Pflanzenalchemie - Ein praktisches Handbuch - eBook. Manfred M. Junius
Besonderen Dank schulde ich meinem Freund und Lehrer Augusto Pancaldi, Ascona; weiter Professor Dr. Krishna Kumar, vormals an der kalabresischen Staatsuniversität, später General Manager der Australerba Laboratorien in Adelaide, sowie dem führenden ayurvedischen Arzt Dr. Bhagwan Dash, Neu-Delhi, ebenfalls einer meiner hochverehrten Lehrer.
1Man findet in der Literatur unterschiedliche Schreibweisen: Spagyrik oder Spagirik, ebenso Alchemie, Alchimie und Alchymie. Junius bevorzugte die im Text verwendeten Schreibweisen »Spagyrik« und »Alchemie«. (Anm. d. Hrsg.)
Spagyria und Spagyrik – die Geheimnisse der alten Meister
»Darum so lern Alchimiam, die sonst Spagyria heißt, die lernt das Falsch scheiden vom Gerechten.«
Paracelsus
In dem Wort Spagyria verbergen sich zwei griechische Wörter: spáō, »herausziehen, trennen, teilen«, und ageírō, »sammeln, verbinden, zusammenfügen, vereinigen«. Diese beiden Begriffe bilden die Grundlage jeder echten alchemischen Arbeit, daher der oft zitierte Satz: »Solve et coagula, et habebis magisterium!« (»Löse und binde, und du wirst das Magisterium haben!«) Ein Magisterium (Meisterstück) ist eine alchemisch erhöhte Aufbereitung, die stets aus einem Ganzen bereitet wird, zum Beispiel einer Heilpflanze. Die Aufarbeitung verlangt zunächst die Trennung bestimmter Bestandteile, danach werden sie gereinigt und wieder zusammengefügt.
Die alchemische Arbeit vollzieht sich stets in drei Stufen:
1 Die Trennung (Separation)
2 Die Reinigung (Purifikation)
3 Die Wiedervereinigung (Kohobation oder chymische Hochzeit)
Diese Arbeiten führen nach Ansicht der Spagyriker zu einer Erhöhung und Freilegung bestimmter Heilkräfte der Ausgangssubstanz.
Theophrastus Bombastus von Hohenheim, besser bekannt als Paracelsus, gilt als der Großmeister der Alchemie. Lateinischer Paracelsus-Auswahlband des Gerald Dorn (Basel 1584) mit Kupferstich-Porträt und dem Motto des Paracelsus: »Alterius non sit qui suus esse potest« (»Keines anderen Knecht sei, wer sein eigener Herr sein kann«). (Museum Villach, Foto Olaf Rippe)
Der ägyptische Gott Thot wurde als Schriftgott, Erfinder der Alchemie, Seelengeleiter durch die Unterwelt und Initiationsgottheit verehrt. (Totenbuch, Detail, Ägyptische Sammlung, München, Foto Olaf Rippe)
Die Spagyrik ist die Anwendung alchemischer Arbeitsweisen zur Produktion von Heilmitteln. Wenn wir hören, dass der berühmte Arzt Theophrastus Bombastus von Hohenheim, besser bekannt als Paracelsus (1493–1541), einen großen Teil seiner Arzneien nach spagyrischen Methoden aufbereitete, so müssen wir darunter eine sehr hohe Stufe der hermetischen Kunst verstehen. Diese hat wenig gemein mit der Vulgäralchemie, die oft verächtlich als »Goldmacherkunst« bezeichnet wird.
Die Anfänge dieser echten hermetischen Kunst liegen bis heute im Dunkeln. Wir wissen, dass die hermetisch-spagyrische Aufbereitungsweise vielen alten Kulturen bekannt war. Bedeutende Beiträge zur alchemischen Medizin finden wir zum Beispiel im alten China2, in Indien und bei den alten Ägyptern.3 Zwischen der altindischen und der altchinesischen Alchemie bestehen viele Parallelen. In Indien sind alchemische Aufbereitungen ein Teil der südindischen Siddha-Medizin, der ayurvedischen Medizin wie auch der später durch die Muslime nach Indien gekommenen Unānī-Medizin, die eine Weiterentwicklung der altgriechischen Medizin darstellt.
Die Alchemie der westlichen Schulen fußt hauptsächlich auf der ägyptischen Tradition. Im alten Ägypten wurde die Hermetik in den Tempeln von Memphis und Theben gelehrt. Aus den Schriften des Zosimos von Panopolis (Akhmim, 300 n. Chr.) lernen wir, dass die Alchemie im alten Ägypten unter der Aufsicht der Könige und Priester ausgeübt wurde und dass Veröffentlichungen von Geheimnissen dieser Kunst gegen das Gesetz waren4. Die hermetische Kunst wurde ausschließlich durch mündliche Überlieferung gelehrt. Die Araber waren die Hauptvermittler der theoretischen und praktischen Alchemie an die Europäer, die sie dann mit der christlichen Tradition verschmolzen (berühmte Vertreter waren beispielsweise Geber, um 721 bis 815 n. Chr., oder Rhazes, um 860 bis 930 n. Chr.).
