Grundwissen Hörgeschädigtenpädagogik. Annette Leonhardt

Grundwissen Hörgeschädigtenpädagogik - Annette Leonhardt


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(1998a, 95) verweist für kindliche Schwerhörigkeit auf Missbildungen des äußeren und des Mittelohres, die mit einer Schallleitungsschwerhörigkeit einhergehen. Beispiele hierfür wären Gehörgangsatresie, doppelter Gehörgang, Aplasie oder Dysplasie (Fehlbildung) des Trommelfells, Dysplasie der Paukenhöhle und Felsenbeindysplasie oder im Rahmen von Syndromen, z. B. Cockayne-Syndrom (Kombination von Zwergwuchs, Schwerhörigkeit und Retinitis pigmentosa), Down-Syndrom (Trisomie 21 – numerische Chromosomen-Aberation, intellektuelle Beeinträchtigungen, häufig mit Schallleitungsschwerhörigkeit verbunden), Goldenhar-Syndrom (Missbildungen im Gesicht, Augen- und Ohrmissbildung, Gehörgangsatresie).

      Kindliche Innenohrschwerhörigkeit teilt sie in kongenitale (angeborene) und erworbene Schwerhörigkeiten ein.

      Kongenitale Schwerhörigkeiten

      ■ Kongenitale nicht progrediente monosymptomatische Schwerhörigkeiten

      ■ Kongenitale progrediente monosymptomatische Schwerhörigkeiten

      ■ Kongenitale polysymptomatische Schwerhörigkeiten (Syndrome)

      – Schwerhörigkeit mit Missbildung am äußeren Ohr

      – Schwerhörigkeit mit Augenerkrankungen

      – Schwerhörigkeit mit Nierenerkrankungen

      – Schwerhörigkeit mit Schilddrüsenerkrankungen

      – Schwerhörigkeit mit Hauterkrankungen

      – Schwerhörigkeit mit Skeletterkrankungen

      – Schwerhörigkeit mit Mukopolysaccharidosen (Stoffwechselanomalien)

      – Schwerhörigkeit mit chromosomalen Anomalien

      Erworbene Schwerhörigkeiten

      ■ Intrauterin erworbene Schwerhörigkeiten

      ■ Perinatal erworbene Schwerhörigkeiten

      ■ Postnatal erworbene Schwerhörigkeiten

       (Beispiele dafür Tab. 6)

      Tabelle 5 stellt von der Vielzahl mit Schwerhörigkeit einhergehender Syndrome (im Gesamtschrifttum werden mehr als 350 beschrieben) sieben kurz vor, wobei das letzte streng genommen kein Syndrom, sondern eine Assoziation ist. Die ersten fünf wurden ausgewählt, da diese nach Biesalski/ Collo (1991, 125) am bekanntesten sind und daher wohl am häufigsten auftreten. Somit werden diese dem Hörgeschädigtenpädagogen am ehesten begegnen. Die Trisomie 21 wird aufgeführt, da es im Deutschen Zentralregister für kindliche Hörstörungen (DZH) von allen dort erfassten Syndromen mit Abstand am häufigsten vorkommt (gefolgt vom Waardenburg-, Goldenhar-, Franceschetti- und Usher-Syndrom) (Spormann-Lagodzinski 2003). Bei Trisomie steht die geistige Behinderung im Vordergrund, so dass Hörschäden leicht übersehen werden können.

