Grundwissen Hörgeschädigtenpädagogik. Annette Leonhardt
von Blasen und Kanälen, das allseitig von einer sehr harten Knochenkapsel (knöchernes Labyrinth) umgeben ist. Das häutige Labyrinth ist mit Endolymphe (visköse, d. h. klebrige Flüssigkeit) gefüllt. Das knöcherne Labyrinth enthält eine wasserklare Flüssigkeit, die Perilymphe, in der das häutige Labyrinth schwimmt.
Abb. 8: Das Innenohr
Abb. 9: Schema des häutigen Labyrinths: Die endolymphatischen Räume sind hellgrau, der Knochen dunkelgrau und die perilymphatischen Räume weiß
Alle Räume des häutigen Labyrinths stehen durch feine Kanälchen miteinander in Verbindung. Die Perilymphe und die Endolymphe im häutigen Labyrinth stehen nicht miteinander in Verbindung.
Das knöcherne Labyrinth Zentrales Mittelstück des knöchernen Labyrinths ist der Vorhof (Vestibulum). Nach vorn geht das Vestibulum in die knöcherne Schnecke (Cochlea) über und an seiner Rückwand münden die knöchernen Bogengänge. Die laterale Wand des Vorhofes entspricht der medialen Wand der Paukenhöhle und enthält zwei Öffnungen: das ovale Fenster und das runde Fenster.
Das häutige Labyrinth Das häutige Labyrinth besteht aus vier Teilen:
■ Sacculus | } | (gehören zum Gleichgewichtsorgan) |
■ Utriculus | ||
■ die 3 Bogengänge | ||
■ der häutige Schneckengang | (gehört zum Hörorgan) |
Utriculus und Sacculus sind zwei kleine Säckchen, die gemeinsam im knöchernen Vorhof liegen. Beide enthalten in einem umschriebenen Wandabschnitt Sinnesepithel. Auch in jedem Bogengang liegt jeweils eine quere Leiste mit Sinnesepithel. Durch Verschieben der Endolymphe werden bei Bewegungen und Lageänderungen des Körpers die Sinneszellen gereizt. Von den Sinneszellen im Vorhof wird die Erregung durch den Vorhofnerv des Gleichgewichts- und Hörnervs (Nervus vestibulocochlearis) zum Gehirn weitergeleitet.
Die häutige Schnecke enthält das Cortische Organ. Das Cortische Organ erstreckt sich in spiraligem Verlauf von der Basalwindung bis zur Kuppelwindung der Schnecke. Es ist das Sinnesepithel des Hörorgans und besteht ebenfalls aus Sinnes- und Stützzellen. Schallwellen, die auf das Trommelfell treffen, versetzen dies in Schwingungen. Diese werden durch die Kette der Gehörknöchelchen zum ovalen Fenster geleitet und durch die Steigbügelplatte auf die Endolymphe des Innenohrs übertragen, wodurch die Sinneszellen des Cortischen Organs gereizt werden. Der Schneckennerv des Gleichgewichts- und Hörnerven (Nervus vestibulocochlearis) leitet die Erregung zum Gehirn. Der Gleichgewichts- und Hörnerv hat also – ebenso wie das Ohr – eine doppelte Funktion.
Der Gleichgewichts- und Hörnerv (Nervus vestibulocochlearis) bildet gemeinsam mit 11 weiteren Hirnnerven das periphere Nervensystem des Kopfes. Das periphere Nervensystem hat die Aufgabe, die nervösen Erregungen weiterzuleiten.
Periphere Nerven enthalten im Allgemeinen sowohl afferente (sensorische) Nervenfasern, die dem Zentralnervensystem (ZNS) Informationen aus der Um- und Innenwelt zuleiten, als auch efferente (motorische) Nervenfasern, deren periphere Zielgebiete Drüsen und die Muskulatur sind.
Hörnerv und zentrale HörbahnenDie von den Sinneszellen des Cortischen Organs zum Ganglion spirale (Ganglien sind Ansammlungen von Nervenzellen, in denen die Nervenfasern ihren Ursprung haben) ziehenden Fasern geben dort die von ihnen geleiteten Reize auch an andere Nervenzellen weiter. Die Nervenfasern des 1. Neurons (Neuron = Gesamtheit der Zellfortsätze mit der dazugehörigen Ganglienzelle) verlaufen gemeinsam als Hörnerv in das Schädelinnere, wo sie in das Gehirn an dessen Unterseite eintreten. (Diesen Vorgang hat der Hörnerv mit den von den Gleichgewichtsorganen kommenden Nervenfasern gemeinsam.)
