Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez

Grundlagen der globalen Kommunikation - Kai Hafez


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ebenso kontextabhängig und erklärungsbedürftig wie Texte (Müller/Geise 2015, S.24ff.). Zwar ist wegen des Fehlens einer „expliziten propositonalen Syntax“ (Geise et al. 2013, S.52) eine Bildanalyse nach dem Prinzip des „visuellen Framings“ schwer zu etablieren. Reduzierte Methoden der Analyse „visueller Stereotype“ untersuchen statt inhärenter Bildaussagen daher lediglich isolierte und häufig wiederkehrende Elemente und Symboliken (Petersen/Schwender 2009). Bilder müssen aber in jedem Fall wie Texte interpretiert werden und müssen vom Journalismus global „interdiskursiv“ behandelt und in nationale Diskurse „übersetzt“ werden.

      Da das Bild integraler Bestandteil eines Diskurses ist, verwundert es nicht, dass hier dieselbe Grundproblematik von Konvergenz und Domestizierung diskutiert wird. Frauenzeitschriften etwa werden heute vielfach von international agierenden Verlagen herausgegeben, die visuellen Diskurse gleichen sich thematisch trotz bestehender Unterschiede in den Rollenmustern immer weiter an (Machin/van Leeuwen 2007). Dennoch scheint gerade die Auslandsberichterstattung kulturelle und politische Stereotype vielfach zu reproduzieren. Die EU beispielsweise wird visuell gern als bürokratischer und krisenanfälliger Apparat dargestellt (Chaban et al. 2014). Afghanistan ist visuell ein fast ausschließlich kriegsgeschütteltes Land geblieben, in dem Frauen unterdrückt werden – ein global verbreitetes Image, das lokale Fotojournalisten gerne korrigieren würden (Mitra 2017). Obwohl fiktionale Medienräume hier auch in zensierten Mediensystemen freier agieren können als das Nachrichtenwesen, ist die Vorstellung von einer transnationalen Hybridität, „Glokalisierung“ und Konvergenz auch im visuellen Bereich zu hinterfragen und lokale Produktions- und Rezeptionskontexte bleiben bedeutsam (McMillin 2007, S.111ff.).

      Transnationale Medien: Contra Flows ohne Kosmopolitismus

      Weltnachrichtenagenturen verstärken immerhin die interdiskursive thematische Synchronisation, wie wir gesehen haben, wenngleich von einer inhaltlichen Konversion durch nationale Medien nur sehr bedingt die Rede sein kann. Aber welche Rolle spielen hier transnationale Leitmedien wie BBC World, CNN, Al-Jazeera English, CCTV oder Telesur? Untersuchungen zeigen, dass auch sie im Wesentlichen die „Spitze des Eisbergs“ der etablierten globalen Nachrichten abbilden und insofern nur begrenzt einen thematischen interdiskursiven Contra Flow etablieren (Atad 2016, S.10, Schenk 2009, S.131). Allerdings sind subtile Verschiebungen in Richtung einer konstruktiveren und weniger negativen Medienagenda dort zu erkennen, wo etwa der englischsprachige Kanal Al-Jazeera English Afrika nicht mehr nur als Kontinent von Armut und Konflikten, sondern durchaus auch als Sphäre ökonomischer Erfolge und vielfältiger Lebenswelten präsentiert (Seib 2012, Robertson 2015). Im Bereich des Framing ist sich jedoch die Literatur weitgehend einig, dass globale Sender in hohem Maße die national gefärbte Sicht ihrer jeweiligen Heimatstaaten reflektieren. Dies gilt auch für viel gelobte Medien wie BBC World, einen Sender, der trotz seines interdiskursiven („dialogischen“) Anspruchs eine britisch konnotierte Themensetzung, Machtrhetorik und ein tradiertes Vertrauen in westliche Institutionen nicht verleugnen kann (Dencik 2012, S.39f., 56ff., Baumann et al. 2011, Atad 2016).

      Dennoch sind einige Aspekte der transnationalen Sender bemerkenswert. Die thematische Übereinstimmung in ihren Agenden scheint der Minimaldefinition der Weltöffentlichkeit als einer global geteilten Agenda zu entsprechen, auch wenn, wie gesagt, die typischen Vermachtungstendenzen dieser von Großmächten betriebenen Transnationalisierung bei Themen und Frames auffallen. Die nationalen Deutungen zirkulieren zudem in internationalen Kommunikationsflüssen und es entsteht zwar kein kosmopolitischer interner, aber ein global verfügbarer externer Pluralismus dort, wo diese Medien parallel genutzt werden (el-Nawawy/Iskandar 2003, S.54). Schließlich werden gerade bei den positiveren Themendeutungen erste Anpassungen von Massenmedien an transnationale Publika und Märkte erkennbar. Zwischen den nationalen Produktions- und den globalen Rezeptionskontexten entsteht insofern ein hybrides Spannungsfeld. Durch globale Medien bilden sich in nationalen Mediensystemen also transnationale Teilstrukturen aus. Die begrenzt global erweiterten Arenen sind vor allem für Informationseliten von Belang, die oft mehrere globale Medien rezipieren und daher eine leicht verbesserte thematische Koorientierung erleben. Eine integrierte Weltöffentlichkeit, in der Medien unabhängig vom Nationalstaat quasi als „Vereinte Medien“ nationale Diskurse global synchronisieren, ist dies sicher noch nicht, ebenso wenig wie klar ist, ob der externe Pluralismus der globalen Leitmedien, der, wie die Frontstellung von CNN und Al-Jazeera 2001 und 2003 erwiesen hat, sehr konflikthaft verlaufen kann, die internationalen Beziehungen stabilisiert oder nicht.

