Grundwissen Hörgeschädigtenpädagogik. Annette Leonhardt
wird. Bei Menschen, die gut hörend sind, liegt sie bei ungefähr 0 dB, als definierter durchschnittlicher Mittelwert von jungen Erwachsenen, die in ihrem Leben keine außergewöhnlichen Ohrenerkrankungen hatten und keinem besonderen Lärm ausgesetzt waren. Bei einem Hörverlust zwischen 20 – 40 dB spricht man von leichter, zwischen 40 – 60 dB von mittlerer und zwischen 60 – 90 dB von einer extremen oder hochgradigen Schwerhörigkeit. Als Resthörigkeit (Gehörlosigkeit und Taubheit) bezeichnet man Hörschäden, bei denen der Hörverlust im Hauptsprachbereich über 90 dB liegt (Tab. 3). Ermittelt wird der Hörverlust (auch: Schweregrad einer Hörschädigung), indem man vom besseren Ohr das arithmetische Mittel des Hörverlustes bei 500, 1.000, 2.000 und 4.000 Hz (= Hauptsprachbereich) errechnet.
Tab. 3: Grade/Ausmaß eines Hörverlustes
Luftleitungsschwelle im Hauptsprachbereich (500 bis 4.000 Hz) | Bezeichnung des Ausmaßes |
0 dB | normalhörend |
20 – 40 dB | leichtgradig |
40 – 60 dB | mittelgradig |
60 – 90 dB | hochgradig |
über 90 dB | an Taubheit grenzend/gehörlos |
Dringend anzumerken ist, dass die Einteilung nach dem Ausmaß des Hörverlustes nur von begrenztem Wert ist, da die individuellen Auswirkungen und Folgeerscheinungen auch bei etwa gleichem Hörverlust und gleicher Art des Hörschadens sehr unterschiedlich sein können. Daher sollten nach der Diagnose nicht voreilig Prognosen über mögliche Entwicklungsverläufe betroffener Kinder gegeben werden.
Zum Vergleich sollen einige Lautstärken für bestimmte Schallereignisse angegeben werden. Tab. 4 gibt dem Leser eine ungefähre Vorstellung von dem Ausmaß eines Hörverlustes.
Tab. 4: Beispiele für dB-Lautstärke (s. auch Lindner 1992, 40; Plath 1992, 68)
Dezibel | entspricht |
0 dB | Hörschwelle normalhörender Personen |
30 dB | Rauschen von Bäumen |
40 dB | gedämpfte Unterhaltung |
60 dB | Staubsauger, Rundfunkmusik |
80 dB | starker Straßenlärm |
100 dB | sehr laute Autohupe |
120 dB | Flugzeugmotoren in 3 m Abstand |
130 dB | schmerzender Lärm |
e) AVWS Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS) liegen vor, wenn bei normalem peripheren Gehör (normale Hörschwelle im Tonaudiogramm) zentrale Prozesse des Hörens gestört sind. Das bedeutet, dass bei den betroffenen Personen trotz einer normalen Hörschwelle höhere Funktionen des Hörens, wie beispielsweise Sprachverstehen in Ruhe und in Störlärm, oder die Schalllokalisation gestört sind.
Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen fallen meist erst im Schulalter auf. Die Häufigkeit wird auf 2 bis 3 % geschätzt, wobei Jungen doppelt so häufig wie Mädchen betroffen sind.
Die Ursachen für AVWS sind noch weitgehend ungeklärt. Genannt werden genetische Ursachen, eine verzögerte Hörbahnreifung (durch zeitlich zurückliegende Schallleitungsschwerhörigkeiten im Säuglings- und Kleinkindalter), umgebungsbedingte Faktoren, schulische Einflüsse und solche der Raumakustik sowie akustische Reizüberflutungen (Böhme 2006; Lindauer 2009; Nickisch 2010).
3.3 Ursachen
Nach Biesalski und Collo (1991) sind bei etwa 40 % der Kinder keine sichere Ursache ihrer Hörschädigung festzustellen, d. h., die Hörschädigung ist unbekannter Ätiologie. Matulat (2018) führt etwa ein Drittel auf Komplikationen während der Geburt oder Infektionen in der Schwangerschaft zurück.
