Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez
daher zum pragmatischen Verfahren der Synchronisierung durch nationale Systeme, das aber bislang in hohem Maße an der Interdiskursivität gescheitert zu sein scheint. Die Herausbildung eines „Konsenses“ in der Weltöffentlichkeit ist zudem im nationalen Modell technisch kaum möglich, so dass Transnationalismus zumindest als zweite Säule der Weltöffentlichkeit erhalten bleiben muss.
Aus der Perspektive einer anderen Theorie, nämlich der Systemtheorie, ist die deliberative Öffentlichkeitstheorie, egal ob optimistisch oder pessimistisch beurteilt, ohnehin nichts als ein Ausdruck des „Hyperglobalismus“ (Werron 2010, vgl. Kap. 2.2.1). Aus Sicht der Systemtheorie in der Tradition Niklas Luhmanns erscheint es nicht so wichtig, wie sich Nationen durch Mediendiskurse verbinden und ob sie sich synchronisieren, sondern dass sie sich verbinden, denn jede Form der Konnektivität birgt die Chance auf gesellschaftliche Anschlusskommunikation (Luhmann 1970, Axford 2012, S.38, 45). In der Systemtheorie geht es primär um eine Reduktion von Umweltkomplexität, die Themenstrukturierungsleistung der Medien an sich ist wichtiger als ein bestimmter partizipativer und demokratischer Modus (Böckelmann 1975). Bei Luhmann ist daher auch „Weltgesellschaft“ vergleichsweise offen definiert, sie entsteht durch beliebige grenzüberschreitende Kommunikation und hat keinerlei Verwandtschaft mit dem Konstrukt der globalen Zivilgesellschaft (global civil society) (vgl. Kap. 5). In der Systemtheorie ist weder Qualität des Journalismus noch die Frage, ob Information oder Unterhaltung vermittelt wird, von Belang. Vielmehr steht eine postmoderne Ansammlung disperser Individualmeinungen im Vordergrund. Aus dieser Sicht gibt es am derzeitigen Zustand des globalen Mediendiskurses nichts auszusetzen. Fragmentarische Themenhaushalte und Frames, verbale und visuelle Stereotype oder auch defizitäre Sprecherreferenzialität sind in dieser Wissenschaftsschule samt und sonders legitime Weltbildkonstruktionen der Postmoderne.
Die Rolle der Weltöffentlichkeit für die Weltgesellschaft
Allerdings werden die Grenzen dieser Sichtweise deutlich, wenn man versteht, dass mit ihr auch Kriegspropaganda und rassistische Aufladungen in Massenmedien gerechtfertigt werden können (Hafez 2010, 2017b). Zwar sollte man die strukturelle Überforderung der deliberativen Theorie der Weltöffentlichkeit erkennen. Zugleich muss man aber vor der strukturellen Unterforderung durch die Systemtheorie warnen, die als grundlegende Makrotheorie keine praktikable Gesellschaftstheorie zu sein scheint. Medien verfügen aus der Sicht der deliberativen Öffentlichkeitstheorie über ein „ambivalentes Potenzial“ insofern, als sie durch ihre Angebote einerseits die Grundlagen zur Herstellung von Öffentlichkeit legen, die Medien aber den Raum der möglichen Kommunikation andererseits „hierarchisieren und einschränken“ (Burkart/Lang 2004, S.63ff.). Im Falle der globalen Kommunikation lassen sich Wirkpotenziale der globalen Massenkommunikation innerhalb wie außerhalb nationaler Systeme beobachten, die unter den Begriffen „Kosmopolitismus“ und „Global Governance“ firmieren können.
Auslandsberichterstattung hat direkte Auswirkungen auf die Haltung der Gesellschaft zu Fragen des Kosmopolitismus, Multikulturalismus und Rassismus. Menschen greifen in der Tendenz bei Fernbildern auf Medienwissen und bei Nahbildern auf eigene Erfahrungen zurück (Kruck 2008). Probleme entstehen insofern, weil Rassismus auf Vorurteilen gegenüber dem „abwesenden Fremden“ basiert, also keine Reaktion auf Fremde in der Nahumwelt ist, sondern die in den Medien konstruierte „chaotische Welt“, die dann aber auf die „Fremden“ in der Nahwelt („die Ausländer“ usw.) übertragen wird, zu denen kein Konkakt und über die also kein direktes Erfahrungswissen besteht (Chouliaraki 2006, Hafez 2002a, Bd.2, S.261ff.). Dabei darf man allerdings den Einfluss anderer Sozialisationsinstanzen (Familie, Gemeinschaft, Institutionen) auf Kernwerte des Menschen nicht unterschätzen (Hafez 2011, S.488f.).
