Heilmittel der Sonne - eBook. Olaf Rippe
altes Brauchtum wiederbelebt. Diese Rückbesinnung auf unsere kulturellen Wurzeln lässt auch die Sonne, die immer schon im Mittelpunkt der Überlieferungen stand, wieder in neuem Licht erscheinen. Die Naturbetrachtung unserer Vorfahren ist der Schlüssel zu einem erweiterten Verständnis des Sonnenwirkens in Mensch und Natur. Diese Betrachtungsweise lässt uns begreifen, dass die Sonne die Seele alles Lebendigen ist.
Tanz der Planeten um die Sonne, das Herz des Sonnensystems. (Stuckvilla, München)
»Im Menschen sind nämlich Sonne, Mond und alle Planeten, desgleichen sind auch in ihm alle Sterne und das ganze Chaos [= Kosmos].« (Paracelsus)
In bestimmten Tieren, Pflanzen und Mineralien aber spiegeln sich die Eigenschaften der Sonne auf ganz besondere Weise, dies sind die »Heilmittel der Sonne«. Von ihren heilenden Kräften handelt dieses Buch.
Die Schlüssel zur Sonne
Am Anfang stellt sich die Frage: Was macht Pflanzen wie das Johanniskraut,Tiere wie die Biene oder Mineralien wie den Bernstein zu Heilmitteln der Sonne, und welche Wirkung haben sie auf uns? Um diese Fragen zu beantworten, betrachten wir die Lehre des ägyptischen Eingeweihten Hermes Trismegistos: »Wie oben so unten, wie unten so oben.« Nach dieser uralten Weltsicht sind Makrokosmos und Mikrokosmos im Wesentlichen identisch, sie bedingen einander und folgen ähnlichen Gesetzmäßigkeiten.
Nach antiker Vorstellung besteht der Makrokosmos aus zwölf Sternzeichen und sieben kosmischen Grundkräften, den fünf Wandelplaneten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn sowie den zwei Lichtern Sonne und Mond; heute kommen noch die erst in neuerer Zeit entdeckten Planeten Uranus, Neptun und Pluto hinzu. Diese Kräfte stehen in einer dynamischen Wechselwirkung mit den stofflichen Elementen Erde und Wasser, die von den geistartigen Elementen Luft und Feuer umgeben sind. Die vier Elemente sind mit den Naturreichen identisch: Die Erde bildet das Mineralreich, das Wasser die Welt der Pflanzen, die Luft die animalische Welt und das Feuer als Brücke zum Kosmos ist das Reich des Menschen.
Da die Welt ein Spiegelbild kosmischer Kräfte darstellt, findet man die energetischen Qualitäten der Planeten in Pflanzen, Tieren und Mineralien, aber auch im Menschen, seinen Organen, Organfunktionen und Krankheiten wieder; dies ist die »Lehre von den Entsprechungen oder Korrespondenzen«. Sie ist die Grundlage einer hermetischen Betrachtungsweise der Natur.
»Wie oben so unten, wie unten so oben«, lautet die Weisheit des Eingeweihten Hermes Trismegistos. Tür eines Arzneischrankes der Hofapotheke in Innsbruck, um 1740. (Pharmaziehistorisches Museum Basel)
Licht, Wärme, Rhythmus
Von allen kosmischen Kräften beeinflusst uns die Sonne am meisten. Sie ist das mächtigste Gestirn am Firmament. Nur der Mond, das Licht der Nacht, beeinflusst ähnlich intensiv das irdische Leben. In der griechischen Mythologie sind Sonne und Mond Zwillinge, die sich gemeinsam die Welt teilen – interessanterweise erscheinen beide von der Erde aus gleich groß. Sie sind ein Symbol für die Polarität des Lebens: Tag und Nacht, Wärme und Kälte, Bewegung und Ruhe.
Die Eigenschaften, nach denen wir suchen müssen, um den universellen Geist der Sonne zu finden, sind Licht, Wärme und Rhythmus. Entdecken wir diese in den Naturreichen, dann haben wir die Heilmittel der Sonne gefunden. Dann haben wir auch verstanden, was die sonst so unterschiedlichen Naturreiche miteinander verbindet.
Ein Beispiel: Die Farben, die wir der Sonne zuordnen, sind vor allem Gelb bis Gold-Orange. Wir finden sie in allen Naturreichen wieder, in den Blüten vieler Pflanzen wie Johanniskraut, Ringelblume oder Schöllkraut, aber auch im Gold, im Schwefel oder im Bernstein und nicht zuletzt in der Biene wie auch im Honig. Die Farbe ist einer der Schlüssel zum lebenspendenden Wesen der Sonne, viele andere lernen wir noch kennen.
