Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez
sozial nachverhandelt werden müssen (Rühl 1979, 1980). Entscheidungstheoretische Prozessmodelle zeigen, dass es etwa in der Außenpolitik darauf ankommt, Probleme zu bestimmen, Informationen zu sammeln, Handlungsalternativen zu erarbeiten usw. (Behrens/Noack 1984, S.113). Die prinzipielle Rationalität von Prozessen der Sozialsysteme sollte man gleichwohl nicht idealisieren. Oft sind politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Systeme so aufgebaut, dass sie – ähnlich wie das Mediensystem – unterschiedliche Organisationen umfassen, die durch Richtlinienkompetenzen nur lose zusammengehalten werden (globale Kommunikation der Außenpolitik findet etwa durch verschiedene Ministerien statt).
Innerhalb einer jeden Organisation werden Beobachtungs- und Interaktionsleistungen zudem von verschiedenen Abteilungen und auf unterschiedlichen Hierarchiestufen getätigt, die nicht immer ideal koordiniert werden. Nicht selten kommt es etwa in der Außenpolitik vor, dass hausinterne Analysen und Monitoring-Dienste nicht hinreichend in Entscheidungsprozesse eingehen, weil diese Entscheidungen zum Beispiel von Ad-Hoc-Teams und „vorbei am Apparat“, unter Zeitdruck oder nach ideologischen Prämissen getroffen werden. Global Governance hat zudem zu einer neuen Form der sogenannten „Nebendiplomatie“ (second track diplomacy) geführt, die auch Netzwerke von NGOs, Lobbies und externe Experten einbezieht (Hafez 2002c, S.138). Da Wirtschafts-, Gesellschafts- und Politiksysteme sich zudem in ihren Organisationszielen unterscheiden, sind auch die Organisationsstrukturen nicht identisch und damit sind auch die Kommunikationsstrukturen zu vielfältig, so dass sie im Rahmen einer Einführung nur exemplarisch behandelt werden können. Das Spannungsverhältnis zwischen Beobachtungs- und Interaktionsstrukturen von organisierten Sozialsystemen erzeugt einen erhöhten Kommunikationsbedarf, der der Kommunikationsberatung auch in politischen wie wirtschaftlichen Organisationen ein ganz neues Feld eröffnet hat (Hafez 2002c).
Informalität und Mediatisierung der Organisationskommunikation
Erschwerend kommt hinzu, dass man im Inneren von Organisationen zwischen formeller und informeller Kommunikation unterscheiden muss, was etwa im Nebeneinander von Abteilungssitzungen und dem „Flurfunk“ zum Ausdruck kommt. Schon lange ist bekannt, dass informelle Kommunikation in Bürokratien eine erhebliche Rolle spielt, da hier innovative Lösungen gefunden werden, aber auch formale Kommunikationsprozesse blockiert werden können. Bei der Bewertung der informellen Kommunikation, die früher als Störfaktor betrachtet wurde, tendiert man heute immer stärker zur positiven Hervorhebung emotionaler und kognitiver Facetten (Torjus 2014, S.29ff.). Gelingende informelle Kommunikation ist in jedem Fall für das Wir-Gefühl einer Gemeinschaft wichtig, was in unserem Kontext die Frage aufwirft, ob Informalität auch bei globalen Distanzbeziehungen etwa in transnationalen Unternehmen zum Tragen kommt und dadurch interaktive Gemeinschaftlichkeit, also „Weltgemeinschaft“ statt nur „Weltöffentlichkeit“, im internationalen Rahmen fördert. Die Gemeinschaftsdimension der informellen Kommunikation spielt zudem nicht nur in der Binnenkommunikation von Organisationen und Systemen eine Rolle, sondern verläuft auch zwischen Systemen, im Bereich des Handels wie auch in der zwischenstaatlichen Diplomatiekommunikation. Jürgen Habermas würde sagen: Hier geht es nicht nur um strategische, sondern auch um dialogische Kommunikation und damit auch um echtes kommunikatives Handeln (Habermas 1995, Bd.1, S.126ff.). Mehr noch als die Organisationskommunikation und die Entscheidungstheorie ist daher oft die Verhandlungskommunikation der zentrale Bereich der Theorie der globalen Interaktion.
Eine zweite bedeutsame Kommunikationsstruktur ist die Text-Sprech-Differenz. Texte können bei Beobachtungen wie bei Interaktionen eine Rolle spielen, zum Beispiel bei internationalen Verträgen oder Kommuniqués, in denen die Sichtweisen verschiedener internationaler Partner fixiert werden. Interaktion kommt also in verschiedenen Aggregatzuständen daher, zum Beispiel als Sprech- oder als Schriftdialog. Jede Variante besitzt spezielle Vorzüge. Gesprochene Dialoge verfügen über ein hohes Partizipations- und Gemeinschaftspotenzial. Der geschriebene Text hingegen macht Gemeinschaften verbindlich, denken wir nur an die Völkerrechtsabkommen. Wir müssen jedenfalls beide Interaktionsformen der organisierten Sozialsysteme im Blick behalten und ihre Eigendynamiken und Wechselwirkungen erfassen.
