Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez
wie Armut in den Medien der Entwicklungsländer dominieren (Ulrich 2016, S.301ff.). Die vorherrschenden Professionsstandards und Nachrichtenfaktoren, globalen Leitmedien und Nachrichtenagenturen verhindern zwar, dass Mediensysteme autark sind, sich abschotten und ermöglichen zeitweise dynamische Öffnungen und kurzfristige Internationalisierungen der Diskurse. Gerade soziale und kulturelle Entwicklungen werden aber oft ignoriert und bleiben schwache Prädiktoren eines thematisch wenig konvergenten globalen Mediendiskurses. Zwei Drittel der Landmasse und der Bevölkerung dieser Erde in Asien, Afrika und Lateinamerika bleiben in westlichen Medien, von wenigen, oft negativen Ausnahmen abgesehen, weitgehend unsichtbar (Williams 2011, S.145f.).
Globales Framing oder domestizierte Diskurse?
Um die Synchronität globaler Mediendiskurse aus den Perspektiven von Konvergenz und Domestizierung beurteilen zu können, müssen neben Makropropositionen wie der thematischen Medienagenda auch Mikropropositionen wie Stereotype und Frames untersucht werden. Hier geht es nicht mehr wie beim Themenhaushalt um die Frage, was berichtet wird, sondern wie dies geschieht. Als locus classicus der Forschung gelten mittlerweile die Arbeiten von Michael Gurevitch, Mark R. Levy und Itzhak Roeh, die bereits 1991 gezeigt haben, dass selbst ein- und dasselbe Thema in verschiedenen nationalen Mediensystemen sehr unterschiedlich dargestellt werden kann, was sie als „Domestizierung des Fremden“ (domestication of the foreign, S.206) bezeichneten. Die Vorstellung, in einer durch Nachrichtenagenturen und globale Medienkonzerne verbundenen Welt automatisch auch mit globalen Perspektiven versorgt zu werden, erweist sich angesichts des nationalen Systemcharakters der Medien als unhaltbar, da Stereotype und Frames auch in der Gegenwart vielfach national geprägt bleiben.
Am deutlichsten erkennt man dies an Nationen- und Religionsstereotypen. Stereotype sind anders als Frames pauschale Zuschreibungen kultur-mentaler Charaktereigenschaften, die für eine bestimmte Gruppe oder ein Land als typisch erachtet werden und die auch in modernen Mediensystemen eine erstaunliche Überlebensfähigkeit zeigen, so dass die Zahl der Studien hier schier unüberschaubar ist (vgl. die Metastudie von Thiele 2015). Da analytisch die Abgrenzung zwischen Stereotypen (als pauschalen Attributen für Nationen und Gruppen) und Frames (als argumentative Rahmung einer Handlung) schwierig ist (Hafez 2002a, Bd.1, S.47f.), werden in der Forschung diese verschiedenen Mikropropositionen des Diskurses häufig in Kombination untersucht. Viele Studien zeigen die starke Vorurteilsneigung von Auslandsberichterstattung etwa wenn es um Themen wie Islam (Hafez 2002a, Bd.2, S.207ff., Schiffer 2005, Poole/Richardson 2006, Mertens/de Smaele 2016) oder um Nationenstereotype geht (u.a. von Bassewitz 1990, Marten 1989, Tzogopoulos 2013). Stereotype existieren heute gerade auch im fiktionalen Bereich, umfassend erforscht wurden zum Beispiel Araber-Stereotype in Hollywoodfilmen (Shaheen 2009, Kamalipour 1995). Ethnische und religiöse Stereotype in fiktionalen und nicht-fiktionalen Medien sind nicht nur der Rohstoff für die Weltbilder des Rassismus und rechtspopulistischen Anti-Globalismus (Hafez 2013). In einem global integrierten Mediensystem hätten sie wohl auch keine Überlebenschance, da sie an die Diskriminierten selbst nicht verkaufbar wären. Wegen der strukturellen Interdependenzlücke globaler Massenkommunikation aber können sie in den nach wie vor stark isolierten nationalen Diskursgemeinschaften überleben. Auch wenn Massenmedien sicher nicht nur Stereotype produzieren, sondern Fakten und reale Zusammenhänge vermitteln, ist die schiere Existenz von Stereotypen in Massenmedien ein Beleg für die starke Domestizierung globaler Massenkommunikation.
