Mord in der Buchhandlung. Tessa Korber
Fisser, Steuerfahndung. Guten Tag.« Ein junger Mann in legerem Sportsakko und mit einer sündhaft teuer aussehenden Uhr am Handgelenk kommt federnden Schrittes durchs Café auf die Terrasse. Hagelweiße Zähne erstrahlen in seinem gleichmäßig gebräunten Gesicht. »Das örtliche Finanzamt hat Hinweise bekommen, denen ich leider nachgehen muss. ›Leider‹ aus Ihrer Sicht natürlich. Für mich gibt es hier kein Leider, ich verdiene damit mein Geld.« Er schenkt seiner Armbanduhr einen verliebten Blick.
»Hinweise? Ausgeschlossen.« Herbert Hanser wirft sich in die Brust. »Wenn es hier jemand genau nimmt mit den Steuervorschriften, dann sind wir das! Bei uns geht jede Postkarte durch die Kasse, jeder Kaffee und jedes Bier! Egal, wer uns da angeschwärzt hat – der spinnt. Schauen Sie sich ruhig alles an, Sie werden nichts finden!«
Der Steuer-Mann lächelt herablassend. »Ach, das höre ich oft! Aber ich finde immer etwas. Und bei Ihnen, da bin ich mir sicher, gibt es jede Menge zu holen! Ich weiß nämlich schon genau, wonach ich suchen muss.«
Herbert Hansers Selbstsicherheit bekommt Risse. Seine Frau Hilde hat schon wieder Tränen in den Augen. »Um Himmels willen, was meinen Sie denn?«, stößt sie hervor.
»Sie veranstalten doch literarisch-kulinarische Events, stimmt’s?«, fragt Fisser.
»Stimmt«, erwidert Herbert Hanser. »Ist nur logisch, schließlich betreiben wir eine Küche, da liegt es nahe, verschiedene Genüsse zu kombinieren.«
»Schön gesagt.« Fissers Lächeln wechselt ins Maliziöse, als er eine Liste aus der Tasche zieht. »Im Einzelnen veranstalten Sie literarische Weinproben, kulturelle Bustouren, Krimi-Dinners, musikalische Whiskyproben, mörderische Menüs … und so weiter. Sehr einfallsreich, muss ich zugeben. Und die Einnahmen versteuern Sie alle ordnungsgemäß, ja?«
»Aber sicher!« Hilde Hanser wird laut. »Jeden einzelnen Euro! Was wollen Sie uns denn unterstellen?«
»Und welchen Steuersatz setzen Sie für diese Einnahmen an?«, erkundigt sich Fisser lauernd.
»Ach, darauf wollen Sie hinaus!« Herbert Hansers Lachen klingt gequält. »Das unterteilen wir natürlich exakt! Sieben Prozent auf den kulturellen Teil, 19 Prozent auf den kulinarischen. Das halten wir genau auseinander.«
»Ich erkenne Ihr Bemühen.« Der Steuer-Mann fächelt sich mit seiner Liste geziert Luft zu. Inzwischen liegt die Terrasse im schönsten Vormittagslicht, doch die Sonnenschirme sind noch nicht aufgespannt. »Leider sind Sie nicht auf der Höhe der gesetzlichen Regelungen. Fakt ist folgender: Wenn die verschiedenen Bestandteile einer kombinierten Veranstaltung unterschiedlichen Steuersätzen unterliegen, so findet grundsätzlich der höhere Satz auf die Gesamtveranstaltung Anwendung. Sie verstehen? Das, was steuerlich zusammengehört, das soll der Steuerpflichtige nicht teilen! Sie aber haben das getan. Hat Ihnen eine Menge Geld gespart, aber jetzt kommt das böse Erwachen. Sagen Sie, wie lange machen Sie solche Veranstaltungen denn schon in Ihrem, äh, ›Hansaplast‹?«
»Etwa zehn Jahre«, haucht Hilde Hanser.
»Oh, oh, oh«, höhnt Fisser. »Das wird teuer!«
Noch am selben Tag macht sich Herbert Hanser daran, das Terrassentor abzusperren und das schadhafte Pflaster herauszustemmen. Die ungewohnte Arbeit fällt ihm schwer. Sein Rücken schmerzt, an den Händen bekommt er Blasen, der Schweiß brennt in seinen Augen. Trotzdem schafft er es, unter dem Torbogen eine flache Grube auszuheben und die Baumwurzeln, die ihm dieses Ungemach eingebrockt haben, freizulegen. Aber was jetzt? Kappen darf er sie nicht, und so ein Baum lässt sich nicht vorschreiben, in welche Richtung seine Wurzeln zu wachsen haben.