Die nächste bedeutsame Kommunikationsstruktur ist die Unterscheidung zwischen direkter und mediatisierter sozialer Kommunikation. Nahezu alle Kommunikationsstrukturen besitzen heute eine zusätzliche Dimension der mediatisierten interpersonalen Kommunikation (E-Mail, Telefon, Netzdienste usw.). Dadurch entstehen neue Chancen der Deterritorialisierung, aber auch Einbußen bei der Qualität der Beobachtungsleistungen ebenso wie bei der partizipativen, interaktiven Vergemeinschaftung. Es bilden sich neue Textsorten – zum Beispiel die internationale Online-Petition – und informelle Beziehungen im digitalen Raum. Technische Veränderungen der Digitalisierung haben direkte Auswirkungen auf globale Kommunikation. Für die Weltgemeinschaft eröffnen sich neue Möglichkeiten, aber eben auch zusätzliche Gefahren.
Globale Innen-/Außen-Hybridität
Für die Bilanz globaler Kommunikation von entscheidender Bedeutung ist nicht zuletzt eine weitere Struktur: das Innen-/Außenverhältnis von Kommunikation. Die Grenze zwischen Binnen- und Außenkommunikation ist identisch mit der zwischen nicht-öffentlicher und öffentlicher Kommunikation. Hier kann dann auch erneut, ähnlich wie bei Massenmedien, die Diskursanalyse publizierter Texte und politischer Rhetorik eine Rolle spielen. Binnenkommunikation der Sozialsysteme, einschließlich der Netzwerkkommunikation mit anderen Systemen (Diplomatie usw.), ist oft interaktiv. Außenkommunikation ist hingegen durch strategische Kommunikation gekennzeichnet (z.B. Wirtschafts-PR, staatliche PR/Propaganda) und damit in der Tendenz monologisch-persuasiv und nicht interaktiv und gemeinschaftsbildend. Die Kernfrage für das vorliegende Buch in diesem Zusammenhang lautet daher: Wieviel gemeinschaftsbildende Kraft entwickelt beispielsweise die Interaktion nicht-öffentlicher Diplomatie, wenn im öffentlichen Raum dann schließlich doch wieder außenpolitische Propaganda vorherrscht? Inwiefern verbindet strategische Unternehmens-PR, bei allem Dialogverhalten in der Binnenkommunikation, unsere Welt zu einer „Weltgemeinschaft“? Die Hybridität der Sozialsysteme des politisch-wirtschaftlichen Sektors, ihr ständiges Oszillieren zwischen Egozentrismus und Gemeinschaftsorientierung, ist kommunikationstheoretisch gut damit zu erklären, dass sie an der Schnittstelle zwischen Diskurs und Dialog angesiedelt sind. Diskursive Public Relations und dialogische Interaktion über Ländergrenzen hinweg gehen eine komplizierte und vielfach verwirrende Mischung ein, um deren analytische Unterscheidung und Bilanzierung wir uns in dieser Arbeit bemühen.
Da wir im Kontext des System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatzes aber neben den funktionalen Austauschprozessen auch die intrinsischen Strukturen der Systeme verstehen müssen, ist es wichtig, die globale kommunikative Hybridität nicht nur als kommunikativen Widerspruch oder Ungleichzeitigkeit zu verstehen, sondern auch als strukturelle Problematik. „Hybridität“ von Diskurs und Dialog erklärt ja noch nicht, wann und warum welche Modi verwendet werden und warum Widersprüche – etwa zwischen Innen- und Außenkommunikation – entstehen können. Dies wird allerdings sofort verständlicher, wenn man die Idee des strukturellen autonomen Selbsterhalts bei gleichzeitig erforderlicher Umweltanpassung einbezieht. Interaktion ist dann ein Weg der Anpassung; diskursive Kommunikation hingegen dient der Autonomisierung. Systeme kommunizieren mit den jeweiligen Modi, die ihnen zum Erhalt der Grundfunktionen von Autonomie und Anpassung opportun erscheinen. Kommunikative Hybridität wird damit zum Gegenstand des systemischen „Fließgleichgewichts“. Robert S. Fortner hat bereits vor Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass internationale Kommunikation teils als einheitliches globales System und teils als Ansammlung separater Systeme zu denken ist (1993, S.37f.). Dies gilt mit Blick auf die Kommunikation zwischen gleichen Systemen (also etwa der Interaktion zwischen Staaten in der Diplomatie) ebenso wie bei der Interdependenz zwischen ungleichen Systemen (z.B. Medien, Politik, Wirtschaft), die uns weiter unten noch beschäftigen wird.
Globale Interaktionspotenziale nicht-organisierter Sozialsysteme
Nicht-organisierte Sozialsysteme kann man nicht ohne weiteres mit den Mitteln der Organisationskommunikation untersuchen. An die Stelle der organisatorischen treten diskursive oder auch dialogische Strukturen, was dazu führt, dass Netzgemeinschaften sowohl ein Untersuchungsgegenstand der Netzwerkforschung der Soziologie wie auch der Deliberationsforschung der Kommunikationswissenschaft sind (Stegbauer/Rausch 2006, Stromer-Galley/Wichowski 2013). Soziologisch interessant ist, dass die Kehrseite der organisationslosen und im Prinzip hierarchiefreien