Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez

Grundlagen der globalen Kommunikation - Kai Hafez


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Vieles spricht sogar dafür, dass trotz steigender ausländischer Direktinvestitionen auf Grund der rapide gewachsenen lokalen Medienmärkte US-Konzerne heute weniger einflussreich sind als am Ende des 20.Jahrhunderts: gerade im Presse-, Fernseh- und Nachrichtenbereich dominiert in aller Regel das „territorialisierte Kapital“ (territorialized capital) (Christophers 2014, S.369). Große indische Konzerne wie Doordashan haben auf globale Konkurrenz (z.B. Rupert Murdochs Sky TV) mit einer Ausweitung ihres regionalen Angebotes reagiert; Ähnliches ereignete sich in Hongkong, Malaysia und in Lateinamerika; Staaten wie China und Indonesien quotieren internationale Programmimporte (McMillin 2007, S.105ff.). In arabischen Ländern besitzen ausländische Medienkonzerne schon aus politischen Gründen eher stilles Medienkapital, keine Anteilsmehrheiten und sind daher weder inhaltlich noch politisch entscheidend (Sakr 2001, S.97). Selbst der globale Fernsehformathandel besteht aus Kooperationen von transnationalen Unternehmen mit lokalen Partnern (Grüne 2016). Insgesamt gesehen stößt die technisch mögliche Globalisierung in ökonomischer Hinsicht eindeutig an lokale Marktgrenzen.

      Nicht ganz zu Unrecht ist gegen die Revisionisten eingewendet worden, dass nicht nur die Produzenten von Medieninhalten in die Rechnung einbezogen werden dürfen, sondern auch das Medieninfrastrukturkapital (Fuchs 2010). In der Tat sind im 21.Jahrhundert die internationalen Gewinne von Internet-, Telekommunikations- und Hardware-Giganten erheblich gewachsen und ihr Transnationalisierungsgrad – also der Anteil der internationalen Märkte an ihren Umsätzen – ist höher als der klassischer Medienkonzerne (Winseck 2011, S.6f.). Für Dell Inc. arbeiten mehr als hunderttausend Mitarbeiter weltweit (Gershon 2019, S.39). Die Bildagentur Getty Images macht immerhin etwa 40Prozent Umsatz außerhalb der USA und hat Kunden in mehr als fünfzig Ländern (Machin/van Leeuwen 2007, S.150ff.). Allerdings zeigt sich hier eine techno-funktionale Form der Kapitalglobalisierung: Ausländische Produkte und Dienstleistungen werden überall dort eingesetzt, wo sie nicht selbst produziert werden können oder wo Informationsbausteine – wie Fotos – gebraucht werden. Redaktionelle Angebote und Programme aber, vor allem im Informationssektor, kommen aus den Ländern selbst. Bei politisch wie kulturell komplexen Medienprodukten erweisen sich ausländische Produkte und Direktinvestitionen eher als Lückenfüller auf lokalen Märkten, als Ergänzung und Erweiterung, nicht aber als Ersatz für nationale Produkte.

      Nicht-klassische Massenmedien: erweiterte Hypermedialität

      Vor allem im Internet sind neue Angebotsformen entstanden, die man als Massenmedien bezeichnen kann. Das Internet verschafft nicht nur den etablierten Medien von Presse, Radio und Fernsehen neue technische Reichweiten. Es generiert auch so unterschiedlichen Medien wie Suchmaschinennachrichten, Sozialen Medien (wie Twitter), Weblogs, Podcasts und alternativen Nachrichtenportalen (wie WikiNews) eine neue Basis. Nicht jede Form der digitalen Kommunikation lässt sich als „massenmedial“ charakterisieren, vieles ist interpersonal oder gemeinschaftsorientiert (vgl. Kap. 6). Kommunikate allerdings, die öffentlich zugänglich sind und periodisch erscheinen, so dass sie journalistischen Angeboten ähneln, lassen sich als nicht-klassische Massenmedien einstufen.

      Inwieweit sich die Produktions- oder Rezeptionsstrukturen sowie die Kommunikationsflüsse der globalen Massenkommunikation durch das Internet verändern, ist nicht einfach zu ermessen. Auch hier gibt es optimistische wie pessimistische Lesarten, die um die Frage ranken, ob das Internet wirklich einen Strukturwandel der globalen Massenkommunikation eingeleitet hat. Ethan Zuckerman hat verdeutlicht, dass auch im Internetzeitalter grenzüberschreitende und vor allem fremdsprachliche Mediennutzung ein Randphänomen geblieben ist. In keiner der mächtigsten zehn Nationen der Welt liegt der durchschnittliche Anteil der Auslandsnutzung von Medien durch die Bevölkerung im Netz höher als 7Prozent, oft sind die Nutzungszahlen kaum noch messbar und in anderen Teilen der Welt sieht es nicht anders aus (Zuckerman 2013, S.52ff., vgl. a. Elvestad 2009, Fenyoe 2010, Finnemann et al. 2012). Ein transnationaler Strukturwandel (der Mediennutzung) ist aus dieser Sicht nicht durch die Digitalisierung begünstigt worden; von einem Wandel zu einem „Weltmediensystem“ ganz zu schweigen. Historisch betrachtet scheinen analoge Medienrevolutionen wie die Einführung des Telegrafen für das globale Nachrichtenwesen viel revolutionärer gewesen zu sein als das Internet.