Die goldene Kette
Diese Sichtweise lässt nicht nur Ähnliches in scheinbar Getrenntem erkennen, sie erlaubt auch eine besondere Art der Heilkunde, die auf dem Analogiedenken basiert. Menschen, die das Licht der Sonne wahrnehmen wollen, können sich auf diese Weise beispielsweise einen »Sonnentrank« herstellen, der sich aus sonnengelben Naturheilmitteln zusammensetzt. Solche Rezepte heißen auch »Goldene Ketten«. Eine solche Kette aus Sonnenheilmitteln bilden beispielsweise Johanniskraut, Biene und Gold. Weil sie der gleichen Grundkraft unterstehen, entfalten solche Rezepte eine besonders intensive synergistische Wirkung. Jede Substanz ergänzt und verstärkt die Wirkung der anderen, wobei jede Einzelsubstanz auf einer anderen Ebene im Menschen zum Wirken kommt.
Diese Art der Heilkunde unterscheidet sich natürlich ganz erheblich von einer rein wirkstofforientierten Medizin, wie sie heute üblich ist. Das heißt aber nicht, dass wir in der Heilkunde auf wissenschaftliche Erkenntnisse über das Stoffliche verzichten können. Ganz im Gegenteil: Auch die chemische Zusammensetzung eines Minerals oder der Wirkstoff einer Pflanze sind Wege, das Wirken der Sonne zu verstehen.
Die Signaturenlehre
Die Heilkraft einer Natursubstanz leitet man heute vor allem von deren Inhaltsstoffen sowie der Wirkung auf der strukturellen Ebene ab. Diese Betrachtungsweise führt zu einem sehr genauen, aber auch sehr beschränkten Wirkprofil einer Substanz. Heilkunde gibt es aber nicht erst seit zweihundert Jahren pharmakologischer Forschung. Sie ist so alt wie die Menschheit, und fähige Heiler hat es zu allen Zeiten gegeben. Sie kannten jedoch weder Labor noch chemische Formeln, sondern ganz andere, weit sinnlichere Wege der Heilmittelerkenntnis wie die Signaturenlehre. Sie ist keine analytische, sondern eine assoziative Methode, die aus den sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften eines Stoffs wie Gestalt, Farbe, Geruch oder Geschmack eine Heilwirkung ableitet. Doch erst die Verknüpfung von überlieferten Sichtweisen mit den Erfahrungen der Volksmedizin und mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen unserer Zeit ergibt ein wirklich umfassendes Bild von den Möglichkeiten der Naturheilkunde. Und auf diese Weise lässt sich das Wirken der Sonne in der Natur wohl am besten begreifen.
»Die Sonne an ihrem östlichen Tor.« (William Blake, um 1820)
Bevor wir uns dazu auf die Spurensuche nach Sonnenhaftem in der Natur machen, sollten wir aber noch etwas genauer die Eigenschaften der Sonne und ihren Einfluss auf uns Menschen kennenlernen.
Das Wesen des Lichts
In manchen Alpentälern scheint die Sonne monatelang nicht. Wenn ihre Strahlen erstmals im Jahr die Schatten verdrängten, gingen früher die festlich gekleideten Bewohner mancher Alpentäler der wiederkehrenden Sonne entgegen. In den Händen hielten sie eine Schüssel voll Milch, die sie dem lebenspendenden Gestirn als Dankesopfer darbrachten. Was mit diesem Brauch gefeiert wurde, ist aber nicht nur die Wiederkehr des Lichts, sondern auch der Götterfunke im Anbeginn der Schöpfung, von dem uns alte Mythen erzählen.
In Ägypten, dem heiligen Land der Sonne, erklärte man sich den Ursprung des Lebens auf folgende Weise: Vor der Erschaffung der Welt gab es nur das dunkle Urmeer, aus dessen Fluten sich eine Insel mit einem leuchtenden Ei auf der Spitze erhob. Dem Ei entstieg der Sonnengott Re, und das gesamte Universum erstrahlte in seinem Licht. Sodann schuf er Götter, Menschen und alles Leben. Nachts weilt er in der Unterwelt, aus der er jedes Mal im Morgengrauen am östlichen Horizont wiedergeboren wird. Der Osten ist die Heimat des Sonnengottes. Dessen Name »Flammeninsel« ist ein Bild für die Morgenröte.
»Wär nicht das Auge sonnenhaft, die Sonne könnt es nie erblicken.« (J.W Goethe)
Noch heute zeugen die nach Osten ausgerichteten Altäre christlicher Kirchen von der ursprünglichen Sonnenverehrung. Denn aus dem Osten kommen das Licht und alle Weisheit. Der Osten ist auf alten Karten oftmals als Orient bezeichnet. Somit schenkt die Sonne dem Menschen nicht nur ihre Lebenswärme, sondern an ihr können wir uns auch »orient«-ieren.
Sonnensymbol Auge
Erst das Sehen macht uns für den Geist