Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez
Hafez 2002b, 2003b). Ganz generell sind starke Übereinstimmungen formaler Ethik im Kernbereich der Objektivität und Wahrheitssuche und größere Unterschiede bei Freiheitsnormen sowie Individualitäts- und Gemeinschaftsbezügen des Journalismus feststellbar (Christians/Traber 1997). Die Differenzen der Medienethiken in Mediensystemen sind allerdings fluide und dynamisch und professionelle Rollenmodelle können interkulturelle „Ansteckungswirkungen“ und Demonstrationseffekte erzeugen, die auch bei journalistischen Routinen wie Nachrichtenwerten oder in der journalistischen Gestaltungsästhetik zu beobachten sind (Machin/von Leeuwen 2007, S.8f., Sklair 1995, S.159f.). Der transnationale Fernsehsender Al-Jazeera ist auch deshalb als „arabisches CNN“ bezeichnet worden, weil er eine ähnliche Präsentationsweise wie sein westliches Pendant benutzte.
Man darf die Harmonisierung von Professionsstandards allerdings nicht mit einer Harmonisierung von Inhalten verwechseln. Selbst bei identischen Objektivitätsstandards werden Themenselektion und -interpretation des Journalismus systemisch sehr unterschiedlich geprägt (vgl. Kap. 2.2.1). Gerade in Kriegs- und Krisenzeiten sind geradezu konträre Mediendiskurse keine Seltenheit und die Synchronisation der globalen Öffentlichkeit bleibt unterentwickelt. Nur eine Vorstellung wie die von Marshall McLuhan, wonach das Medium selbst die Botschaft ist (McLuhan 1964), kann die inhaltlichen Differenzen ausblenden und aus der transnationalen Konvergenz der journalistischen Profession eine Globalisierung von Massenkommunikation im „globalen Dorf“ ableiten (vgl. Kap. 1.1). Wie wenig eine solche Analyse allerdings trägt, wird daran deutlich, dass internationale Ethikkodizes bislang kaum existieren und nationale Werte wie Internationalismus oder Kosmopolitismus in nationalen Kodizes kaum erwähnt werden (Hafez 2008, S.160f.). Die Formulierung einer globalen, kosmopolitischen und/oder postkolonialen Medienethik bleibt also eine Zukunftsaufgabe (Ward/Wasserman 2010).
(G)lokale Medienproduktion
Es ist sinnvoll, zunächst einmal nationale und transnational ausgerichtete Massenmedien zu unterscheiden. Die durch nationale Medien produzierte Auslandsberichterstattung erzielt dabei größere Reichweiten als die transnationalen Medien. Nationale Auslandsberichterstattung steckt zwar weltweit in einer durch die Digitalisierung, Einnahmenrückgänge und Ressourcenknappheit entstandenen Krise, die sich vor allem in einem Abbau von Korrespondentenstellen bemerkbar gemacht hat (Lewis 2010). Dies ändert jedoch nichts an der prinzipiell starken Stellung der nationalen Auslandsberichterstattung. Transnational agierende Medien sind für die meisten Rezipienten eher Ergänzungen als ein Ersatz und der gesamte Marktanteil von Fernsehsendern wie CNN, Al-Jazeera English oder BBC World sowie für europäische Sender wie Euronews, Eurosports oder Fashion TV, um nur einige Beispiele zu nennen, kann auf maximal 10Prozent geschätzt werden (Chalaby 2009, S.118), dürfte jedoch tatsächlich noch niedriger liegen. Zwar sind transnationale Medien weltbekannt und verfügen als Leitmedien innerhalb des Journalismus und Referenzmedien von Informationseliten unter den Rezipienten (siehe unten) über einen gewissen meinungsführenden Einfluss (Samuel-Azran 2009), ihre Marktanteile sind aber oft sehr klein, was zur Folge hat, dass viele dieser Medien defizitär wirtschaften und von ihren Heimatstaaten subventioniert werden. Es wird zudem noch zu untersuchen sein, ob diese transnational agierenden Sender globale Diskurse besser repräsentieren können als nationale Massenmedien (Chalaby 2009, S.228, vgl. Kap. 2.2.1).
Die starke Stellung nationaler Medien wird allerdings durch globale Kommunikationsflüsse und neue transnationale Strukturen relativiert. Der nationale Nachrichtenjournalismus wird seit einiger Zeit durch verschiedene Projekte des grenzüberschreitenden „kollaborativen Journalismus“ ergänzt, der etwa anlässlich der „Panama Papers“ bekannt geworden ist (Alfter 2016, 2019, Heft 2019). Da diese Projekte eher Ausnahmen darstellen, bleibt der nationale Journalismus weiterhin dominant und der Cross-Border-Journalismus stellt ebenso wie die transnationalen Medien allenfalls eine Ergänzung als eine echte Alternative dar (Grieves 2012, S.169). Vor allem im Nachrichtengeschäft gilt die Regel, dass sich transnationale Medienstrukturen nur sehr schwer etablieren lassen, da immer die Notwendigkeit sprachlicher, personeller und inhaltlicher Anpassungen an die diskursiven Interessen und Gewohnheiten von Konsumenten in den jeweiligen Ländern zu bestehen scheint.