      Hans-Jürgen Bucher hat allerdings darauf hingewiesen, dass gerade in Krisenzeiten eine verstärkte globale Mediennutzung zu beobachten ist (2005). Seit dem Kosovokrieg, den Attentaten des 11. Septembers 2001 und dem Irakkrieg 2003 suchen kritische Segmente des Publikums im Internet nach Informationen in digitalisierten klassischen wie auch in alternativen Massenmedien, die sie in ihren Heimatmedien nicht bekommen. Zwar ist die Qualität dieser erweiterten Hypermedialität umstritten, da die Quellen zum Teil dubios sind (Lewis 2010, S.123). Gerade soziale Bewegungen haben aber Medien gebildet, die nicht nur alternative globale Öffentlichkeiten erzeugen können, sondern auch als „Interlokutoren“ fungieren und Medienagenden grenzüberschreitend verbinden können (Volkmer 2014, S.141ff., vgl. a. Kap. 5). Zugleich sind die zeitlich begrenzten und auf Informationseliten beschränkten Reichweiten dieser Prozesse noch zu geringfügig, um von einem globalen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (Bucher 2005, S.214) sprechen zu können.

      Fazit: Interdependenzlücken und die Globalisierung der zwei Geschwindigkeiten

      Resümierend lässt sich sagen, dass globale Massenmedienkommunikation heute immer noch sehr weitgehend durch nationale Mediensysteme geleistet wird. Der weltweite Flickenteppich aus egozentrierten Mediensystemen ist zwar auf Produktions- und Rezeptionsebene durch transnationale Produktions- und Rezeptionsstrukturen erweitert worden. Diese Komplementarität aber folgt der bestimmenden Regel der Subsidiarität, wonach nationale Systeme nicht nur den größten Teil der Nachrichtenproduktion, sondern auch weite Teile des Unterhaltungswesens beherrschen und durch internationale Produkte allenfalls ergänzen. Transnationale Produkte – CNN, Hollywood – sind zwar große Prestigeprojekte, die dem Medienkonsum eine wichtige globale Komponente hinzufügen, ohne aber die Vorherrschaft lokaler Strukturen zu beseitigen.

      Im Bereich von Medienpolitik und -recht setzt der Nationalstaat zudem noch immer entscheidende Rahmenbedingungen, die durch technisch-funktionale globale Regelungen eher ergänzt als ersetzt werden. Medienmärkte sind nur sehr bedingt global interdependent. Anders als die interaktiven Sozialsysteme der Politik, Wirtschaft usw. verbleibt die massenmediale Kulturproduktion in ihrem primären Modus der (Welt-)Beobachtung strukturell hochgradig selbstreferenziell. Von dieser Tendenz ausgenommen sind alternative Informationsflüsse und Öffentlichkeiten, die auf eine Globalisierung der „zwei Geschwindigkeiten“ verweisen. Globale Massenkommunikation ist ein Minderheitenphänomen, wobei Informationseliten sowohl unter Produzenten wie auch Konsumenten systematisch versuchen, nationale Grenzen des Medienraums zu erweitern und eine stabile Weltöffentlichkeit zu erzeugen.

      2.2 Kommunikative Systemverbindungen

      Gemäß unserem grundlegenden System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz ist eine rein strukturalistische Betrachtung der globalen Massenkommunikation unzureichend. Mediensysteme kommunizieren über Grenzen hinweg, aber sind ihre Beobachtungsleistungen deswegen auch synchronisiert im Sinne der Schaffung eines gemeinsamen globalen Mediendiskurses und einer transnationalen Weltöffentlichkeit? Oder haben wir es eher mit separaten nationalen Mediendiskursen zu tun, die untereinander unvernetzt bleiben? Unsere Analyse erfolgt in zwei Schritten, wobei zunächst der empirische Forschungsstand zu Inhaltsanalysen der globalen Massenkommunikation aufgearbeitet wird, bevor anschließend eine Bewertung des Ist-Zustandes vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Synchronitätsananforderungen der deliberativen Öffentlichkeitstheorie und der Systemtheorie erfolgt.

      2.2.1 Diskursanalyse

      Grundlagen: Interdiskursivität, Konvergenz und Domestizierung von Mediendiskursen

      Das „Weltbild“ der Medien ist ein Diskurs, der textlinguistisch aus Makro- und Mikropropositionen besteht (van Dijk 1988, Hafez 2002a, Bd.1, S.45ff.). „Themen“ beispielsweise sind Makropropositionen eines Textes, die eng mit der kommunikationswissenschaftlichen Theorie des Agenda Setting verbunden sind, also mit der Frage, worüber Medien (und infolgedessen Rezipienten und Rezipientinnen) nachdenken. Themen umfassen ihrerseits Mikropropositionen wie Frames und Stereotype, also handlungsorientierte Argumentmuster eines Textes wie auch attributive Charakterisierungen (z.B. von Nationen


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