      Fazit: Unvollendete Synchronisation globaler Mediendiskurse

      In der Gesamtschau scheinen die strukturellen Prägungen der Massenmedien den globalen Diskurs der Medien in hohem Maße zu determinieren. Fragmentarisch und unzuverlässig vernetzt durch egozentrische Mediensysteme und einige zentral gesteuerte Nachrichtenflüsse und transnationale Medien ist die Synchronisation durch konvergente Diskurse thematisch und inhaltlich in Ansätzen erkennbar, besticht aber vor allem durch vielfältige Formen der lokalen Domestizierung. Weltnachrichtenagenturen und transnationale Meinungsführermedien setzen zentrale Themen ohne interdiskursive Qualitätsgarantie. Von einem integrierten globalen Mediensystem oder zumindest einer responsiven Weltöffentlichkeit, in der die nationalen Mediensysteme globale Themen und Frames zuverlässig auf der Basis einer dezidiert globalen Journalismusethik aus den lokalen Diskursen herausdestillieren, sind wir gerade unter Bedingungen internationaler Krisen noch weit entfernt. Es bleibt die Frage, wie dieses Verhältnis anschließend theoretisch zu bewerten ist und welche Alternativen sich auftun.

      2.2.2 Öffentlichkeitstheorie

      Theoretische Perspektiven auf die „Weltöffentlichkeit“

      Die Diskurspraxis der globalen Massenkommunikation, wie wir sie bisher skizziert haben, lässt sich nicht nur aus diskursanalytischer, sondern auch aus medientheoretischer Sicht beurteilen. Die deliberative Öffentlichkeitstheorie, die vor allem auf Jürgen Habermas (1990, 1992, 1995) zurückgeht, aber auch zahlreiche andere Autoren inspiriert hat, stellt vergleichsweise hohe Anforderungen an den Diskurs. Öffentlichkeit besitzt demnach eine zentrale Legitimierungsfunktion für die Demokratie (Beierwaltes 2002). Sie muss zudem „ubiquitär“ sein, also Fragen allgemeiner Relevanz behandeln, „reziprok“, das heißt Hörer- und Sprecherpositionen simulieren, möglichst „offen“ gegenüber verschiedenen Themen und „diskursiv“ im Sinne der Berücksichtigung rationaler Einwände (Peters 1994, S.45ff.). Hinzu kommt der Aspekt der Konsensbildung zur Problemlösung und gesellschaftlichen Integration, der allerdings in der agonistischen Öffentlichkeitstheorie bestritten wird, da eine Einigung oft schwer zu erzielen ist und Integration durch den Diskurs an sich erfolgt (Mouffe 2005, S.69ff.). Die Kriterien beschreiben im Detail das, was wir bislang mit „Responsivität“ und „Interdiskursivität“ bezeichnet haben. Im globalen Raum geht es also um die grenzüberschreitende Reflexion anderer Positionen aus anderen Ländern. Die Kernfrage aus Sicht der Öffentlichkeitstheorie besteht somit darin, ob nationale Mediensysteme und wenige transnationale Medien trotz schwacher Systeminterdependenz ihre Systemumwelten – die Öffentlichkeiten anderer Länder – adäquat repräsentieren können.

      Interessant ist hier, dass die meisten Empiriker der Konvergenz (vgl. Kap. 2.2.1), egal ob sie eher Pessimisten oder Optimisten sind, im Kern dieselben öffentlichkeitstheoretischen und normativen Konvergenzziele verfolgen, auch wenn sie die Umsetzung in der Gegenwart unterschiedlich bilanzieren. Auch Diskurspessimisten wollen also Konvergenz, sehen aber Domestizierung als vorherrschend an, da sowohl Thematisierung und Framing als auch visuelle Gestaltung stark lokal gefärbt sind. Eine funktionierende Weltöffentlichkeit kann bei einer derartig eingeschränkten Synchronisation auf diese Weise nicht entstehen (Sparks 1998, 2000, Couldry 2014).

      Nancy Fraser hat darauf hingewiesen, dass das Konzept Öffentlichkeit für den globalen Raum insofern neu durchdacht werden muss, als zum Beispiel gar nicht unmittelbar klar ist, in welcher Sprache der Diskurs geführt werden soll und wer die relevanten Akteure (Staaten, Gegeneliten) und Publika sein sollen (Fraser 2014, S.27). Weltöffentlichkeit kann entweder durch die Synchronisierung nationaler Öffentlichkeiten in national getrennten Mediensystemen oder durch die Etablierung eines transnationalen Mediensystems geleistet werden (Ulrich 2016, S.111ff.). Beide Modelle haben Vor- und Nachteile, da ein transnationales Mediensystem sich die Filterung durch nationale Systeme ersparen


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