Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez
Auslandsrundfunk, zum Beispiel BBC World Service (UK), RT (Russland), Voice of America (USA), Deutsche Welle (Deutschland), Radio China International (China) (Carvalho 2009). Auch die monolingualen Mittelschichten, die keine fremdsprachlichen Medien nutzen, können sich dem Auslandsrundfunk zuwenden (Chouikha 1992). Vor allem die Attentate des 11. September 2001 haben zu einer Vergrößerung der Angebote und zu einem neuen Wettlauf zwischen den Groß- und Mittelmächten geführt (Hafez 2005, S.159ff.). Trotz dieser Bemühungen ist grenzüberschreitende Mediennutzung allenfalls eine ergänzende Komponente im Medienmenu der meisten Menschen und kein Beleg für eine starke Globalisierung.
Eine solche kann sich allerdings bei Sondergruppen wie globalen Eliten einstellen, die im Bereich von Politik, Wirtschaft und Kultur permanent selbst Grenzen überschreiten und mobil sind und daher auch in einem höheren Maß als andere Menschen Medien außerhalb ihrer Herkunftsländer nutzen (Wessler/Brüggemann 2012, S.98f., Hafez 2005, S.87f.). Eine herausragende, zugleich aber sehr spezielle Rolle innerhalb der globalen Informationseliten nehmen Migranten ein, die oft regelmäßig Medien jenseits ihres Wohnortes – aus ihren Herkunftsländern oder im Rahmen der Diaspora – nutzen (Galal 2014, Robins/Aksoy 2015). Es ist schwer, die genaue Größe der globalen Informationseliten zu bestimmen, aber selbst bei geringer Zahl dürfte der qualitative Einfluss dieser „Kosmopoliten“ auf die Gesellschaft groß sein. Gerade Migranten können ihre multikulturellen Medienmenus dazu einsetzen, eine transkulturelle Subjektivität an der Schnittstelle von Medienglobalisierung und Postkolonialismus auszubilden, was bislang allerdings viel zu wenig erforscht ist (Merten/Krämer 2016, vgl. a. Brennan 2008). Dennoch liegt hier auch ein häufiges Missverständnis begründet, da solche mobilen Eliten dazu neigen, ihren eigenen kosmopolitischen Medienstil für eine generelle Entwicklungstendenz zur Globalisierung zu halten, während dieser in Wirklichkeit eine Besonderheit darstellt.
Umweltsystem Politik: Nationalstaatliche Hegemonie
Globale Medienpolitik ist ein Spiegelbild des noch immer stark national geprägten Rezeptionsverhaltens der meisten Menschen. Wo Medien nur selten über Grenzen hinweg genutzt werden, braucht es auch keine globale rechtliche und politische Medienregulierung. Transnationale rechtliche Regulierungen sind beschränkt auf wenige kommerzielle oder technikpolitische Felder. Das Abkommen zum Schutz geistiger Eigentumsrechte in der Welthandelsordnung (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, TRIPS) verbietet zum Beispiel Raubkopien. Die EU-Fernsehrichtlinie harmonisiert unter anderem nationale Vorschriften für Werbung, Sponsoring und Teleshopping. Die International Telecommunication Union (ITU) und die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) regeln technische Rahmenbedingungen des Satellitenrundfunks und des Internets. Eine steigende Anzahl der Akteure scheint vordergründig auf eine wachsende Bedeutung der globalen Medienpolitik zu verweisen. Es dominiert aber weiterhin eine „techno-funktionale Perspektive“ (Berghofer 2017, S.365), die zwar technische Fragen global regelt, Medienpolitik aber darüber hinaus im Wesentlichen als Kulturpolitik definiert und die Eigenständigkeit der Nationalstaaten nicht antastet. Sogar die Europäische Union, der wohl ambitionierteste Staatenbund der Erde, belässt die Regulierung der Medien weitgehend bei den Einzelstaaten (Michalis 2016), was zu seltsamen Verwerfungen insofern führt, als eine Reihe von europäischen Staaten in den internationalen Medienfreiheitsrankings (Freedom House, Reporter Ohne Grenzen) nur als „teilweise frei“ eingestuft werden (Italien, Polen, Ungarn usw.), weil die dortigen Regierungen die Medienfreiheit zu stark einschränken, Brüssel oder Straßburg aber kaum etwas dagegen unternehmen.
Globale Medienpolitik bleibt also, abgesehen von einigen kapitalistischen und technischen Rahmenbedingungen der Medien, gerade im Kern der Medienfreiheits- und Konzentrationspolitik weitgehend in den Händen des Nationalstaates (Hafez 2005, S.189ff.). Dies führt in der „Ära der Globalisierung“ ironischerweise immer mehr dazu, dass Meinungs- und Medienfreiheit weltweit durch autoritäre Regimes und autoritäre Tendenzen auch innerhalb von Demokratien bedroht werden (Freedom House 2019). Die Synchronisation einer grenzüberschreitenden Weltöffentlichkeit wird strukturell durch die Hegemonie nationaler Medienpolitik gefährdet (Heft/Pfetsch 2012, S.158f.). Medienfreiheit bleibt daher letztlich ein Privileg vielsprachiger Informationseliten, die sich im Fall der Bedrohung der inneren Medienfreiheit durch Auslandsmedien informieren, wobei sich der Nationalstaat auch hier durch Internetzensur oder die Störung ausländischer Satellitenmedien Geltung verschaffen kann.
