Grundkurs Soziologie. Hans Peter Henecka

Grundkurs Soziologie - Hans Peter Henecka


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Stadt- und Regionalsoziologie,

       Architektursoziologie,

       Kommunikations- und Netzwerk-/Internetsoziologie,

       Organisations- und Managementsoziologie,

       Industrie- und Betriebssoziologie,

       Arbeits- und Berufssoziologie,

       Techniksoziologie,

       Wirtschafts- und Konsumsoziologie,

       Medizinsoziologie,

       Rechtssoziologie,

       Kriminalsoziologie,

       Kultursoziologie,

       Kunstsoziologie,

       Musiksoziologie,

       Literatursoziologie,

       Sportsoziologie,

       Konfliktsoziologie,

       Militärsoziologie,

       Soziologie der Freizeit,

       Wissenssoziologie,

      und nicht zuletzt auch gewissermaßen als »Meta-Disziplin« die

       Soziologie der Soziologie.

      Der Wissens- und Forschungsstand in diesen speziellen Soziologien, die untereinander auch theoretisch und empirisch mehr oder weniger verknüpft werden, ist recht unterschiedlich. Einige dieser Teildisziplinen, die bereits auch mit eigenen »Sektionen« innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) vertreten sind, verfügen bereits über einen sehr großen Fundus an empirischen Untersuchungen und theoretischen Konstrukten, andere sind noch relativ jung und haben eher den Charakter von »Orchideenfächern«. Neben persönlichen Neigungen ist das unterschiedlich starke Interesse von Soziologen an diesen materiellen Spezialisierungen sicher u. a. auch als Reflex entsprechender gesellschaftlich und politisch aktueller Problemlagen, vielleicht auch sogar manchmal als eine Art lokal und temporär gebundene »Wissenschaftsmode« zu interpretieren.

       Zur vertiefenden und ergänzenden Lektüre

      Johann Binder (1986): Vom Nutzen der Bindestrich-Soziologien. In Bulletin 54 der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie, S. 8–10.

      Günter Endruweit, Gisela Trommsdorff & Nicole Burzan (Hrsg.) (2014): Wörterbuch der Soziologie. 3. Aufl. (mit lexikalischen Informationen zu einzelnen Speziellen Soziologien). UVK: Konstanz.

      Harald Kerber & Arnold Schmieder (Hrsg.) (1991): Soziologie. Arbeitsfelder, Theorien, Ausbildung, (insbes. S. 62–104). Rowohlt: Reinbek.

      Hermann Korte & Bernhard Schäfers (Hrsg.) (1997): Einführung in Praxisfelder der Soziologie. (Mit Kurzdarstellungen der wichtigsten Speziellen Soziologien.) 2. Aufl. Leske + Budrich: Opladen.

1.4.3Funktionen soziologischer Erkenntnis

      Auf unsere Ausgangsfrage nach den Aufgaben und dem Nutzen der Soziologie zurückkehrend, lässt sich zusammenfassend sagen, dass verschiedene Soziologen in Nuancen, Akzentsetzungen, im Grad der Konkretheit sowie in Abhängigkeit von ihrem »strukturellen« Erkenntnisinteresse wohl unterschiedliche Antworten geben werden. Gemeinsam ist ihnen aber die Überzeugung, dass wir durch soziologisches Denken und Forschen bessere Einsichten in die mannigfaltigen Formen und Prozesse unseres zwischenmenschlichen Zusammenlebens erhalten werden, als uns dies durch bloße Alltagserfahrung je möglich sein wird.

      Bei der Durchsicht der einschlägigen soziologischen Literatur lassen sich hierbei quer zur Pluralität der verschiedenen Erkenntniszugänge verschiedene funktionale Wirkungen der Soziologie ausmachen:

       Indem Soziologie versucht, die vorhandenen gesellschaftlichen Verhältnisse und Lebenslagen in ihrer Entstehung und Entwicklung, in ihrem Zusammenhang und in ihrer ideologischen Begründung sowie mit ihren Macht- und Herrschaftsansprüchen einsichtig und transparent zu machen, verfolgt sie zweifellos zunächst eine aufklärende und informierende Funktion.

       Da sie darüber hinaus den Menschen helfen will, die Motive, Bedingungen und Folgen ihres Verhaltens und Handelns zu erkennen und sie über diese Einsichten dazu befähigen möchte, ihren Zielen entsprechend rational zu handeln, erfüllt sie auch eine diagnostische und pädagogische Funktion.