Nach Eintritt in den oberen Anteil des verlängerten Rückenmarks ziehen die Fasern des Hörnervs in ein aus mehreren Teilen bestehendes Ganglion, das als Nucleus cochlearis bezeichnet wird. Hier beginnt das zentrale Hörsystem.
Vom Nucleus cochlearis ziehen nun zentrale Hörbahnen über verschiedene Kerne (Nuclei) zum Zwischenhirn und von hier zur Hirnrinde, wobei der größere Teil der Bahnen auf die andere Hirnseite hinüber wechselt („kreuzt“). (Ein Prinzip, das bei allen wesentlichen Nervenbahnen zu beobachten ist.)
Eine Vorstellung von der Kompliziertheit der Führung der zentralen Hörbahnen im Gehirn vermittelt die vereinfachende Darstellung in Abb. 10. Die Abbildung zeigt, dass Impulse von einem Ohr zu beiden Hörrindenzentren geleitet werden.
Die Hörrinde liegt anatomisch in einer Querwindung des Schläfenlappens und wird Heschlsche Querwindung genannt. Die gürtelförmig an diese primäre Hörrinde angrenzenden Hirnareale werden als sekundäre Hörrinde bezeichnet.
In der Hörrinde (Abb. 12) findet die bewusste Verarbeitung der Höreindrücke statt.
Abb. 10: Schematische Darstellung der zentralen afferenten Hörbahnen
Abb. 11 (links): Seitenansicht des Gehirns mit Großhirn, Kleinhirn und Übergang zum Rückenmark
Abb. 12 (rechts): Die Hörrinde
Physiologie des Hörens
Unter Physiologie des Hörens versteht man die Lehre von den Hörfunktionen. Diese werden wahrgenommen durch das periphere Gehör- und Gleichgewichtssystem, das zentrale Hörsystem und das zentrale vestibulare System.
Äußeres Ohr Die Schallwellen erreichen das Hörorgan hauptsächlich über die Ohrmuschel, die als Schalltrichter dient (Abb. 3). Der Schall wird hier aufgefangen und gebündelt und gelangt durch den Gehörgang zum Trommelfell. Die auftreffenden Schallwellen versetzen das Trommelfell in Schwingungen.
Der Schall setzt auch den ganzen Schädel in Schwingungen, die direkt auf die Hörschnecke übertragen werden (man spricht von Knochenleitung). Sie spielt physiologisch kaum eine Rolle, doch wird sie zur Diagnose herangezogen und kann zur Hörgeräteversorgung genutzt werden.
Zwischen dem Auftreffen des Schalls am linken und rechten äußeren Ohr liegt (aufgrund ihres Abstandes zueinander) eine minimale Zeitdifferenz. Dadurch werden eine Raumorientierung und die Ortung der Schallquelle möglich.
Mittelohr Die Schwingungen werden über die Gehörknöchelkette weitergegeben (Abb. 6). Der Hammergriff, der mit dem Trommelfell fest verwachsen ist, gibt die Schwingungen an den dahinter liegenden Amboss weiter. Dieser wiederum überträgt die Schwingungen auf den Steigbügel. Der Steigbügel leitet die Schwingungen über die Steigbügelplatte als Druckbewegung an das ovale Fenster weiter. Es entsteht so eine Druckwelle, die die Perilymphe (Flüssigkeit im knöchernen Labyrinth) des Innenohrs in Schwingung bringt.
Die Aufgabe der Gehörknöchelkette ist die möglichst verlustarme Übertragung des Schalls von einem Medium mit niedrigem Wellenwiderstand (Luft) zu einem mit hohem Wellenwiderstand (Flüssigkeit; Abb. 13 und Abb. 14). Dieser Schallwellenwiderstand wird Impedanz genannt.
Die Binnenohrmuskeln (Trommelfellspannmuskel und Stapediusreflexmuskel) sind eine Schutzfunktion des Ohres