Killerrache: Krimi Koffer 9 Romane. Alfred Bekker
die Fotos heraus und sah in die trüben blauen Augen eines Mannes in den späten Fünfzigern. Er hatte nicht mehr viele Haare auf dem Kopf, aber die wenigen, die noch vorhanden waren, hatte er dafür wachsen lassen und sorgfältig auf der glatten Schädelfläche verteilt. Ich fragte mich, wie viel Pomade man wohl brauchte, um sie da oben auf der Halbkugel einigermaßen stabil kleben zu lassen.
Es war eine ganze Serie von Bildern.
Auf einem hatte er einen Bart, der ziemlich grau war. Und ein weiteres zeigte ihn zusammen mit Breschnew bei irgend einem offiziellen Anlass.
Der Untergang des roten Reiches hatte jemandem wie ihm nur Nachteile bringen können.
Ich ging die anderen Bilder durch.
Eines zeigte ihn zusammen mit seiner Familie, das sah ich mir etwas länger an.
Er hatte einen Sohn und eine Tochter, beide Anfang 30, so schätzte ich. Seine Frau war zierlich und hatte feine, sympathisch wirkende Gesichtszüge.
Ich hoffte, dass der Kerl allein reiste. Und wenn nicht, dann würde ich mir trotzdem Mühe geben, die Sache so zu drehen, dass ich keinen von ihnen erledigen musste. Das sollte eigentlich zu machen sein. Schließlich war ich ja kein Terrorist, der es in Kauf nimmt, hundert Menschen und vielleicht sogar noch sich selbst in die Luft zu sprengen, nur um vielleicht einen Politiker zu treffen.
Zwischen den Bildern war noch ein kleiner Zettel.
Andrej Andrejewitsch Krylenko Frankfurt am Main /Flughafen ab 15.4. aus Moskau
Besonders präzise war das nun wirklich nicht, aber wenigstens hatte ich noch einige Tage Zeit. Ich fluchte innerlich. Etwas mehr Vorbereitung hätte ich mir schon gewünscht. Es war schon ein teuflisches Spiel, auf das ich mich da eingelassen hatte. Da würde in gut einer Woche ein Mann den Flieger von Moskau nach Frankfurt besteigen und sein Tod war schon beschlossene Sache. Sogar schon angezahlt. Er würde ahnungslos in den Tod fliegen. Es war eigentlich nicht so sehr Mitleid mit Krylenko, das mich plötzlich zu plagen begann, sondern die plötzliche Erkenntnis, dass mir niemand garantieren konnte, dass ich nicht selbst drauf und dran war, etwas ähnliches zu tun, wie dieser Russe.
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Irgendwann in den nächsten Tagen fuhr ich hinaus aufs Land und übte auf einer einsamen Wiese ein bisschen mit der Automatik. Genug Munition hatte der graue Mann mir ja vorsorglich mitgeliefert.
Nicht, dass ich im Umgang mit einer solchen Waffe völlig ungeübt gewesen wäre, aber erstens war ich ein bisschen aus dem Training und zweitens war es immer ein Vorteil, sich mit seinem Gerät gut auszukennen.
Meine Schießergebnisse waren nicht schlecht. Jedenfalls ausreichend um den Schädel dieses Krylenko auf eine Entfernung von wenigen Metern zu treffen.
Ich hatte mir die Sache schon so in Umrissen überlegt. Ich würde den Russen am Flughafen ins Visier nehmen und in sein Hotel verfolgen.
Dann würde ich auf eine Gelegenheit warten, hinauf zu seinem Zimmer gehen, die Tür eintreten und zack. Der Schalldämpfer hielt immerhin, was er versprach. Das war schon mal eine gute Voraussetzung.
Schließlich packte ich die Waffe wieder ein und fuhr zurück. Für die Strecke nach Frankfurt werde ich mir einen Leihwagen nehmen, dachte ich mir.
Es musste ja nicht gleich die erste beste Spur in meine Richtung führen.
Oder noch besser: Ich konnte einen Wagen knacken. Ich hatte das eine Weile lang gewissermaßen berufsmäßig gemacht.
Seit dem Fall des eisernen Vorhangs gab es in Osteuropa ja einen fast unbegrenzten Markt für Nobelkarossen aus deutscher Wertarbeit. Vor allem, wenn man sie als Sonderangebote auf den Markt brachte. Und das Risiko, erwischt zu werden, war ziemlich gering.
Aber leider hatten das auch andere gemerkt und so war der Handel längst in den Händen organisierter Banden, die entsprechend kompromisslos gegen die Konkurrenz vorgingen.
Und ich hatte wenig Lust, mich so zurichten zu lassen, dass ich den Rest meines Lebens ein Fall fürs Pflegeheim war.
Während ich nach Hause fuhr, dachte ich an Tina.
Als ich von Rio angefangen hatte, hatte sie gedacht, es wäre eine Spinnerei. Und dann hatte ich nicht mehr den Mut gehabt, noch einmal von der Sache zu reden. Es war ja auch nicht ganz einfach, über etwas zu reden und gleichzeitig nichts zu sagen, was mit mit diesem Krylenko oder dem grauen Mann zu tun hatte.
Sie durfte nichts wissen. Und wenn ich ihr sagte, pack schon mal deine Sachen, nächste Woche geht's in den Süden?
Dann würde sie mir Löcher in Bauch fragen. Löcher von der Größe eines Gullideckels.
Nein, es war besser, die Sache durchzuziehen und ihr dann zu sagen, was Sache war.
Dann musste sie sich entscheiden.
Entweder sie kam mit mir oder unsere Wege würden sich für lange Zeit trennen.
Ich ahnte in dieser Sekunde nicht, dass es da noch jemanden gab, den ich nicht auf meiner Rechnung hatte und der für uns beide längst entschieden hatte.
Auf seine Weise.
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Es war etwas später geworden, als ich zu Hause ankam.
Tina musste schon da sein. Jedenfalls