Theologie des Alten Testaments. Michaela Bauks
Universalisierung des Gottesbildes (s. u. „Monotheismus“). Zu dem Verhältnis von Kontinuität und Wandel tritt zudem die Frage nach den Eigenarten des JHWH-Glaubens, seiner inhaltlichen oder auch literarischen Mitte sowie die nach dem Erbe des Alten Testaments im Neuen. Andere schlugen vor, als literarische Mitte – die unterschieden ist von der Suche nach einer theologischen „Sinnmitte“ wie z. B. Bund oder Heilsgeschichte – die Tora als Gründungsurkunde des Judentums oder auch das Buch Deuteronomium zu bestimmen.9
Rudolf Smend
JHWHs Bund mit Israel
Die Konzentration auf JHWH als „Fluchtpunkt“ oder „Mitte“ des Alten Testaments führte zu der Kritik, dass der Bezugsrahmen Gott-Mensch nicht fehlen dürfe. Deshalb hat R. Smend ein stark an deuteronomistischer Sprache und Theologie orientiertes Konzept entworfen :
„So sehr das in der ‚Selbstvorstellungsformel‘ ‚Ich bin Jahwe (dein Gott)‘ grundlegend Gesagte die ‚bestimmende Kraft für die Gemeinschaft des Alten Testaments‘ bildet [Zimmerli] – es verlangt mit der Notwendigkeit, die dieses Gottes Gabe und Gebot mit sich bringt, die in dem Satz ‚Ich will euer Gott sein und ihr sollt mein Volk sein‘ ausgesprochene Fortsetzung. Ist Jahwe der erste Gegenstand des alttestamentlichen Zeugnisses, so ist Israel der zweite, keiner von beiden ist es ohne den anderen.“10
Selbstvorstellungsformel s. u. 2.1
Bundesformel s. u. 2.5.1.2
Smend stellt deshalb anstelle der Selbstvorstellungsformel bei Zimmerli erneut die Bundesformel ins theologische Zentrum. „Gegenstand der Theologie des Alten Testaments wäre danach: Jahwe der Gott Israels in seiner Offenbarung, seinen Handlungen und Setzungen; Israel wie es das Volk Jahwes ist in der Anrufung seines Gottes und im Leben nach seinem Gebot; die große Störung, durch die die beiden Israels auseinandergetreten und Israel gegen Jahwe steht und Jahwe gegen Israel – Sünde und Gericht also, angesagt durch die Propheten; die Versuche, das Scheitern des Verhältnisses zwischen Gott und Volk zu überwinden: Restauration, kultische Konzentration, die theologischen Entwürfe der Exilszeit, die um der Gegenwart willen in die Vergangenheit blicken“ (80). Sein Fazit lautet: Wir können auch als Christen über diesen Partikularismus „Israel als erwähltes, besonders hervorgehobenes Volk“ nicht einfach hinweggehen, indem wir die Inhalte universalisieren. Denn „in der Mitte des Alten Testaments steht nicht der jüdische Weltgott, der die partikularen Bindungen abstreifen kann, sondern dieser eine Gott mit dem fremdartigen Namen und sein ihm gehorsames und nicht gehorsames Volk“ (83). Neuerdings wird wieder auf die vorrangige theologische Bedeutung des Bundesmotivs wenigstens für den Pentateuch hingewiesen. Mit Rekurs auf J. Assmann stellt z. B. M. Konkel fest:
„Die Beziehung zwischen Gott und Mensch ist nicht einfach eine ‚natürliche‘, durch die Schöpfung gegebene, sondern das Resultat einer Entscheidung – sowohl des Menschen, der sich für oder gegen Gott entscheidet, aber auch einer Entscheidung Gottes, der sich in verlässlicher Weise an den Menschen bindet.“11
Problematisch bleibt an diesem Vorschlag die Zentriertheit auf die deuteronomistische Theologie, die nur in einer begrenzten Anzahl der biblischen Bücher begegnet, wodurch zahlreiche Aspekte, wie z. B. Schöpfungsglaube, Zionstraditionen oder weisheitliches Denken, ausgespart bleiben. Auch lassen sich im Alten Testament durchaus Tendenzen einer Universalisierung des Gottesbildes finden (z. B. Gen 37–50; Hiob; Rut).