Die Ursachen können nach verschiedenen Gesichtspunkten eingeteilt werden, siehe z. B. Abb. 19.
Eine andere Möglichkeit der Einteilung wäre die nach dem Ort der Störung:
Äußerer Gehörgang
■ Aplasie (Organanlage [hier: Gehör] vorhanden, aber Entwicklung ausgeblieben)
■ Gehörgangsatresie (angeborener Verschluss des Gehörgangs)
■ Anotie (fehlende Ohrmuschel)
■ Mikrotie (Kleinheit der Ohrmuschel)
■ Cerumen obturans (Ohrenschmalzpfropf)
Trommelfell
■ Fehlbildung
■ Retraktion (Zurück- oder Zusammenziehen des Trommelfells)
■ starke Vernarbung
■ sehr große Perforation (Durchbruch)
Paukenhöhle
■ Fehlbildung
■ Exsudat (entzündungsbedingter Austritt von Flüssigkeit und Zellen aus Blut- und Lymphgefäßen)
■ entzündliche Erkrankungen
■ Blutungen
Cochlea
■ Fehlbildungen
■ Entzündungen
■ biochemische Veränderungen, z. B. Vitamin-A-Mangel
■ intracochleäre Druckstörungen
Nucleus cochlearis (Nervenfortsätze)
■ Aplasie (s. o.)
■ toxische Degeneration
Zentrale Hörbahn und kortikale Hörregion
■ angeborene und erworbene Hörschäden
(in Anlehnung an Biesalski / Collo 1991, 124)
Abb. 19: Ursachen kindlicher Hörschädigungen (nach: Biesalski / Frank 1994, 68)
Seidler (1996) teilt in seiner Darstellung der Ursachen für therapieresistente Schwerhörigkeiten nach Ursachen für Schallleitungsschwerhörigkeit und Ursachen für sensorineurale Schwerhörigkeit ein. Seine Ausführungen könnte man wie in Abbildung 20 verdichten.
Abb. 20: Einteilung der Ursachen (nach Ausführungen von Seidler 1996)
Die häufigste Einteilung der Ursachen ist die nach dem Zeitpunkt des Eintretens der Hörschädigung, also ob die Hörschädigung pränatal, perinatal, postnatal oder im Erwachsenenalter eingetreten ist.
PränatalEine pränatale Hörschädigung ist entweder erblich bedingt oder sie ist durch Erkrankung der Mutter während der Schwangerschaft (z. B. Masern, Keuchhusten, Röteln) hervorgerufen worden. Aber auch Alkohol-, Nikotin- und Drogenmissbrauch, (missbräuchliche) Verwendung von Beruhigungsmitteln und Antibiotika sowie die Einnahme ototoxischer Medikamente können ebenso zu Hörschäden führen wie schwere Diabetes der Mutter oder schwere Blutungen während der Schwangerschaft.
Perinatal Perinatal umreißt den Zeitraum kurz vor, während oder nach der Entbindung. Kaschke (2012, 57) benennt dafür den Zeitraum 24. Schwangerschaftswoche bis zum 7. Lebenstag nach der Geburt. Eine perinatale Hörschädigung kann durch Frühgeburt oder Schädelverletzungen verursacht werden, ebenso durch Atemstillstand mit längeren Wiederbelebungsmaßnahmen, Sauerstoffmangel während der Geburt, Infektionen oder durch eine im Zusammenhang mit der Geburt auftretende Neugeborenengelbsucht hervorgerufen werden.
Postnatal Eine postnatale Hörschädigung tritt häufig infolge einer Infektionskrankheit ein. Als solche wären beispielhaft zu nennen: Hirn- und Hirnhautentzündung, Diphtherie, Mumps, Scharlach und Masern. Außerdem können postnatale Schädigungen durch Schädelverletzungen verursacht werden. Im Erwachsenenalter entstehen Hörschädigungen seltener durch Krankheiten, sondern eher durch Hörsturz (zumeist stressbedingt; Thurnher et al. [2011] verweisen auf 5 bis 20 von Hörsturz Betroffenen je 100.000 Menschen im Jahr), infolge des Alterns