Was die Frage der internationalen Wirkungen angeht, so gilt ein großer Teil der Rezipienten und Rezipientinnen als „passiv“, da diese an Auslandsnachrichten wenig interessiert sind oder primär auf Meinungen der Eliten, die sie in den Medien vorfinden, reagieren (die ihrerseits aber öffentliche Werte und Stimmungen antizipieren) (Powlick/Katz 1998). Die meisten Studien fragen dabei allerdings nach dem Interesse der Rezipienten und Rezipientinnen an internationaler Politik, nicht aber an der Welt als solches (Hafez 2011, S.490f.), was seinen Grund wohl darin hat, dass die Forschung annimmt, dass die meisten Publika ohnehin eher auf konkrete und konfliktive Ereignisse und nicht auf Lebensweltentwicklungen reagieren (Wanta/Hu 1993). In jedem Fall ist man sich einig, dass ohne Medienresonanz des Globalen auch keine Debatten über das Globale entstehen. Je mehr über ein Land berichtet wird, umso eher gehen Rezipienten davon aus, dass dieses Land bedeutsam ist; je negativer dies geschieht, umso negativer ist in der Regel auch das entsprechende Nationenbild der Menschen (Wanta et al. 2004, vgl. a. Iyengar/Simon 1993). Die Medienabhängigkeit der meisten Menschen wächst mit der Distanz des Publikums zum Weltgeschehen (vgl. a. Kap. 9.2).
Alternative Öffentlichkeitstheorien: „dialogischer“, konstruktiver und kosmopolitischer Journalismus
Was die Frage der innergesellschaftlichen Wirkung und des Kosmopolitismus angeht, so findet sich ein frühes Plädoyer für einen „dialogischen“ Auslandsjournalismus bei Hans Kleinsteuber (2004). Seine Vorstellung eines stärkeren Einbezugs lokaler und kultureller Perspektiven in den Journalismus zielt auf eine Belebung des „Dialogs der Kulturen“. Dieser soll der multikulturellen Gesellschaft neue Impulse verleihen und will die Interdiskursivität verbessern, die nicht mehr vorwiegend auf negative, eliten- und politikorientierte Nachrichten oder stereotype Unterhaltungsware Wert legt, sondern den Vorstellungsraum der interkulturellen Beziehungen erweitern soll. In ähnlicher Weise hat auch Richard C. Stanton auf das Erfordernis eines neuen „Konversationsansatzes“ (conversational model) hingewiesen, der das Informationsparadigma des Journalismus ergänzen müsse (2007, S.190ff.). Entscheidend sind demnach nicht mehr nur Nachrichten über elitäres Handeln, sondern die Interessen von Bürgern und der Zivilgesellschaft sollen im Vordergrund stehen.
Deutet man diese Ansätze auf Basis der Habermasianischen Öffentlichkeitstheorie, so wird von beiden Autoren eine Akzentverschiebung von der System- zur Lebensweltberichterstattung verlangt. In diese Richtung weisen auch Ansätze des „konstruktiven“ beziehungsweise „positiven Journalismus“, die sich durch eine Hinwendung zu Lebenswelthemen eine Korrektur des Negativbias von Auslandsnachrichten versprechen (Hafez/Grüne 2015). Derartige Ansätze machen deutlich, dass die Negativitätsfixierung der Auslandsberichterstattung nicht zuletzt den Populismus stärkt (Haagerup 2014, Russ-Mohl 2017). Eine entsprechende Neudefinition der Nachrichtenwerte wird gefordert.
In eine ähnliche Richtung zielen Ansätze eines „kosmopolitischen Journalismus“, wenngleich unter leicht veränderten Vorzeichen. Negativanlässe sollen hier nicht weniger vom Journalismus beachtet werden, wie im „konstruktiven Journalismus“, sondern gezielt erörtert werden, zum Beispiel bei Fluchtkrisen. Allerdings sollen die Ereignisse anders interpretiert werden als in der konventionellen Medienberichterstattung. Nicht mehr die stereotype Darstellung von Geflüchteten als bedrohliche Masse, sondern individuelle Schicksale und vor allem die Mitverantwortung der internationalen Politik und der Großmächte sowie die komplexen politischen und ökonomischen Weltbeziehungen sollen im Vordergrund stehen (Chouliaraki 2006, Silverstone 2007, Lindell/Karlsson 2016, Schmidt 2017).
Hier besteht zugleich eine Verwandtschaft zum dialogischen wie auch zum konstruktiven Journalismus, da auch im kosmopolitischen Journalismus Interdiskursivität wichtig ist, um die Reflexivität über „das Eigene und das Fremde“ zu verbessern und so kosmopolitische Impulse in die Einwanderungsgesellschaft zu senden. Alle drei alternativen Strömungen der Öffentlichkeitstheorie verschmelzen daher gewissermaßen in Ingrid Volkmers Ansatz zur „reflexiven Interdependenz“ der Weltöffentlichkeit, in dem sie Interdiskursivität, Lebensweltorientierung und Kosmopolitismus als neue Horizonte skizziert (2014, S.163ff.). Sich explizit auf Habermas, aber auch auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Immanuel Kant und John Rawls beziehend, beschreibt sie die gesellschaftlichen Veränderungen der Globalisierung insofern als fundamental, als Menschen im global reflexiven Journalismus nicht als „Fremde“, sondern als das globale „Selbst“ in Erscheinung träten. Die gesellschaftliche Reproduktion lokaler Identitäten, die durch isolierte Mediendiskurse entsteht, soll so abgemildert werden.
Weltöffentlichkeit und Global Governance: das Beispiel Europas
Europa