Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez
Für die „Masse“ der Menschen sind Sprachraumgrenzen und kulturelle Hegemonien in Netzgemeinschaften oft eine ernst zu nehmende Hürde. Dies wiederum kann den angeblichen Dialogcharakter des als interaktiv geltenden Internets einschränken, was wiederum Konsequenzen für globale Gemeinschaftlichkeit hat. Es wird also über die Qualität von Online-Diskursen zu sprechen sein. Wie global sind Online-Communities wirklich? Ist das Internet letztlich ein globales oder ein lokales Medium?
Eine weitere Herausforderung liegt in der systematischen Untersuchung der (globalen) Lebensweltkommunikation, die eine Erweiterung an theoretischen Instrumentarien erfordert. Wenn wir die globalen Kommunikationsbeziehungen von Individuen, Gruppen und „kleinen Lebenswelten“ (Luckmann 1970) in den Blick nehmen, dann müssen wir uns stärker an den Überlegungen der interpersonalen Kommunikation, dem symbolischen Interaktionismus, der Soziopsychologie und vor allem an den soziologischen Kommunikationstheorien orientieren, die in der Tradition der Wissens- und Kultursoziologie stehen (Schützeichel 2004, Averbeck-Lietz 2015). Denn hier werden die Grundlagen der menschlichen Kommunikation und Weltwahrnehmung verhandelt, die für die Frage nach globaler Kommunikation aus der Mikroperspektive des Alltags entscheidend sind.
In Anlehnung an die oben eingeführten Kommunikationsmodi und die soziologischen Kommunikationstheorien gehen wir zunächst davon aus, dass das kommunikative Handeln des Individuums wechselseitig interaktiv ist. Menschen lernen durch Interaktion mit anderen, sich selbst und die Welt zu deuten und zu verstehen und auf der Basis dieses Weltverstehens wiederum eigene Handlungen aufzubauen (Mead 1934, Blumer 2010, Blumer et al. 2013). Unser Erfahrungswissen, welches wir so in fortlaufender Kommunikation ansammeln, verdichtet sich schließlich zu Kategorien, die Schütz und Luckmann als soziale Typenbildung beschrieben haben (2003, S.313ff., Schützeichel 2004, S.128ff.). Wir entwickeln also Alltagstheorien über Kommunikationssituationen, antizipieren das Handeln anderer und ordnen neue Erfahrungen in diese Klassifikationssysteme ein. Dies bedeutet auch, dass unsere individuellen Wissenssysteme, mit deren Hilfe wir uns die Welt erschließen, von unseren spezifischen Sozialisations- und Kontakterfahrungen geprägt sind. Die wechselseitige Orientierung aneinander hat nämlich auch zur Folge, dass wir kommunikative Muster, Repertoires und Routinen kennenlernen, die in bestimmten sozialen Milieus als kommunikative Konventionen institutionalisiert und damit sozial tradiert werden. Insofern können wir sagen, dass sich das lebensweltliche Erfahrungswissen des Einzelnen aus einem Zusammenspiel unterschiedlicher sozialer Wissenssysteme speist. Die „Strukturen der Lebenswelt“ (Schütz/Luckmann 2003), also die generellen Bedingungen der räumlich, sozial und zeitlich strukturierten Interaktion in der Alltagswelt, bleiben dabei aber für alle Menschen gleich, so dass eine wechselseitige Verständigung mit „sozialen Anderen“ grundsätzlich immer möglich sein sollte.
Für die grenzüberschreitende Verständigung heißt das nun im ersten Schritt, dass diese von einer spannungsreichen Dialektik geprägt ist. Einerseits ist unser kommunikatives Handeln immer ein Produkt unserer jeweiligen sozialen Umwelten und Sozialisationserfahrungen, die bei vielen Menschen auch heute noch in erster Linie lokalen Ursprungs und abhängig von lokalen Diskursen sind. Andererseits unterliegt das lebensweltliche kommunikative Handeln eben auf Grund des intrinsisch sozialen Charakters immer auch einem dynamischen Wandlungsprozess. Denn wenn unsere Erfahrungen fortlaufend zur (Neu-)Ordnung unserer typischen Handlungs- und Kommunikationsschemata führen, dann ist theoretisch immer auch die Möglichkeit zur Veränderung dieser Typen und damit unserer handlungsleitenden Wissenssysteme durch neue Erfahrungen gegeben.
Diese Dialektik ist bezüglich der zentralen Unterscheidung von Beobachtung und Interaktion von besonderem Interesse. Wir hatten festgestellt, dass die bloße Beobachtung der Welt durch individuelle Akteure weitestgehend von den Leistungen der anderen Sozialsysteme abhängig ist, da Expertenwissen in modernen Gesellschaften primär durch die Medien, das Schul- und Wissenschaftssystem zur Verfügung gestellt wird. Dabei beobachten wir aber noch lange nicht alltägliche Interaktionen in anderen, ferneren Lebenswelten, sondern zu großen Teilen die strategischen Handlungen politischer Sozialsysteme (Hafez/Grüne 2015). Insofern ist die Medienkommunikation nur eine sehr eingeschränkte Form globaler Kommunikation in der Lebenswelt. Die Lebenswelt ist theoretisch ganz im Gegenteil der prädestinierte Ort für globale Dialoge, da hier gemäß unserer bisherigen Herleitung vor allem Face-to-Face-Interaktion stattfindet. In den Interaktionen können individuelle Akteure nun mittelbare und unmittelbare grenzüberschreitende Dialoge führen und sie können direktes und vermitteltes Erfahrungswissen sammeln, also aus dem globalen Selbstkontakt oder Gesprächen über den globalen Kontakt Dritter.