Schwieriger ist die Beurteilung bei nicht-stereotypen Frames. Zahlreiche Studien weisen allerdings auch bei der argumentativen Vermittlung internationaler Sachverhalte auf Domestizierungseffekte hin. Hier nur einige Beispiele:
die Mediendiskurse nach den Anschlägen des 11. September 2001 waren in westlichen und nahöstlichen Medien geradezu konträr und zeigten, wie stark nationale Mediensysteme lokalen Einflüssen ausgesetzt sind (Hafez 2005, S.62ff., vgl. a. Dimitrova/Strömbäck 2008);
der palästinensisch-israelische Konflikt wird seit Jahrzehnten von beiden Seiten extrem unterschiedlich geframed (Müller 2017);
die verbreitete Charakterisierung von Kriegen in Afrika als ethnische „Stammeskriege“ statt als Kriege um Macht und Ressourcen ist ein exogenes Framing (Williams 2011, S.150ff., Allen/Seaton 1999);
beim Thema Terror sind westliche und arabische Mediendiskurse geradezu notorisch unterschiedlich, da zwar beide Sphären den Terror ablehnen, im Westen aber ein Mitverschulden westlicher Nahostpolitik am Terrorismus und im arabischen Raum eigene politische Versäumnisse tendenziell ausgeblendet werden (Badr 2017);
da Akteure oft als „Sprecher“ und somit Transporteure von Frames in Medien erscheinen, ist von Bedeutung, dass auch bei scheinbar globalen Themen wie den Vereinten Nationen die Sprecherreferenzen deutlich national geprägt sind (Ulrich 2016, S.398f.);
auch beim Thema Europa weisen eine Reihe von Studien trotz steigender Wahrnehmung des Themas und transnationaler Sprecherreferenzen (v.a. des EU-Personals und hochrangiger europäischer Politiker) auf zum Teil eklatante inhaltliche Unterschiede eines noch immer hochgradig segmentierten Mediendiskurses in Europa hin (Sievert 1998, de Vreese et al. 2001, Koopmans/Erbe 2003, Brüggemann et al. 2006, Hepp et al. 2012, AIM 2007);
selbst Projekte des Bürgerjournalismus im Internet wie OhmyNews International oder Groundreport erzeugen vielfach ähnliche Domestizierungen wie die professionellen Medien (Dencik 2012, S.171).
Infolge der zahlreichen Studien der letzten Jahrzehnte haben Autoren wie Akiba A. Cohen (2013b), Kai Hafez (2002a/b, 2005, 2009b, 2011), Richard C. Stanton (2007), Bella Mody (2010), Kristina Riegert (2011) oder Miki Tanikawa (2019) die fortgesetzte Domestizierung von Medieninhalten auch in der Ära der Globalisierung (gerade in Krisenzeiten) betont und transnationale Konvergenz tendenziell in Zweifel gezogen. Diese einst revisionistische und globalisierungsskeptische Sichtweise, die die Einlösung des Konvergenzversprechens der globalen Massenkommunikation bestreitet, wird mittlerweile als der neue „Standard“ oder sogar die neue „Orthodoxie“ in der Wissenschaft betrachtet (Curran et al. 2015, S.1, 14). Zwar üben einige optimistischere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Kritik dahingehend, dass vergleichende Medieninhaltsanalysen verschiedener Länder durchaus auch Konvergenzen im Framing durch Massenmedien aufweisen, was sie damit erklären, dass gerade Weltnachrichtenagenturen eine gewisse vereinheitlichende Wirkung ausüben können (Curran et al. 2015, vgl. a. Wessler/Brüggemann 2012, S.91f., Lück et al. 2015, Volkmer 2014, S.3f., Bucher 2005, S.187f.). Aber auch diese Analysen wenden sich gegen eine Rückkehr zur Konvergenzmetapher des „globalen Dorfes“, die nicht angemessen erscheint, um den Ist-Zustand der Weltnachrichten zu charakterisieren.
In den optimistischeren Befunden, die von höherer Konvergenz ausgehen, werden zudem die systemischen Rahmenbedingungen der Nachrichten ausgeblendet, etwa wenn die Haltung zur Griechenlandkrise in Ländern mit sehr ähnlichen wirtschaftspolitischen Positionen untersucht wird oder aber der Diskurs zur Klimakrise als einem global verbindenden Thema. Die Domestizierung des Framings nimmt nämlich in aller Regel mit dem Grad der konflikthaften Involvierung der Nationalstaaten eklatant zu, da die internen Eigeninteressen der nationalen Systeme sich fast immer hegemonial in den Medien bemerkbar machen. Zudem kommt es bei der Konvergenz von Frames nicht nur darauf an, ob beliebige Argumente sich in verschiedenen nationalen Mediendiskursen niederschlagen, sondern ob die Responsivität sich auf die für den Konflikt zentralen Frames bezieht – was etwa beim Thema Terrorismus trotz gewisser Konvergenzen der Terrordiskurse nicht der Fall ist. Der Copy-and-Paste-Journalismus der Übernahme von Material der Weltagenturen weicht unter Bedingungen einer aktivierten öffentlichen Debatte meist schnell einer starken Eigenprägung der nationalen Mediendiskurse. Konvergenz in der globalen Massenkommunikation ist also bestenfalls eine instabile Größe – die Domestizierung bleibt die Tiefenstruktur der Medienglobalisierung.
Visuelle Globalisierung und Stereotypie
Synchronität durch Interdiskursivität existiert nicht nur auf der Ebene von Texten, sondern auch im visuellen Bereich. Vor allem Bilder steuern im internationalen Nachrichtenwesen die Emotionen der Rezipienten mit Blick auf Länder und Weltentwicklungen (Chaban et al. 2014). Es besteht zudem ein enges Text-Bild-Verhältnis: Das Textframing kann die Wahrnehmung von Bildern und umgekehrt die Bildwahrnehmung das Textverstehen