In der jüngeren Forschung findet angesichts der Beharrlichkeit des Nationalstaates ein Umdenken statt. Die bis dato verbreitete Kritik am „methodischen Essenzialismus“ (Couldry/Hepp 2009, Kleinsteuber 1994) einer auf den Nationalstaat fokussierten vergleichenden Mediensystemforschung wird nun ihrerseits als zu globalisierungsoptimistisch in Frage gestellt (Flew et al. 2016, S.5). Natürlich kann man einwenden, dass staatliche Medienregulierung nur begrenzt effektiv ist. Gerade im Bereich des Internets haben Unternehmen wie Google und Facebook immer wieder Kritik von nationalen Regierungen ignoriert, was für eine Vorherrschaft globaler Internetkonzerne zu sprechen scheint (Iosifidis 2016, S.23). Im Ernstfall aber, das hat das Beispiel der Türkei unter Präsident Erdogan gezeigt, als dieser YouTube und Facebook abschaltete, sitzt der Staat am längeren Hebel und kann sich durchsetzen. Die Gegenkritik am „methodischen Globalismus“ eines Teils der Kommunikationswissenschaft (Waisbord 2014, S.30) stützt sich auf diese ultimative Souveränität des Nationalstaats in Medienfragen. Dass der Staat mit globalen Herausforderungen im Medienbereich zu kämpfen und auch regulatorische Zugeständnisse gemacht hat, heißt nicht, dass die transnationalen Medienstrukturen das nationale Mediensystem und seine Kontrolle der internationalen Kommunikationsflüsse letztlich beseitigt haben.
Umweltsystem Ökonomie: Grenzen der Transnationalisierung
Globale Teilstrukturen lassen sich auch im Feld der Medienökonomie erkennen. Vor allem amerikanische Medienkonzerne (z.B. Walt Disney, News Corporation, Netflix, Thomson Reuters), aber auch französische (z.B. Vivendi) und deutsche (z.B. Bertelsmann) Global Players, sind aktive Exporteure von Unterhaltungskultur und tätigen Direktinvestitionen in vielen Mediensystemen dieser Welt. Hinzu kommen in den letzten Jahren oft rasant wachsende Firmen im Bereich der Telekommunikation, des Internets und der Informations- und Kommunikationstechnologie aus den USA (z.B. AT&T, Google, Facebook, Amazon) und China (z.B. Tencent, Baidu). Rechnet man die ohnehin starke Stellung am Weltnachrichtenmarkt durch die großen westlichen Nachrichtenagenturen wie Reuters, AFP, AP sowie die begrenzten, aber immerhin sichtbaren Reichweiten westlicher Sender wie CNN hinzu, dominieren Großmächte den globalen Medienmarkt. Bei Suchmaschinen als nicht-klassischen Massenmedien landen mehr als 60Prozent aller Anfragen bei Google, die zusammen mit Yahoo, Baidu und Microsoft 80Prozent Marktanteil besitzen (Winseck 2011, S.36f.). Insbesondere links-kritische Medienwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen haben solche Zahlen immer wieder zum Anlass genommen, vor einem westlichen Medienimperialismus unter dem Deckmantel von Globalisierungspolitik zu warnen (Herman/McChesney 1997, McPhail 2010, Artz/Kamalipour 2003).
Gegen die These der westlichen globalen Mediendominanz haben revisionistische Wissenschaftler eingewendet, dass die großen Weltkonzerne trotz ihres Einflusses in einzelnen Bereichen weit davon entfernt sind, ganze Medienmärkte zu beherrschen. Die Transnationalisierung des Medienkapitals kennt klare Grenzen und in den national geprägten Mediensystemen dieser Welt dominiert nach wie vor nationales (und zum Teil regionales) Medienkapital (Flew 2007, 2009, 2011, Hafez 2005, Compaine 2002, Rugman 2002), was im Übrigen sogar die Vertreter der westlichen Dominanzthese gelegentlich einräumen (Herman/McChesney 1997, S.9). Statt eines homogenen globalen Medienmarktes existiert heute ein Flickenteppich nationaler und regionaler Märkte, in die transnationale Teilstrukturen und Handelsbeziehungen eingebettet sind. Terry Flew spricht hier von einer „statistischen Illusion“ (2007, S.82), da die imposanten internationalen Gewinne mit noch größeren lokalen Gewinnen an den Stammsitzen der Konzerne (also vor allem in den USA und Europa) verglichen werden müssten. Medienkonzerne sind demnach weitaus weniger global als Unternehmen in anderen Branchen, weswegen die Branche eher ein „Nachzügler“ (laggard) als ein Vorreiter der Globalisierung ist (Flew 2007, S.87, 208, vgl. a. Hafez 2005, S.212).
Das zweite analytische Versäumnis besteht darin, dass der betriebswirtschaftliche Blick auf einzelne Mediengiganten noch nichts über volkswirtschaftliche Marktanteile aussagt. Letzteres ist aber entscheidend, um den realen Einfluss der Global Players zu messen, die den lokalen „Provinzfürsten“