Spielhallenbetreiber und aufstrebenden Immobilienhai in seine Schranken weist als die Experten für Mord und Totschlag, Kidnapping und Erpressung, Intrigen und Fallgruben? Ja, wir alle schreiben Krimis. Verbrechen sind unser täglich Brot. Allerdings können sich nicht alle die Butter aufs Brot leisten, denn die Schriftstellerei ist ein schwieriges Geschäft. Auf der Erfolgsleiter stehen wir auf verschiedenen Stufen: ganz oben Oskar Hirt mit seinen literarischen Krimis – immer mit gesellschaftlich relevanten Themen, alles Bestseller, mehrfach preisgekrönt, immer Hardcover. Es folgt Valery Kohler, Erfinderin der pausbäckigen Hobbyermittlerin Frau Wuttke, die ganz ordentlich von ihren Landhauskrimis leben kann. Ein paar Stufen tiefer ich. Meine Regiokrimis um das Ermittlerduo Listig und Schlau werfen schon was ab, doch ohne meine Halbtagsstelle im Wasserwirtschaftsamt komme ich nicht über die Runden. Ganz unten dann Ralle Rankowski, Verfasser düsterer Survival- und Endzeit-Krimis, bei denen selten mehr als einer überlebt. Er verlegt seine Bücher selbst, Kennzeichen: schwarzes Cover mit roter Dracula-Schrift. Wovon Ralle lebt, weiß keiner so genau, aber immerhin reicht sein Geld für regelmäßige Besuche im Barbershop.
Wir kennen uns, weil Doro uns im Herbst immer zu ihrer Lesereihe »Wenn die Blätter fallen« einlädt und wir als Local Heroes den Krimiabend bestreiten. Immer in derselben Reihenfolge: Ralle macht mit seinem Hang zu blutrünstigen Szenen und Apokalypsen den Anfang, dann beruhigt Valery die Gemüter mit eleganten Verbrechen in beschaulichem Landhausflair, ich folge mit meinem witzigen Ermittlerduo Listig und Schlau und der letzte Part gehört stets dem Hirt, Spannung pur bei höchster literarischer Qualität. Am Ende alle noch mal nach vorne, donnernder Applaus. Ich halte mich dabei gerne im Hintergrund, ich hasse es, im Rampenlicht zu stehen oder mich in den Vordergrund zu drängen – im Gegensatz zu den anderen. Von denen ist jeder davon überzeugt, der Beste zu sein, aber der Hirt lässt sie am Ende des Abends gern spüren, dass er in einer ganz anderen Liga spielt. Was immer für ein bisschen schlechte Laune sorgt.
Natürlich hat Doro unsere Bücher, und nicht nur die Neuerscheinungen, immer vorrätig. Bei Ralle allerdings nur die aus dem laufenden Jahr, denn er haut alle drei Monate einen neuen Krimi raus. Und natürlich liegen unsere Bücher auch in ihrem Schaufenster, falls die Farbe stimmt. Nur der Hirt bekommt immer ein Schaufenster für sich allein, wenn er eine Neuerscheinung hat, da spielt die Farbe dann keine Rolle. Bei all ihrer Fürsorglichkeit und ihrem Gerechtigkeitssinn ist Doro auch Geschäftsfrau und der Hirt zieht halt Publikum, da rollt der Rubel. Ralle bringt das in Rage, Valery stichelt darüber und ich leide stumm. Uns verbindet also keineswegs das Motto der Drei Musketiere: »Einer für alle, alle für einen«.
Deshalb fragte ich mich im MäcDo, ob es wirklich eine gute Idee war, bei der Rettung von Doros Laden auf die Krimizunft zu bauen. Damals machte ich fünf Kreuze, weil ich Doro nichts von diesem Treffen erzählt hatte. Hätte ich doch nur … Aber hinterher ist man immer schlauer.
