Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez
Modi, die uns helfen wird, die globale Verstehensleistung einzelner gesellschaftlicher Akteure zu charakterisieren, sondern es ist auch der jeweilige kommunikative Vermittlungsprozess zwischen gesellschaftlichen Akteuren, der uns die oft ambivalenten globalen Entwicklungen erklären kann.
Fazit: Horizontale und vertikale Interdependenzen im dominanten und akzidentellen Modus
Als Problem der Interdependenz erweist sich, dass die Theorie nicht international eingebunden ist. In der globalen Kommunikation werden die potenziellen Interdependenzen vervielfältigt, da zu den nationalen noch beliebig viele internationale Einflussgrößen kommen (vgl. Abbildung 1.4).
Globale kommunikative Interdependenzen
Am Ende lassen sich in der Vielfalt der sich überlappenden Interdependenzverhältnisse, die für die Analyse globaler Kommunikation wichtig sind, zwei zentrale Dimensionen ausmachen, die es im Blick zu behalten gilt:
Horizontale globale Interdependenzen zwischen gleichen System-/Lebenswelttypen (z.B. Politik-Politik in der Diplomatie) stehen in einem dynamischen Wechselverhältnis zu vertikalen (lokalen und globalen) Interdependenzen zwischen ungleichen Systemen/Lebenswelten (z.B. Politik-Medien-Lebenswelten). Als Leitfrage kann hier gelten, ob die Prägung durch lokale Umwelten dort abnimmt, wo sich die globalen Beziehungen zwischen gleichen Systemen oder gleichen Lebenswelten intensivieren (siehe oben zum Beispiel Win-Win-Situationen der Außenpolitik im Unterschied zur lokalen Prägung der Massenmedien).
Globale Distanzbeziehungen verleihen den Systemen durch ihre gesteigerten Mobilitätsressourcen eine dominante Stellung, wobei traditionell die Abhängigkeit der Medien von der Politik und der Menschen von den Medien hervorgehoben wird. Zugleich gibt es aber zahlreiche akzidentelle Mechanismen, mit denen sich vermeintlich schwächere Systeme (z.B. Massenmedien) und Lebenswelten (z.B. Gruppen und Gemeinschaften) unter Ausnutzung neuer horizontaler globaler Bindungen neue lokale Autonomiefreiräume und sogar einen inversen gesellschaftlichen Einfluss auf die Globalisierung verschaffen können.
2 Massenmedien und Weltöffentlichkeit
Zu den theoretischen Prämissen dieses Buches gehört es, dass der dominante Kommunikationsmodus von Massenmedien sich gegenüber anderen Sozialsystemen und Lebenswelten durch einige Eigenheiten auszeichnet, die auch für die globale, grenzüberschreitende Kommunikation prägend sind. Massenmedien stellen keine interaktive Beziehung zwischen Akteuren her wie in Politik, Wirtschaft oder Lebenswelten, sondern sie sind Beobachtungssysteme. Interaktion zwischen Massenmedien oder Medien und Rezipienten ist zwar möglich, der primäre Kommunikationsmodus bleibt aber monologisch-diskursiv. Massenmedien senden vornehmlich in eine Richtung, vom Produzenten zum Konsumenten. Hier entsteht also keine „Weltgemeinschaft“, sondern bestenfalls „Weltöffentlichkeit“.
Globale Kommunikation des Beobachtungssystems der Massenmedien muss daher anders konzipiert werden als bei Handlungssystemen, wo stets interaktive und beobachtende Kommunikationsmodi zu unterscheiden sind. Die größte Herausforderung der Theorie der Massenmedien besteht hingegen in der Ambivalenz des Diskursbegriffs. Mediale Diskurse sind monologisch, aber Medienproduzenten sind in der Lage, Vorstellungen verschiedener Gesellschaftsakteure so zu arrangieren, dass ein Als-Ob-Gespräch entsteht. Im globalen Rahmen ist hierfür im Theoriekapitel der Begriff der Synchronisation von Weltöffentlichkeit geprägt worden. Die Kernfrage lautet hier also nicht, wie bei anderen Sozialsystemen, in welchem Verhältnis interaktive und beobachtende Kommunikationsmodi zueinander stehen, sondern ob die beobachtende Kommunikation konsistent praktiziert und ein globaler Diskurs durch die Medien ermöglicht wird.
Die Gliederung des nachstehenden Kapitels ergibt sich aus diesem Grundproblem, da gemäß unserem System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz zunächst die Grundstruktur des Systems der Massenmedien vorgestellt werden muss, dann seine Diskurs- und Synchronisationsleistung, bevor in einem abschließenden Unterkapitel die Frage gestellt wird, ob Leistungen und Defizite der globalen Massenkommunikation heute geeignet sind, eine synchronisierte Weltöffentlichkeit zu erzeugen. Hier werden neben funktionalistisch-systemtheoretischen auch normative demokratische und kosmopolitische Konzepte diskutiert.
