Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez
werden können, umfasst der Diskursbegriff auch Beziehungen zwischen Texten (Intertextualität, Konerding 2005). Der öffentliche Diskurs ist kein interaktives Gespräch im Sinne einer gemeinsamen Sinnproduktion, er bleibt monologisch, verfügt aber insofern über dialogähnliche Eigenschaften, als intertextuelle Bezugnahmen zu anderen Texten erkennbar sind. Intertextuelle Diskurse wiederum besitzen eine Integrationsfunktion und erzeugen durch ihre sprachliche Verständlichkeit Diskursgemeinschaften (Öffentlichkeiten).
Die Frage ist nun, inwieweit die strukturell relativ getrennten nationalen Mediensysteme dieser Welt eine transkulturelle Mittlerfunktion wahrnehmen, indem sie nationale Diskurse miteinander synchronisieren und einen globalen und transkulturellen „Interdiskurs“ schaffen, wobei Eigen- und Fremdverstehen verbunden werden (Hafez 2002a, Bd.1, S.163ff.). Kongruenz und Differenz der lokalen Diskurse müssten dazu in der Auslandsberichterstattung ermittelt und „übersetzt“ werden. Dabei kann es zu erheblichen Schwierigkeiten kommen, da sich nicht nur die Themenauswahl und die Interpretationen in verschiedenen Diskursgemeinschaften unterscheiden können, sondern auch das Kontextwissen mit der Entfernung zum internationalen Geschehen naturgemäß abnimmt und vom Auslandsjournalisten vermittelt werden muss (Hafez 2002a, Bd.1, S.65f.). Der Prozess wird auch dadurch verkompliziert, dass akustische, visuelle und textuelle Zeichen unterschiedliche Logiken in der globalen Kommunikation haben. Während Musik und Bilder relativ einfach Grenzen überschreiten und scheinbar „selbsterklärend“ sind, müssen Texte übersetzt, aufbereitet und kontextualisiert werden. Aber auch Bilder sind nur auf den ersten Blick nicht erklärungsbedürftig und daher oft hochmanipulativ.
An die interdiskursive Synchronisation werden verschieden strenge Maßstäbe angelegt. Aus der Konvergenzperspektive besteht die Aufgabe des Journalismus darin, Diskurse anderer Systeme nicht nur umfassend und exakt wiederzugeben, sondern sie auch im Eigendiskurs sinnvoll zu erklären und somit nationale Diskurse zu verbinden und globale Perspektiven zu erzeugen (Stanton 2007, Hafez 2002a, Bd.1, S.24ff.). Als zentrale Merkmale gelten a) Themenkonvergenz, b) zeitliche Synchronität und Intensität und c) Deutungs- und Sprecherkonvergenz (Tobler 2006, Ulrich 2016, S.114). Die Unterscheidung zwischen Deutungs- und Sprecherkonvergenz ist insofern wichtig, als zwar Deutungen von Themen national abweichen können, außernationale Diskurse aber durch Sprecher repräsentiert sein müssen, so dass Responsivität entsteht. Die Vorstellung konvergenter Interdiskursivität in der Weltöffentlichkeit orientiert sich an der deliberativen Öffentlichkeitstheorie (vgl. Kap. 2.2.2).
Aus der Domestizierungsperspektive wird Auslandsberichterstattung für nationale Zielgruppen konzipiert, wobei die Art der Weltbildkonstruktion keine Referenzen jenseits des eigenen, geradezu autarken Beobachtungssystems berücksichtigen muss (Renneberg 2011, S.45ff.). Die Konvergenzsicht kritisieren diese Autoren als „methodologischen Konnektivismus“ (Werron 2010, S.143), dem sie eine Art unverbundene Medienmoderne entgegensetzen. Diese unterschiedlichen Theorieansätze sollen in Kapitel 2.2.2 vertieft werden. Zuvor allerdings beschäftigen wir uns mit dem empirischen Ist-Zustand des globalen Mediendiskurses, der ebenfalls kontrovers beurteilt wird.
Fragmentierte Nachrichtenagenda: die Spitze des Eisbergs der Globalisierung
Es ist ein grundsätzliches Paradoxon, dass in der Ära der Globalisierung die Aufmerksamkeit für Auslandsnachrichten nicht gestiegen, sondern eher gesunken ist (Willnat et al. 2013, Ulrich 2016, S.118ff., Russ-Mohl 2017, S.162f., Norris 1995). Das Auslandsinteresse des Publikums ist nicht einheitlich, es ist insbesondere in kleineren Staaten oft größer und wächst, sobald einheimische Akteure beteiligt sind (home news abroad) (Hanitzsch et al. 2013). Aber historische Zäsuren machen sich bemerkbar und das Ende des Ost-West-Konflikts hat eher zu einem Rückgang des Weltinteresses geführt. Talkshows in großen Industriestaaten wie Deutschland beschäftigen sich ganz überwiegend mit nationalen und kaum mit internationalen Fragen (Schultz 2006, S.168ff.). Das Interesse kann jedoch sehr starke kurzfristige Schwankungen aufweisen und insbesondere internationale Krisen und Kriege mit bedrohlichem Charakter wie die Attentate des 11. September 2001 oder der Irakkrieg 2003 haben für eine begrenzte Zeit die Aufmerksamkeit erhöht.