»Ist doch klar, weshalb wir hier sind«, dröhnte Ralle. »Doros Laden muss bleiben, wo er ist. Bei den Immobilienpreisen kann sie sich hier im Viertel kein anderes Geschäft leisten.«
»Da hält sie sich wacker und ideenreich gegen den Online-Handel mit dem großen A, und jetzt zwingt sie ein Spielhöllenbesitzer in die Knie. Das ist bitter!«, seufzte der Hirt. »Ich setze gerne eine Unterschriftenliste auf, unterschreibe als Erster und lasse die Aktion über meine Online-Kanäle laufen«, erklärte er großzügig. »Was haltet ihr von einer Demo? Bring ich auf den Weg und laufe vorneweg. Wenn wir nicht für den lokalen, unabhängigen Buchhandel kämpfen, wer dann?«
»Glaubst du im Ernst, der König lässt sich von einer Online-Aktion oder einer Demo beeindrucken, selbst wenn du vorneweg läufst?«, blaffte Ralle.
»Ist der König eigentlich immer noch mit der blonden Susi aus dem Nagelstudio zusammen?«, erkundigte sich Valery. »Da lass ich immer meine Nägel machen. Ich könnte mal ein Wörtchen …«
»Ein Wörtchen!« Ralle imitierte Valerys hohe Stimme. »Ein Wörtchen von Frau zu Frau … Noch nie davon gehört, dass hinter einem gierigen Mann eine noch gierigere Frau steht?«
»Worte sind unsere Waffen. Auch wenn du nicht so gut damit umgehen kannst wie wir«, giftete Valery zurück.
»Meine Rede«, stimmte der Hirt ihr zu.
»Der König hat sich noch nie für Wörter interessiert«, warf ich ein. »Den beeindrucken nur Zahlen und Tatsachen.«
»Schaffen wir Tatsachen und kidnappen ihn«, schlug Ralle vor. »Wir schleppen ihn zu der einsamen Eifelhütte, wo mein letztes Survival-Training gestartet ist. Ohne Guide braucht er mindestens einen, eher drei Tage, bis er auf bewohntes Gebiet vorstößt. Der Mann sitzt tagein, tagaus in seinen Spielhallen oder dem »Centrale«, der kennt Natur nur aus dem Fernsehen. Glaubt mir, der wird schnell mürbe. Dann tauche ich auf, inkognito, Sturmhaube und so weiter, verspreche, ihn heim ins Himmelreich zu führen, wenn er die Kündigung für Doros Laden zurücknimmt. Natürlich schriftlich mit allem Pipapo. Fertig ist die Laube!«
»Du denkst die Dinge nicht zu Ende, Ralle«, tadelte ihn der Hirt und straffte seinen Oberkörper unter dem weißen Hemd. »Selbst wenn der König in der Situation die Kündigung zurücknimmt, sowie er wieder in der Stadt ist, wird sein Anwalt den Vorgang für null und nichtig erklären. Sein Mandant habe nur unter Druck, nach Kidnapping, zugestimmt und so weiter. Zudem wird er Doro verdächtigen, hinter der Sache zu stehen. Und du willst doch nicht im Ernst, dass sie deine Schwachsinnsaktion ausbaden muss?«
»Hast du einen besseren Vorschlag?«, bellte Ralle ihn beleidigt an.
»Was haltet ihr von Gift?«, schlug Valery vor und in ihren Augen zeigte sich ein seltsames Glitzern. »Wenn ich die Andeutungen von Susi bei meinen letzten Nagelstudiobesuchen richtig deute, dann gibt es mehr Leid als Freud in ihrer Beziehung zum König. Ich könnte ihr – ganz unverbindlich – Möglichkeiten aufzeigen, wie sie König loswird. Ich kenne mich nicht nur mit allen möglichen Giften aus, ich weiß auch, wo man sie besorgen kann.« Sie lächelte unschuldig, ihr weißes Krägelchen strahlte, aber mir dämmerte plötzlich, was für ein verschlagenes Biest hinter dieser biederen Fassade lauerte, und ich fragte mich, ob es diese Kombination war, die ihre Bücher so erfolgreich machte.
»Das ist doch kompletter Unsinn«, bügelte der Hirt ihren Vorschlag ab. »Als ob Königs Tod die Kündigung rückgängig machen würde!«
»Das