Jüdische Reaktionen
Die Bestimmung einer theologischen wie literarischen Mitte der hebräischen Bibel steht im Gegensatz zu jüdischen Auslegungstraditionen, in denen
Unterschiedliches Theologieverständnis
„[n]icht das System, sondern der Kommentar […] die legitime Form [ist], unter der die Wahrheit entwickelt werden kann. […] Die Wahrheit muß an einem Text entfaltet werden, in dem sie vorgegeben ist. […] Ein Blick auf eine Seite des babylonischen Talmud vermittelt […] den wahren Charakter ihres Lehrgesprächs über die Jahrhunderte weg: eine Zeile Text in der Mitte der großen Folienseite, die rechts und links von Kommentaren aus allen Zeiten überrandet ist. Der Möglichkeiten, die Tora zu interpretieren, waren viele, und der Anspruch der Tradition war es, alle auszuschöpfen.“12
Abb. 1: Miqraot Gedolot13
B. Levinson hat herausgestellt, dass die Liebe zum Widerspruch in den Traditionen bereits ein innerbiblisches Phänomen ist: „Der Bruch mit der Tradition drückt sich in der Sprache der Tradition aus“. Es geht also nicht darum, innere Kohärenz und Eindeutigkeit zu schaffen, sondern die Vielstimmigkeit der Traditionen zu bewahren, die auch mit der Kanonisierung nicht etwa zum Abschluss kam, sondern „Tora grundlegend […] umformt durch die Interpretation der Tora“ und sie so für die Gegenwart anwendbar macht.
„In der göttlichen Erzählstimme des biblischen Rechts und der biblischen Prophetie zeigt sich in Wahrheit die menschliche Erzählstimme mit ihrer Kraft zum Wandel: Die Stimme von Autoren, Denkern und Schriftstellern, die sich leidenschaftlich mit der Tradition auseinandersetzen.“14
Das Interesse rabbinischer Theologie („mündliche Tora“) zielt im Rückverweis auf die „schriftliche Tora“ der hebräischen Bibel auf Themen wie die Gottesfrage, Theodizee, Gottesfurcht, Erwählung und Bund, Gottes Offenbarung an Israel und die Propheten, Israel und sein Land, der Tempel, seine Opfer und Rituale, Festkalender, Reinheitsvorschriften, Beschneidung, Judentum und fremde Völker, Exodus und Exil, Eschatologie und Messias.15 Insbesondere die Fest- und Speiseverordnungen sind in der hebräischen Bibel nur kurz behandelt und erhalten erst in den rabbinischen Schriften zahlreiche Halachot. Deutlich wird anhand der Themenliste, dass jüdische und christliche Auslegung mitunter sehr unterschiedliche Aspekte in den Blick nehmen.
Rolf Rendtorff
Zweifache Nachgeschichte
Der jüdische Vorbehalt hat R. Rendtorff veranlasst, das von Rad’sche „literaturgeschichtliche“ Modell als Vorstufe einer „kanonischen Theologie“ anzusehen, die den Verzicht auf zentrale theologisch-systematisierende Begriffe voraussetzt und stattdessen die Nacherzählung in der (hebräischen) Buchreihenfolge bevorzugt (Bd. 1), an die sich dann eine Darstellung der zentralen Themenkomplexe (wie z. B. Schöpfung,; Bund – Erwählung; Land etc.) sowie hermeneutische Überlegungen zur zweifachen Nachgeschichte der hebräischen Bibel in Judenund Christentum anschließen (Bd. 2). Innerhalb der drei Kanonteile gebührt der Tora/dem Pentateuch ein besonderer Rang, auf den sich die beiden anderen Teile (Prophetische Bücher und Weisheitsschriften) rückbeziehen. Zugleich verkörpern diese Teile für ihn drei verschiedene Weisen von und mit Gott zu reden: „Im ersten Kanonteil handelt Gott, im zweiten Kanonteil spricht Gott, im dritten Kanonteil sprechen die Menschen zu Gott und von Gott“ (6; Hervorhebung im Original). Wichtiges Anliegen ist die Vergegenwärtigung dessen, dass die hebräische Bibel den Christen nicht „gehört“, sondern mit der – in vielerlei Hinsicht unterschiedlich verlaufenden – jüdischen Auslegungsgeschichte zu teilen ist. Sie hat Anspruch auf respektvolle Wahrnehmung, und der Dialog mit der jüdischen Auslegungstradition ist zu suchen und für die christliche Auslegung fruchtbar zu machen.
W.H. Schmidt
Historische Vielfalt des Gottesverständnisses
Die vielleicht meistrezipierte theologische Darstellung der letzten Jahrzehnte ist W.H. Schmidts Buch „Alttestamentlicher Glaube in seiner Geschichte“ (112011), das die Entwicklung des alttestamentlichen Gottesverständnisses in seinen sachlichen und