Ganz generell ist die Logik interessant, nach der in den jeweiligen nationalen Mediensystemen Länder und Themen beachtet oder ignoriert werden. Es lässt sich am besten durch einige zentrale diskursstrukturelle Theoreme erklären (Hafez 2002a, Bd.1, S.51ff., 2005, S.39ff.). Auslandsnachrichten überwinden die Schwelle der Berichterstattung zumeist nur, wenn diese entweder aus dem regionalen Ausland oder aus den „Weltmetropolen“ (z.B. USA, Russland, China), also aus Ländern mit hohem Machtstatus, stammen. Sie sind vielfach politik- und eliten- und weniger lebensweltorientiert und konzentrieren sich oft auf negative Nachrichten über Konflikte, Kriege und Katastrophen. Diese Logik lässt sich nicht nur durch viele empirische Fallstudien erhärten, sondern stützt sich auf Nachrichtenfaktoren wie politische und ökonomische Zentralität, Konfliktorientierung oder kulturelle Nähe und Distanz (Williams 2011, S.146ff., Cazzamatta 2014, 2018a/b, 2020). Das Resultat dieser Gatekeepingprozesse sind extrem fragmentarische Weltbildkonstruktionen der Medien, in denen viele Staaten ohne akute Konflikte oder Machtstatus kaum Resonanz finden, während Krisenregionen und Großmächte überpräsent sind und eine hegemoniale Weltnachrichtenlage erzeugen. Negativismus ist zwar eine allgemeine Tendenz des Journalismus auch in der Inlandsberichterstattung, aber bei Auslandsnachrichten sind Länderimages wegen der knappen Platzkapazitäten besonders stark betroffen und insbesondere Entwicklungsländer treten selten und wenn zumeist negativ in Erscheinung (Zuckerman 2013, S.79ff., Hafez 2002a, Bd.2, S.125ff.).
Da allerdings jedes Land ein anderes regionales Umfeld besitzt, sind die Nachrichtengeographien der Mediensysteme nicht einheitlich, sondern unterhalb der dünnen „Spitze des Eisbergs“ von Weltnachrichten über Krisenregionen und Metropolenstaaten werden ganz verschiedene Themen und Länder beachtet. Das Ergebnis ist eine doppelt geschichtete globale Diskursverschiebung, bestehend aus einer sehr verengten, das Nord-Süd-Gefälle betonenden weltweit geteilten globalen Agenda und separierten nationalen Auslandsgeographien und Themensetzungen. Trotz starker Konvergenz von Nachrichtenwerten und Professionsstandards der Medienethik weltweit (vgl. Kap. 2.1) hat sich also an der Domestizierung von globalen Nachrichtenlagen der Massenkommunikation wenig geändert. Eine Ausweitung und qualitative Verdichtung der Diskurse, die gezielt thematische Leerstellen kompensiert und Nachrichtenwerte im Sinne einer globalen interdiskursiven Synchronität umbaut, sind nicht in Sicht. Starke Domestizierung ist vorherrschend.
Vergleichende Großstudien belegen dies seit Jahrzehnten (u.a. Sreberny-Mohammadi et al. 1985, Wu 2000, 2003, Pietiläinen 2006, Cohen 2013a, Heimprecht 2017). Lokale Faktoren sind demnach in der Auslandsberichterstattung für die Themen- und Länderauswahl auschlaggebend, der Regionalismus schlägt in allen Ländern durch, wenngleich bei Entwicklungsländern etwas weniger als bei Industrieländern, da hier die Metropolenorientierung und globale Agenda etwas stärker ausgeprägt sind (de Swert et al. 2013, Wilke et al. 2013). Selbst innerhalb regionaler Räume wie Europa ist zwar die Aufmerksamkeit für einzelne Nachbarländer größer (Regionalismus), aber EU-Themen und Akteure der EU spielen nur eine Nebenrolle in den stark national fixierten Öffentlichkeiten (Machill et al. 2006, Pfetsch et al. 2008). Die national gefärbten und desintegrierten Medienagenden stellen die Annahme einer Globalisierung von Mediendiskursen oder gar eines kosmopolitischen „globalen Dorfes“ (McLuhan) auf der inhaltlichen Ebene in Frage (Cohen 2013b).
Eine Reihe von Studien zeigen, dass der Online-Journalismus sowie Suchmaschinen wie Google-News und Yahoo, also nicht-klassische Massenmedien, hier, anders als erhofft, kaum eine Verbesserung gebracht haben. Die eingeschränkte Nachrichtengeographie bleibt dieselbe (Gasher/Gabriele 2004, Wu 2007, Wang 2010). Kevin Williams: „The geography of online content reflects the imbalances of the traditional mainstream media; web technology has not drastically changed what is reported as international news“ (2011, S.161). Nicht einmal Hyperlinks zu ausländischen Websites haben sich im Online-Journalismus durchgesetzt (Chang et al. 2009).
Nur wenigen Themen wie die Klimafrage gelingt es, sich in den Massenmedien weltweit mit ähnlichen Subthematiken Geltung zu verschaffen, was dem Charakter von Umweltthemen geschuldet sein dürfte, in verschiedenen Teilen der Welt ähnlich stark beachtet zu werden (Ivanova 2017). Bei politischen Themen wie den Vereinten Nationen allerdings zeigt sich, dass die Sichtweise internationaler Institutionen länderspezifisch ist