Globale Lebenswelten und Gruppenkommunikation
Die letztere Form weist auf eine Komplexität globaler Lebensweltkommunikation hin. Auch wenn Menschen nämlich gelegentlich Wissen aus reinen interpersonalen Kommunikationssituationen beziehen, so wird dieses häufig im Gruppenkontakt weiterverhandelt. Familien, Peers, Interessengemeinschaften oder Hobby- und Fangemeinschaften bestehen selten aus nur zwei Personen, sondern es handelt sich in der Regel um vergemeinschaftete Gruppenbeziehungen. Das gilt nicht nur für informelle Rollen der Privatwelt, sondern ebenso für soziale Kontexte, in denen Akteure in ihren zugewiesenen formalen Handlungsrollen agieren. Auch in der Ausbildung oder im Beruf finden sich Menschen meist in Gruppenkontexten wieder.
Diese unterschiedlichen Gruppen und Gemeinschaften sind wiederum der lebensweltliche Horizont geteilter Erfahrungen und Wissenssysteme. Das individuelle Wissen muss also für die soziale Integration in Transaktionsleistungen immer wieder an diese Gruppenkontexte rückgebunden werden und bedarf somit einer diskursiven Anschlussfähigkeit. Individuelle Lebenswelten stehen also immer in Zusammenhang mit milieuspezifischen „kleinen Lebenswelten“, wie sie Benita Luckmann beschrieben hat (1970). Dieses Verhältnis kann wiederum helfen, Prozesse der Reproduktion oder Irritation von gesellschaftlich verhärteten Fehldeutungen, Stereotypen oder Ignoranz gegenüber globalen „Anderen“ und deren Lebenswelten zu verstehen. Daher werden uns insbesondere Fragen nach der Veränderungsdynamik des akteursspezifischen Alltagswissens wie auch nach den Voraussetzungen zur Herausbildung echter globaler Gemeinschaft unter den Bedingungen globalen Kontakts in den folgenden Kapiteln des Buches weiter beschäftigen.
Mobilität, erweiterter Interaktionsraum und das Rollenproblem
Bisher deuten Daten aus dem Bereich des Tourismus, der transnationalen Vergemeinschaftung oder der Nutzung Sozialer Medien darauf hin, dass die Potenziale einer globalen Erweiterung der Kommunikationserfahrungen, also soziale Kommunikation über die Grenzen der alltäglichen Lebensrealität hinaus, zu großen Teilen noch ungenutzt bleiben (Zuckerman 2013, vgl. a. Mau 2007). Dies gilt sowohl für die physische wie auch die digitale Mobilität, was insofern interessant ist, als dass im Verhältnis von direkter und mediatisierter sozialer Kommunikation der Lebenswelt der indirekte globale Dialog durch die Tools der Sozialen Medien deutlich einfacher geworden ist. Aber die lokalen Grenzen von Sprach- und Diskursgemeinschaften scheinen sich vorerst in den digitalen Lebenswelten zu behaupten. Nur wenige individuelle Akteure verlagern ihre Interaktion mittelbar oder unmittelbar jenseits lokaler Grenzziehungen in einer Weise, in der sie sowohl an den Dialogen als auch den Diskursen anderer Lebenswelten teilhaben und damit wirklich grenzüberschreitend Wissenssysteme verhandeln und globale Gemeinschaft entwickeln.
Das Wissen dieser „Kosmopoliten“ (Hannerz 1996, S.102ff.) kann wiederum nur in ausgewählten Kommunikationskontexten weitergegeben werden. In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, auch für die kommunikativen Lebenswelten die theoretische Unterscheidung zwischen Formalität und Informalität einzubeziehen. Analog zu den formalen und informellen Kontexten der Organisationskommunikation finden wir auch in Lebenswelten beide Modi vertreten. Zwar scheint auf den ersten Blick die informelle Kommunikation in der Privatwelt zu dominieren, doch im Laufe der lebensweltlichen Kommunikation schlüpfen Individuen auch immer wieder in formalisierte Rollen, in denen sie Träger von Organisationszielen werden. Je nach Ausrichtung kann nun die globale Erfahrung entweder an formale (z.B. Außenmitarbeiter in global agierenden Unternehmen) oder informelle Rollen (Privatperson auf Reisen) gekoppelt sein, wobei im ersten Fall beide Rollenfunktionen zusammenfallen können. Die Weitergabe der globalen Erfahrung kann dann eher strategischer oder zufälliger Natur sein und die lokalen Lebensweltkontexte unterschiedlich stark beeindrucken oder gar nachhaltig verändern. Das Potenzial globaler Gemeinschaftsbildung ist damit in den grenzüberschreitenden Face-to-Face-Interaktionen von Individuen