Lesen in Antike und frühem Christentum. Jan Heilmann

Lesen in Antike und frühem Christentum - Jan Heilmann


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bei HorazHoraz als metonymischeMetonymie Beschreibung der individuell-direkteLektüreindividuell-direktn Lektüre der Klassiker aus der griechischen Literatur: „Die griechischen Vorbilder dreht sie mit der Hand bei Nacht, dreht sie bei Tag.“25 Das Verb explicioexplicio findet sich z.B. bei CiceroCicero, Marcus Tullius als Lesemetonymie. So formuliert er in seiner RedeRede für Sextus Roscius, ein gewisser Capito „solle nur kommen [und] jene RolleRolle (scroll) entfalten (explicet suum volumenvolumen), von der ich beweisen kann, dass Erucius sie für ihn zusammengeschrieben hat“ (Cic. S. Rosc. 35). Der Kontext impliziert, dass an ein VorlesenRezeptionkollektiv-indirekt dieses Textes vor GerichtGericht gedacht ist.26 Das Verb contrectocontrecto wird bei Ammianus Marcellinus (res gestae 28,4) eindeutig synonym zu legolego – spezifiziert als Lesen mit sorgfäliger Aufmerksamkeit (curatiore studio) – verwendet.

      Auch das Motiv „ein BuchBuch in die Hand nehmen“ bzw. „in der Hand halten“ kann umschreiben, dass jemand etwas liest.27 Ps.-Aristoteles verwendet das Syntagma λαμβάνωλαμβάνω τὸ βιβλίονβιβλίον eindeutig synonym zu ἀναγιγνώσκωἀναγιγνώσκω (vgl Ps.-Aristot.Pseudo-Aristoteles probl. 18,1 [916b1–5]). PolybiosPolybios gibt seinen Lesern zu bedenken, um das zuvor über L. Aemilius Paullus Gesagte (Polyb. 31,22,1–7) zu bekräftigen, dass sein Werk insbesondere auch von Römern in die Hand genommen (… μάλιστα Ῥωμαίους ἀναληψομένους εἰς τὰς χεῖρας τὰ βυβλία ταῦτα … Polyb. 31,22,8), also gelesen werden würde. An anderer Stelle warnt Polybios potentielle LeserLeser von Fabius’ Annalen davor, sie sollten sich nicht von dessen Namen blenden lassen. Dabei bezeichnet er sie zunächst mit dem PartizipPartizip von ἐντυγχάνωἐντυγχάνω und dann metonymischMetonymie als diejenigen, die seine Bücher aufnähmen (… τῶν ἀναλαμβανόντων ἐκείνου τὰς βύβλους, Polyb. 3,9,3), also in die Hand nähmen. Analog könnte auch das Verb ἀναλαμβάνωἀναλαμβάνω in 1ClemClemens von Rom 47,11Clem 47,1 f als Lesemetonymie verstanden werden. Das Verb λαμβάνω impliziert auch bei Diod.Diodorus Siculus 1,70,4 lesen:28 ἕωθεν μὲν γὰρ ἐγερθέντα λαβεῖν αὐτὸν ἔδει πρῶτον τὰς πανταχόθεν ἀπεσταλμένας ἐπιστολάςἐπιστολή. Dass der ägyptische KönigKönig am Morgen, direkt nach dem Aufstehen, Briefe nimmt (und liest), zielt darauf ab, ihn als besonders arbeitsam darzustellen, wobei die Stelle am einfachsten dahingehend zu verstehen ist, dass er die Briefe individuell-direktLektüreindividuell-direkt rezipiert. PlutarchPlutarch schreibt über den älteren CatoCato der Ältere, Marcus Porcius, dass dieser erst in späten Jahren mit dem Lesen von griechischen Büchern begonnen hätte: ἄλλως δὲ παιδείας Ἑλληνικῆς ὀψιμαθὴς γενέσθαι λέγεται, καὶ πόρρω παντάπασιν ἡλικίας ἐληλακὼς Ἑλληνικὰ βιβλία λαβὼν εἰς χεῖρας … (Plut. Cato mai. 2).29 KaiserKaiser/Princeps Iulian hält Platons Bücher auf der ReiseReise bei der Rast im Schatten einer Pflanze in den Händen, liest sie also individuell-direkt in der NaturNatur (vgl. Iul.Iulianus, Flavius Claudius (Kaiser) ep. 83). Plinius bedauert in einem BriefBrief an Ursus, dass er seit langem kein Buch mehr in die Hand genommen (olim non librum in manus … Plin. ep.Plinius der Jüngere 8,9,1), also gelesen habe, wobei der Kontext des gesamten Briefes eindeutig zeigt, dass er auf die studierendeStudium Lektüre zu UnterhaltungszweckenUnterhaltung verweist. Erucius schreibt von den RedenRede des Pompeius Saturninus, die sowohl beim ersten Hören Eindruck machten, aber auch wenn man sie wieder vornähme (… placent, si retractentur, Plin. ep. 1,16,2). Dass retracto (im Kontext von schriftlichen Medien eigentlich das Wiedervornehmen und schriftliche Überarbeiten, das freilich die wiederholte Lektüre impliziert)30 hier die individuell-direkte Lektüre der (vermutlich publizierten) Redemanuskripte meint, kann durch andere Stellen gestützt werden:

      „Du wirst dieselbe Empfindung haben wie ich, wenn Du seine RedenRede zur Hand nimmst (cum orationes eius in manus sumpseris), die Du ohne weiteres jedem beliebigen Klassiker, in denen er sein Vorbild sieht, an die Seite stellen wirst“ (Plin. ep.Plinius der Jüngere 1,16,3, Üb. KASTEN).31

      Ähnlich verwendet übrigens Quintilian (inst. or. 10,1,20) das Verb resumo, wenn er dazu auffordert, dass ein durchgelesenes BuchBuch (perlectus liberliber) erneut vorzunehmen, also zu lesen sei.

      CiceroCicero, Marcus Tullius schreibt in einem BriefBrief an Atticus, er habe die Verfassung Pellenes in der Hand (Πελληναίων in manibus tenebam)32 und einen großen Haufen von Dicaearchs Büchern vor seinen Füßen aufgeschichtet (vgl. Cic. Att. 2,2,2). Diese selbstporträtierende und literarisch inszenierte LeseszeneLese-szene impliziert eindeutig das Konzept individuell-direkteLektüreindividuell-direktr Lektüre der genannten Schriften und suggeriert den (zumindest für die römische OberschichtElite der Kaiserzeit und für antike Maßstäbe weitgehend zutreffenden) „Eindruck nahezu unbegrenzter Bücherressourcen“33. Lukian berichtet von einem Besuch bei dem Platonischen PhilosophenPhilosophie Nigrinus, den er vor einem Tisch mit geometrischen Figuren und umgeben von Büsten weiser Männer mit einem BuchBuch in der Hand, also lesend vorfindet: καὶ παρελθὼν εἴσω καταλαμβάνω τὸν μὲν ἐν χερσὶ βιβλίονβιβλίον ἔχοντα (Lukian.Lukian von Samosata Nigr. 2). Sowohl diese Formulierung als auch die Tatsache, dass Lukian trotz der sehr detaillierten Beschreibung der Leseszene keine Angaben über eine vermeintliche stimmlicheStimme RealisierungStimmestimmliche Realisierung des Gelesenen macht, lässt darauf schließen, dass Nigrinus nicht-vokalisierendStimmeinsatznicht-vokalisierend gelesen hat. Diese Szene hat eine gewisse Ähnlichkeit zum eingangs zitierten locus classicus bei Augustinus (conf. 6,3), nur dass Nigrinus nicht wie AmbrosiusAmbrosius von Mailand (stillLautstärkestill) weiterliest, sondern ein Gespräch mit Lukian anfängt. Lukian verwendet das Motiv des „Buch-in-der-Hand-Haltens“ an anderer Stelle ähnlich wie ἀνελίσσωἀνελίσσω (s. o.), um die Lektüre des „ungebildeten Büchernarrens“ zu diskreditieren.34 TacitusTacitus berichtet, dass er von älteren Leuten gehört habe, diese hätten

      „öfters zwischen den Händen Pisos eine Sammlung von BriefenBrief gesehen, die er selbst nicht habe bekannt werden lassen (inter manus Pisonis libellum quem ipse non vulgaverit); aber seine Freunde hätten wiederholt behauptet, ein Brief des Tiberius mit Aufträgen gegen Germanicus sei darin enthalten“ (Tac.Tacitus ann. 3,16,1;


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