Hilde Hanser hat derweil gerechnet. »Setz dich lieber«, rät sie und reicht ihm ein Glas Weißwein. Dann legt sie ihm die Zahlen vor. Die Steuernachzahlung wird fünfstellig ausfallen, so viel ist klar. Die entgangenen Einnahmen durch den stillgelegten Telefonanschluss sind schwerer zu kalkulieren, aber sicher auch erheblich. Und die gesperrte Terrasse ist die Krönung. »Von diesen Einnahmen zehren wir sonst das ganze Jahr über«, seufzt Hilde. »Wer hat uns das alles angetan? Und wie sollen wir das überstehen? Unsere Rücklagen haben wir doch schon während der Corona-Krise aufgebraucht!«
Beim Gedanken an die überstandene Pandemie läuft es Herbert Hanser kalt den Rücken runter. Die wochenlange Ladenschließung, der mühsame Aufbau eines Bestell- und Lieferservices, die Kurzarbeit für alle Angestellten, die komplizierten Anträge auf Überbrückungshilfe, das nervenzehrende Warten auf Bescheide, schließlich das wenige Fördergeld, kaum genug zum wirtschaftlichen Überleben! Genau das haben sie damals geschafft. Aber ob ihnen das ein zweites Mal gelingen würde? Herbert Hanser fürchtet, dass sein Improvisationstalent dafür nicht ausreichen wird. »Von wegen ›Hansaplast‹«, murmelt er vor sich hin.
Hilde hebt den Kopf. »Ja, merkwürdig«, stimmt sie zu. »Wie kamen die nur alle darauf?«
»Wer jetzt?« Herbert hat gedankenverloren seinem frisch gefüllten Weißweinglas beim Beschlagen zugeschaut und dabei überlegt, wie lange er sich den guten Pinot Grigio noch würde leisten können. »Wie kam wer auf was?«
»Na, der Typ vom Ordnungsamt hat unseren Laden ›Hansaplast‹ genannt. Ebenso wie der Kerl von der Steuer. Ist doch eigenartig.«
Herbert Hanser nimmt einen weiteren großen Schluck, dann zuckt er die Achseln. »Haben die bestimmt irgendwo aufgeschnappt. Gibt ja ein paar Stinkstiefel hier, die uns so nennen.«
»Aber der Mann von der Telefongesellschaft!«, trumpft Hilde auf. »Der aus dem Callcenter! Der ist doch überhaupt nicht von hier. Woher kann der diesen fiesen Spitznamen denn kennen?«
Herbert stellt sein Glas ab und richtet sich auf. »Von dem, der uns angeschwärzt hat«, murmelt er. »Von dem Denunzianten! Da gab’s ja einige zu Corona-Zeiten. Aber wer jetzt dahintersteckt, das weiß ich genau.« Er steht von seinem Terrassenstuhl auf.
»Herbert!«, ruft Hilde erschrocken. »Tu nichts Unüberlegtes! Du hast getrunken!«
»Ganz genau«, murmelt Herbert und marschiert los.
Der Imbiss hat schon geschlossen, aber Bernd Boelsen ist noch da. Er steht in seinem Laden vor den schmierigen Fritteusen, aber anstatt sie zu reinigen, telefoniert er. Mit gedämpfter Stimme und dem Rücken zur Tür, aber da die einen Spaltbreit geöffnet ist, versteht Herbert Hanser jedes Wort.
»Ich weiß, dass wir ein größeres Haus als Basis brauchen«, sagt Boelsen gerade. »Kriegen wir auch! Ideales Objekt, mit großem Keller. Super Lage, das Gelände hat guten Sichtschutz.« Der Imbisswirt schweigt und lauscht. »Nein, noch ist es nicht meins, aber bald! Hab die Leute schon weichgeklopft. Als Nächstes schick ich denen das Gesundheitsamt auf den Hals.« Boelsen bückt sich und holt aus einem Unterschrank eine halbtransparente Anglerbox hervor, in der es heftig wimmelt. »Dauert nicht mehr lange, dann verkaufen die mir den Schuppen zum Vorzugspreis und küssen mir noch die Hände dafür. Wenn Bares lacht, können die bestimmt nicht widerstehen. Nicht nach ihrem Erlebnis mit der Steuerfahndung!« Er öffnet eine Gefriertruhe, wirft einen Blick hinein. »Nächste Woche wie immer? Okay, alles klar.« Boelsen verabschiedet sich mit »Tot ziens!« und legt auf.
Herbert Hanser beobachtet, wie Boelsen einen flachen Pappkarton aus der Truhe holt und ihn inspiziert. »Frikandel«, steht drauf, aha, eine niederländische Spezialität. Seit wann bietet der Imbiss denn die an? Aber in dem Karton sind gar keine wurstähnlichen Bratröllchen, sondern Geldscheine. Viele, viele Bündel. Und als Boelsen den Karton zurück in die Truhe stellt, sieht es so aus, als seien dort noch mehr von der Sorte drin.
Eilig macht Herbert sich davon, huscht am Antiquitätenladen vorbei und verdrückt sich in die kleine Seitengasse dahinter. Von dort kann er beobachten, wie Boelsen in Richtung »Hansers Platz« spaziert, die Anglerbox am schlenkernden Arm, dabei unauffällig nach allen Seiten sichernd. Es ist schon weit nach Ladenschluss, die Altstadt liegt da wie ausgestorben.
Hanser widersteht der Versuchung, hinter Boelsen herzulaufen und auf ihn einzuschlagen, so wie er vorhin der Versuchung widerstanden hat, ihn in seinem eigenen Frittenfett zu ersäufen. Stattdessen wartet er ab, bis der Imbisswirt in der engen Gasse, die am Buchladen vorbei zur Terrasse führt, verschwunden ist. Dann rennt er los,