Unter den historisch zugänglichen europäischen Quellen sind besonders die Schriften des Paracelsus zu nennen. Bevor die viel älteren indischen und chinesischen Quellen im Westen bekannt wurden, bildeten die paracelsischen Schriften die frühesten sicher datierbaren Informationen. Frühere Texte, einschließlich vieler orientalischer, sind unsicher in der Datierung und die Autoren schwer fassbar. Die ganze alchemische Gedankenwelt ist stark bildhaft und mythologisch unterbaut, das moderne geschichtliche Denken, das der Europäer so hoch bewertet, fehlt ihr weitgehend. Es darf uns daher nicht wundern, wenn viele Alchemisten in westlichen Ländern sich fortwährend auf Paracelsus berufen.
Paracelsus sagt in seinem Buch »Paragranum«: »Das dritte Fundament, auf welchem die Medizin beruht, ist die Alchemie. Wenn der Arzt in dieser nicht gute Fähigkeiten und Erfahrung hat, ist seine Kunst vergebens.«5
Doch wodurch unterscheiden sich nun eigentlich pflanzlich spagyrische Heilmittel von nicht spagyrischen? Gewöhnliche Tinkturen, Aufgüsse, Dekokte usw. nutzen die Heilkräfte der Pflanzen, aus denen sie bereitet werden, nur zum Teil aus. Bei diesen Zubereitungen steht die Wirkstoffidee im Vordergrund. Die spagyrische Aufbereitung »schließt die Pflanzen auf« und legt durch ihr eigenes Verfahren höhere Heilkräfte frei. Sie ist im Prinzip synergistisch und weniger an einzelnen pharmakologisch aktiven Prinzipien interessiert.
Man kann der Methodik der Spagyrik nicht gerecht werden, wenn man sie nach den Maßstäben der analytischen Chemie oder Pharmakologie misst, selbst wenn diese Wissenschaften auf ihre Art einen Teil der Wirkungen spagyrischer Heilmittel erklären können. So wie die Homöopathie ihre eigenen Erkenntnisse, Erfahrungen und Gesetze hat, die mit den bisher bekannten chemisch analytischen Kenntnissen allein nicht fassbar sind, besteht auch die Spagyrik auf ihren eigenen Maßstäben, für die sie ihre eigenen Vorstellungen und Symbole hat. Bei vielen dieser Vorstellungen und Begriffe handelt es sich um Analogien, die sich aber in der Praxis als äußerst wertvoll erweisen.
Wir dürfen die Spagyrik und die Alchemie als Ganzes nicht nur als eine Vorstufe der späteren wissenschaftlichen Chemie betrachten, es handelt sich eher um eine andere Betrachtungsweise der Natur und ihrer Kräfte. Seit die moderne Chemie und die westliche Medizin, spätestens seit Virchow, einen völligen Bruch mit den chemischen und medizinischen Künsten der Vergangenheit vollzog, blieben ihnen viele Erkenntnisse der Spagyrik verschlossen.
Es besteht ein ähnliches Verhältnis zwischen Chemie und Alchemie wie zwischen Neurophysiologie und Akupunktur. Dr. med. Felix Mann, Präsident der Medical Acupuncture Society, der sich seit vielen Jahren um eine im westlichen Sinne wissenschaftliche Aufklärung der Akupunktur bemüht hat, sagt in einem seiner Werke: »Was ich geschrieben habe, mag dem Leser den Eindruck vermitteln, dass der Akupunktur wenig übrig bleibt, da ich praktisch die ganze traditionelle Theorie auseinandergenommen habe. Das ist weit gefehlt, denn ich praktiziere ausschließlich Akupunktur während neunzig Prozent meiner Zeit, und ich würde das nicht tun, wenn ich durch sie nicht bessere Ergebnisse als mithilfe der Praxis westlicher Medizin in Fällen entsprechender Krankheiten oder Funktionsstörungen erreichen würde. Natürlich gibt es viele Krankheiten, für die die westliche Medizin besser ist als die Akupunktur. Die Quintessenz ist, dass ich versuche, Akupunktur mit Prinzipien westlicher Physiologie, Anatomie und Medizin zu verbinden. In einigen Fällen erklärt die chinesische Theorie die Phänomene besser als die westliche Theorie, und daher behandle ich den Patienten entsprechend. Ich versuche meinen Standpunkt in beiden Lagern zu halten, denn vieles ist der westlichen Physiologie unbekannt, was in bestimmter Weise besser mithilfe der chinesischen Tradition erklärbar ist.«6
Wir fallen leicht in Versuchung, das gesamte alchemische Wissen der Vergangenheit mit den Maßstäben des gegenwärtigen Standes der Wissenschaften des Westens zu beurteilen. Das führt zu einer Entstellung bzw. zu einer