      Tab. 5: Darstellung ausgewählter Syndrome

Bezeichnungbenannt nachAudiologische SymptomatikErscheinungsbild (typische Symptome, Besonderheiten)
Waardenburg- SyndromInzidenz: 1:4.500Petrus Johannes Waardenburg, 1886 – 1979, holländischer Ophthalmologe und Genetikerkongenitale Schwerhörigkeit beidseits, unterschiedlich ausgeprägt, meist mittelgradige Schwerhörigkeiteinhergehend mit Hauterkrankung, Fehlbildungssyndrom infolge genabhängiger früh-embryonaler Entwicklungsstörungen (Erbleiden), fakultative Pigmentstörungen von Iris, Haut und Haaren; weiße, große Stirnlocke; charakteristische Gesichtsveränderungen: innerer Augenwinkel lateral verlagert; flacher, breiter Nasenrücken; zusammenwachsende Augenbraue
Franceschetti- Syndrom (Synonym: Treacher- Collins- Syndrom)Inzidenz: 1:50.000Adolf Franceschetti, 1896 –1968, Ophthalmologe, Zürich und Genf (E. Treacher Collins, 1862 – 1932,Chirurg, London)ein- oder beidseitige hochgradige Mittelohrschwerhörigkeit, einseitige, selten beidseitige Innenohrschwerhörigkeit unterschiedlichen Ausmaßes möglicheinhergehend mit Skeletterkrankung, Fehlbildungssyndrom mit charakteristischem Gesicht (vererbt), Mikrotie und Gehörgangsatresie; laterales Lidkolobom (Spalt des Lids); antimongoloide Lidspaltenstellung, Vogelgesicht, hypoplastisches Jochbein, Makrostomie (Fehlbildung mit seitlicher Erweiterung der Mundspalte), Zahnstellungsanomalien; starke Ausprägungsschwankungen
Pendred- SyndromInzidenz: ca. 7,5: 100.000Vaughan Pendred, 1869 –1946, britischer Arztkongenitale hochgradige Schwerhörigkeit beidseits, Progredienz bis zur Gehörlosigkeiteinhergehend mit Schilddrüsenerkrankung, erblich bedingt, angeborene oder im Kindesalter manifest werdende Innenohrschwerhörigkeit (manchmal schubweise), Struma („Kropf“)- Beginn frühkindlich; Jodfehlverwertung
Usher- SyndromInzidenz: 3 – 4,5: 100.000Charles Howard Usher,1865 – 1942, Ophthalmologeangeborene oder frühmanifeste Innenohrschwerhörigkeit oder Gehörlosigkeiteinhergehend mit Augenerkrankung, vererbtes Krankheitsbild mit charakteristischer Kombination von (meist) Gehörlosigkeit und Retinitispigmentosa (vom Rand der Netzhaut zum Zentrum langsam fortschreitend kommt es zur Einlagerung von Pigmentkörperchen und damit zur Lichtundurchlässigkeit), beginnend mit Nachtblindheit, später Gesichtsfeldeinschränkung beidseits bis Erblindung (ca. ab 40. Lebensjahr); dem Pädagogen können betroffene Schüler durch Orientierungsschwierigkeiten bei Dämmerlicht und Dunkelheit oder „Tolpatschigkeit“ (z. B. Stolpern über Gegenstände, da Gesichtsfeld eingeschränkt) auffallen
Alport- SyndromInzidenz: 1:5.000 – 10.000Arthur Cecil Alport, 1880 –1959, Arzt, Südafrikaprogrediente bilaterale Schwerhörigkeit, Ertaubung möglicheinhergehend mit Nierenerkrankung, vererbtes Krankheitsbild mit charakteristischer Kombination von Nierenleiden und Schwerhörigkeit, Augenanomalien möglich (häufig Grauer Star), Veränderung im Hören (und beim Sehen) Ende des ersten Lebensjahrzehnts
Trisomie 21 (auch: Down-Syndrom)Trisomie (dreifaches) Chromosom 21, bzw. John Langdon Haydon Down, 1826 – 1896, Arzt, Londongehäuft Schallleitungsschwerhörigkeit aber auch Schallempfindungsoder kombinierte Schwerhörigkeitgeistige Behinderung, rundlicher Minderwuchs, schräge Augenstellung, breite Nasenwurzel, gehäuft Herzfehler (50 %), 60 – 70 % haben Hörschädigung
CHARGE-Assoziation (auch - Syndrom)Inzidenz: 0,1 – 0,2: 10.000Anfangsbuchstaben der englischen Wörter C – Coloboma (Kolobom des Auges), H – Heart Anomaly (Herzfehler), A – Choanal Atresie (Choanal-atresie), R – Retardation (vermindertes Längenwachstum und Entwicklungsverzö gerung), G – Genital Anomalis (Anomalie der Geschlechtsorgane), E – Ear Anomalies (Fehlbildungen des Ohres)Schallleitungs- oder Schallempfindungsoder kombinierte Schwerhörigkeit von unterschiedlichem Ausmaßeinhergehend mit verlangsamter Gesamtentwicklung der Kinder liegen eine Hör-Seh-Schädigung plus weitere Symptome (z. B. Gesichtslähmung, Fehlen des Geschmacks, Probleme beim Schlucken, verstärkte Infektanfälligkeit u. a. m.) neben den Merkmalen, die die Namensgebung schufen, vor

      Die CHARGE-Assoziation soll vorgestellt werden, weil sie in den letzten Jahren für die Hör-(und Seh-)geschädigtenpädagogen an Bedeutung gewonnen hat.

      Weiterführende Informationen zu den in Tab. 5 genannten und zu zahlreichen anderen Symptomen sind zu finden bei Gross (1981): Differentialdiagnose der Syndrome mit Schwerhörigkeit und Retinopathia. – Kessler (1989): Fehlbildungen in der Otolaryngologie. – Leiber (1996): Die klinischen Syndrome. – Bunck (1998): Das Usher-Syndrom – Diagnostik, pädagogische Einflußnahme und Maßnahmen bei Betroffenen. – Lehnhardt (1998a): Hereditäre Hörstörungen und Syndrome. – Naumann / Scherer (1998): Differentialdiagnose in der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. – Zorowka (2008): Pädaudiologie.

      Tab. 6 enthält eine Übersicht mit möglichen Ursachen für Hörschäden (z. T. wurden sie im Kapitel bereits erwähnt). Die vorgenommene Reihenfolge innerhalb der Spalten ist subjektiv, d. h., sie entspricht weder der Häufigkeit des Vorkommens noch anderen Ordnungskriterien. Es erfolgt hier nur eine Aufzählung. Zur Begriffsklärung sollte bei Bedarf im Glossar nachgelesen werden.

      Tab. 6: Zusammenstellung möglicher Ursachen für Hörschäden


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