In der theoretischen Eigenständigkeit liegt wohl auch die Ursache, warum globale Massenkommunikation der bei Weitem am stärksten erforschte Bereich der globalen Kommunikation ist. Während etwa interpersonale Kommunikation und soziale Kommunikation bis heute eher ein Randdasein in der Kommunikationswissenschaft fristen, ist diese über lange Jahre und gerade in der euro-amerikanischen Tradition vor allem eine „Publizistikwissenschaft“ geblieben (Averbeck-Lietz 2010). In der Kommunikationswissenschaft wie auch in anderen Sozial- und Geisteswissenschaften hat dabei die Vorstellung von vorgeblich global verfügbaren Medien, die Bürger und Bürgerinnen in Echtzeit über den hintersten Winkel der Welt informieren, einen festen Platz, der den Zeitgeist nachhaltig geprägt hat. Die Vorstellung von der globalen Kraft neuer Technologien wie dem Satellitenfernsehen oder dem Internet gehört neben der Transnationalisierung der Wirtschaft zu den Zentralmythen der Globalisierungsdebatte.
Diese Vorstellung hat jedoch eine gewisse Gegnerschaft auf den Plan gerufen, so dass globale Massenkommunikation heute wohl nicht nur das größte, sondern auch das kontroverseste Feld der globalen Kommunikationsforschung ist. Umstritten ist bis heute etwa,
inwieweit Massenmedien transnationale Organisationsstrukturen entwickelt haben oder ob sie primär lokal (vor allem national) geblieben sind,
inwieweit globale oder lokale Medienethiken und Professionsstandards vorherrschen,
inwieweit Massenmedien primär auf globale oder lokale Märkte ausgerichtet sind,
inwieweit globale oder nationale rechtliche und politische Rahmenbedingungen entscheidend sind
und inwieweit dies alles mit einer globalen Homogenisierung beziehungsweise Synchronisation oder aber einer fortgesetzten lokalen Heterogenität der Mediendiskurse zusammenhängt (Flew 2007, S.26f., Hafez 2005, McMillin 2007, S.8ff., Kübler 2011, S.28ff.).
Zur Debatte steht damit letztlich die Frage, ob die neuen technischen Möglichkeiten der Digitalisierung wirklich eine neuartige Globalisierung haben entstehen lassen oder ob es sich nicht primär um Akzentverschiebungen handelt, die am Grundzustand der globalen Kommunikation wenig ändern. Mittlerweile haben sich Strömungen in der Wissenschaft gebildet (Williams 2011, S.21ff., Hafez 2005, S.9ff., Ulrich 2016, S.45ff.), wobei „Globalisierungsoptimisten“ von einer fortschreitenden Konvergenz von Strukturen und Inhalten ausgehen, „Globalisierungspessimisten“ oder „-realisten“ hingegen von einem sich neutralisierenden Wettlauf von lokalen und globalen Strukturen und Diskursen. Das folgende Kapitel versucht diese verschiedenen Forschungsstandpunkte auf allen analytischen Ebenen – Struktur, Diskurs, Öffentlichkeitstheorie – zu bündeln und zu resümieren. Ziel ist es, bei der Analyse der Widersprüche der globalen Massenkommunikation über pauschale und ungenaue Vorstellungen einer „Glokalisierung“ (vgl. Kap. 1.2) hinauszugehen und grundlegende Tendenzen möglichst klar herauszuarbeiten. Der deutsche Soziologe Ulrich Beck hat im Kontext der Globalisierungsdebatte zu Recht bemerkt, dass mit der einfachen Formel der „Dialektik“ bereits einmal in der Geschichte „das klare Denken verabschiedet“ wurde (1997, S.91) – ein Fehler, den wir hier auf keinen Fall wiederholen wollen.
2.1 Systeme und Systemwandel
Ein Grundmodell der globalen Massenkommunikation
Massenmedien bilden komplexe Systeme, die aus den Journalisten und Journalistinnen und ihren professionellen Beziehungen einschließlich der Professionsethik (Mikroebene), den Medienhäusern und ‑redaktionen (Mesoebene) sowie den für das Mediensystem bedeutsamen Umweltbeziehungen zu anderen Teilsystemen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft (v.a. Publika) bestehen (Makroebene). Innerhalb der Mesoebene existieren Austauschbeziehungen zwischen den Medien, etwa durch ökonomische Verflechtungen, Informationsbeschaffung oder der Orientierung an journalistischen Meinungsführern, wobei etwa Nachrichtenagenturen eine herausragende Stellung einnehmen. Zwischen