Zugleich zeigt sich – dies ist eine weitere wichtige Relativierung der nationalen Produktionsverhältnisse –, dass fiktionale Unterhaltung schon immer stärker vom Im- und Export geprägt gewesen ist als das Nachrichtenwesen. Bekanntestes Beispiel hierfür sind Hollywoodfilme, aber auch lateinamerikanische Telenovelas, die weltweit verbreitet sind. Im Vergleich zu dem durch nationale Präferenzen gekennzeichneten Nachrichtengeschäft kann man den Unterhaltungsbereich als Kernbereich der Globalisierung und einer hybriden Kulturentwicklung bezeichnen, da hier nationale Produktionen zwar stark bleiben, aber mitunter weniger vorherrschend sind (Hafez 2005, S.115ff., Straubhaar 2014). Allerdings sind auch die Unterhaltungsindustrien der Medien noch immer stark lokal ausgerichtet (Kawashima/Hye-Kyung 2018). Nationale Produktionen besitzen gerade im Fernsehbereich die größten Reichweiten, weswegen man die Internationalisierung der Unterhaltungsindustrie nicht überschätzen darf (Flew 2007, S.127, Hafez 2005, S.115ff., Straubhaar 2007). Die großen Filmindustrien in Indien (Bollywood), in der arabischen Welt, in China, Iran oder Trickfilmproduktionen aus ostasiatischen Ländern sind auf ihren lokalen Märkten jeweils dominant.
Es ist ihnen allerdings auch gelungen, im internationalen Exportgeschäft einen globalen Contra Flow zu etablieren, der der weiterhin bestehenden amerikanischen Filmdominanz immerhin Konkurrenz macht (Thussu 2019, S.191ff.). Die These von einem westlichen „Kulturimperialismus“ durch Globalisierung ist zu vereinfachend, da sie weder die gleichzeitig stattfindende Modernisierung nationalsprachlicher Kulturen noch die Globalisierungspotenziale des globalen „Südens“ berücksichtigt (Hafez 2005, S.128ff.).
Globale Rezeptionskluft: Informationsmassen und -eliten
Rezeption (Makroebene) ist neben der Ethik (Mikroebene) und der Produktion (Mesoebene) ein wesentliches Strukturmerkmal der globalen Massenkommunikation. Mediensysteme transnationalisieren sich schon deshalb nur sehr zögerlich, weil nationale Medien von den allermeisten Konsumenten noch immer bevorzugt werden. Die „relative Bedeutungslosigkeit“ (relative unimportance, Sparks 2016, S.61) transnational ausgerichteter Sender hat ihre Ursache im nationalen Rezeptionsverhalten eines Großteils des Publikums. An diesen Rezeptionsstrukturen hat sich auch in der Ära des direktempfangbaren Satellitenrundfunks seit den späten 1980er Jahren und des Internets seit den 1990er Jahren nichts Wesentliches geändert (Wessler/Brüggemann 2012, S.98ff.). Bei aller notwendigen Vorsicht gegenüber Zahlen der globalen Reichweitenforschung, die oft von den Unternehmen selbst verbreitet werden und nicht immer präzise sind (Zöllner 2004), lässt sich dennoch sagen: Sowohl die Nutzung transnationaler Medien (wie CNN, BBC World usw.) als auch die grenzüberschreitende Nutzung anderer nationaler Medienangebote bleiben ein Randphänomen der Mediennutzung (Hasebrink/Herzog 2009). Diese Erkenntnis ist keineswegs trivial, sondern eminent bedeutsam. Da, wie wir noch sehen werden, nationale Auslandsbilder häufig eine negative oder zumindest stereotype Prägung aufweisen, werden auch die Konsumenten durch den primär nationalen Medienkonsum verstärkt negativen Stereotypen ausgesetzt (vgl. Kap. 2.2.1). Die globale Rezeptionskluft ist zu einem nicht geringen Teil für die Problematik von Nationalismus und Rassismus bis hin zum rechtspopulistischen Angriff auf die Globalisierung verantwortlich.
Allerdings gibt es auch hier einige bemerkenswerte Ausnahmen und Gegentrends zu der allgemeinen Regel der nationalen Mediennutzung, die sich an Sondersituationen (Sprachräumen und Auslandsrundfunk) sowie an Sondergruppen (Migranten und globalen Eliten) festmachen lassen. Medien werden grenzüberschreitend vor allem in geolinguistisch homogenen Sprachräumen genutzt, wenn diese mehrere Nationalstaaten umfassen, etwa im deutschsprachigen (Deutschland, Österreich, Schweiz) oder im arabischsprachigen oder spanischsprachigen Raum mit jeweils mehr als zwanzig Ländern (Sinclair et al. 1996). Die Entwicklung des Satellitenrundfunks und des Internets hat diese „kleine Grenzüberschreitung“ begünstigt, sie ist aber im Prinzip deutlich älter und hat mit gemeinsamer Geschichte und Sprachverwandtschaft zu tun. Da diese Nutzungsform nicht global ist, sondern in historisch tradierten Kulturräumen verbleibt, ist es fraglich, ob man diese Form der Regionalisierung als Globalisierung bezeichnen kann. Einerseits werden nationale Grenzen überschritten. Andererseits wird die Vorstellung von „Kulturkreisen“ technisch wiederbelebt, was einer kosmopolitischen und universellen Vorstellung von Globalisierung im Wege steht (Hafez 2005, S.98ff.).