       Daneben hat die Soziologie von Anfang an – wenn auch nicht in dem einleitend beschriebenen vulgären Missverständnis – immer auch eine kritische Funktion und eine prognostische Absicht begleitet. Als kritische Wissenschaft ist sie »verpflichtet auf das sapere aude, auf die Distanz gegenüber geltenden Werten und Institutionen« (Jonas 1981, 12). In diesem Sinne möchte sie anhand der Analyse der gesellschaftlichen Strukturen und der Bedingungen ihrer Verwirklichung ein kritisches Bewusstsein gegenüber dem Status quo erzeugen, bestimmte Missstände in herrschenden Zuständen aufzeigen und möglichst rationale Alternativen des sozialen Handelns entwerfen. Langfristiges Ziel dabei ist es, durch methodisch gesicherte Erklärungen zu versuchen, hinsichtlich künftig zu erwartender oder auch bewusst angestrebter Veränderungen sozialer Bedingungszusammenhänge Prognosen über erwünschte oder unerwünschte gesellschaftliche Wirkungen beim Einsatz verschiedener Mittel aufzustellen.

       Schließlich soll auch die potenziell gesellschaftlich affirmative Stabilisierungs- und Konservierungsfunktion von Soziologie nicht unterschlagen werden. Insbesondere in stark ideologisierten, fundamentalistischen und rationalen Zielen gegenüber nicht offenen Gesellschaften findet Soziologie – wenn sie überhaupt als wissenschaftliche Disziplin toleriert wird – oft nur insoweit Unterstützung und Entfaltung, als sie sich in der Analyse und Beschreibung auf das gesellschaftlich Bestehende beschränkt und die Interessen und Privilegien von herrschenden Gruppen durch unkritische Anwendung soziologischen Wissens zu unterstützen geneigt ist. In diesem Sinne kann Soziologie auch zur Zementierung der jeweils herrschenden Zustände missbraucht werden.

      Wenn die Soziologie – wie wahrscheinlich jede andere Denkrichtung auch – letztlich nicht gefeit ist gegen bestimmte ideologische Uminterpretationen und Missverständnisse im Sinne einer revolutionären Heilslehre oder einer letztlich nur noch vorgegebenen administrativen Zielen dienenden Hilfswissenschaft, so kann sie sich dennoch jenseits dieser extremen Positionen für alle, denen Wissenschaft nicht Selbstzweck bedeutet, sondern die von ihr einen praktischen Nutzen zum Wohle der Menschen erwarten, vor allem aus folgenden drei Gründen (Behrendt 1962, 17 f.) empfehlen:

       Sie hilft, einzelne Erlebnisse und Beobachtungen nicht isoliert – und damit ohne Aussicht auf Verständnis ihrer Ursachen und Bedeutung – zu sehen, sondern sie als Teil umfassender gesellschaftlicher Strukturen, u. a. als Auswirkungen von Wertsystemen, Schichtungsordnungen und sozial-kulturellen Milieus interpretierend zu verstehen.

       Sie hilft, die Relativität der Werte und Verhaltensweisen der eigenen Umwelt und Zeit zu erkennen und fördert damit die Fähigkeit – und zuweilen auch die Bereitschaft –, die Verhaltensweisen von Angehörigen anderer Sozialgebilde und Kulturkreise zu verstehen und sich einfühlend in ihre Lage zu versetzen.

       Sie hilft, den dynamischen Charakter von Verhaltensweisen und Gesellschaftsstrukturen insbesondere in unserer Zeit verständlich zu machen und hiermit die Panik zu bekämpfen, die aus mangelndem Verständnis komplizierter und sich rasch wandelnder gesellschaftlicher Strukturen entspringt. So kann Soziologie die Wurzeln aufdecken, aus denen die Tagesereignisse entspringen und aus deren Kenntnis diese dann besser verstanden und gelassener bewältigt werden können.

       Zur vertiefenden und ergänzenden Lektüre

      Norbert Elias (2014): Was ist Soziologie? 12. Aufl. (Darin die »Einführung«, S. 11–35). Beltz Juventa: Weinheim, Basel.

      Joachim Fritz-Vannahme (Hrsg.) (1996): Wozu heute noch Soziologie? (= Beiträge der Wochenzeitung DIE ZEIT unter dem Serientitel »Der Streit um die Soziologie«). Leske + Budrich: Opladen.

      Anthony Giddens (2009): Soziologie. 3. Aufl. (Darin Kapitel 1 »Was ist Soziologie?«). Nausner: Graz,


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