Staatshaftungsrecht. Michael Ahrens
zur Zeit des Inkrafttretens des BGB wurde eine unmittelbare Haftung des Staates auch für das Fehlverhalten seiner Amtsträger gefordert, die sich aber wegen fehlender Kompetenz des Gesetzgebers auf nationaler Ebene nicht umsetzen ließ.
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Die Überleitung der Haftung auf den Staat und damit die mittelbare Staatshaftung wurde für die gesamte hoheitliche Verwaltung mit Art. 131 WRV etabliert. Art. 34 GG setzt diese Konstruktion ohne grundsätzliche inhaltliche Änderung bis heute fort.[6]
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Die Haftungsübernahme des Staates erfolgte aus zwei Gründen. Zum einen dient sie dem geschädigten Bürger, der mit dem Staat einen leistungsfähigen Schuldner als Anspruchsgegner erhält. Sie setzt damit rechtsstaatliche und bei Grundrechtsverletzungen auch grundrechtliche Schutzpflichten um. Zum anderen, aber erst in zweiter Linie, bezweckt sie den Schutz des Amtswalters. Er soll frei von drohenden persönlichen Haftungsrisiken seine Aufgabe entschluss- und handlungsfreudig erfüllen. Auf diese Weise wird mittelbar die Verwaltungseffizienz gefördert.[7]
2. Teil Amtshaftung, § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG › A. Einführung › III. Anspruchsgrundlage
III. Anspruchsgrundlage
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§ 839 BGB und Art. 34 GG sind untrennbar miteinander verbunden, aber nicht identisch. § 839 BGB bezieht sich auf das hoheitliche und privatrechtliche Handeln des Amtswalters. Art. 34 GG ist dagegen enger und betrifft allein den hoheitlichen Bereich des Staatshandelns.
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§ 839 BGB spricht personal nur von Beamten, während Art. 34 GG den Personenkreis über den Begriff „jemand“ erweitert.
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Beide Normen ergänzen und beschränken sich zugleich. Sie bilden deshalb eine einheitliche Anspruchsgrundlage.
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Das Verhältnis der beiden Normen zueinander wird unterschiedlich beurteilt. Aus rechtshistorischer Sicht kann in § 839 BGB die haftungsbegründende Norm und in Art. 34 GG die haftungsverlagernde Vorschrift gesehen werden.[8] Wird auf den rechtsdogmatischen Aspekt abgestellt, so ist Art. 34 GG die eigentliche Anspruchsnorm, die durch § 839 BGB ausgestaltet wird.[9]
JURIQ-Klausurtipp
In einer Klausur sind beide Zitierweisen zulässig: § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG oder Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB. Entscheiden Sie sich für eine Schreibweise und halten Sie diese während der Klausur durch.
Auf die Diskussion über eine korrekte rechtsdogmatische Zuordnung ist dabei zu verzichten.
Die einheitliche Anspruchsgrundlage hat zur Folge, dass eine zweistufige Prüfung (1. Liegen die Voraussetzungen des § 839 BGB vor? und 2. Greift die Haftungsübernahme nach Art. 34 GG ein?) unterbleiben sollte.
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Die Amtshaftung umfasst ausschließlich die Haftung für rechtswidrig öffentlich-rechtliches Verwaltungshandeln.
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Eine Verdrängung dieser Haftung ist durch Sonderregelungen ausnahmsweise möglich. Sie schließt die Prüfung des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG von vornherein aus, wenn mit der Sonderregelung ein spezielles geschlossenes deliktisches Haftungssystem besteht.[10] Das ist für den Bereich der Notarhaftung mit § 19 BNotO z.B. der Fall.
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Die Frage nach einem Geltungsausschluss der Amtshaftung durch spezielle gesetzliche Regelungen spielt bei der Klausurbearbeitung grundsätzlich keine Rolle. Beachten Sie aber bitte den Unterschied zwischen Haftungsausschluss und Haftungsbeschränkung innerhalb des Anspruchs nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG. Diese Haftungsbeschränkungen können durchaus in einer Klausur zu prüfen sein.
2. Teil Amtshaftung, § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG › A. Einführung › IV. Regressansprüche des Staates gegen den Amtswalter
IV. Regressansprüche des Staates gegen den Amtswalter
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§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG gestaltet die Haftung des Amtswalters durch ihre Überleitung auf den Staat und betrifft das Außenverhältnis zum Bürger. Art. 34 S. 2 GG sieht im Innenverhältnis des Staates zu seinem Amtswalter einen Rückgriff/Regress vor, soweit der Amtswalter vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Da der Amtswalter in den meisten Fällen den Schadensfall allenfalls leicht fahrlässig verursacht hat und dann keinem Rückgriff ausgesetzt ist, sind die Fälle des Regresses eher selten.[11] Art. 34 S. 2 GG selbst ist keine Anspruchsgrundlage für einen Regress. Vielmehr ergeben sich derartige Anspruchslagen im Innenverhältnis zwischen Amtswalter und Staat aus speziellen gesetzlichen Vorschriften.
Für die Beamten der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der sonstigen der Aufsicht eines Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts gelten § 48 BeamtStG,[12] i.V.m. mit den ergänzenden Vorschriften des jeweiligen Landesrechts, z.B. § 81 LBG NRW oder § 59 LBG BW. Für die Beamten des Bundes, für die das BeamtStG nicht anwendbar ist, § 1 BeamtStG, gilt § 75 BBG. Für die Angestellten und Arbeiter gelten die allgemeinen zivil- und arbeitsrechtlichen Vorschriften. Zu beachten sind dabei tarifvertragliche Regelungen. Nach Außerkrafttreten des § 14 BAT gilt der inhaltsgleiche § 3 Abs. 7 TVL, der die Schadenshaftung für die Angestellten im Regress durch die entsprechende Anwendung der für die Beamten geltenden Vorschriften regelt.[13]
Ein Regressanspruch des Staates besteht auch gegen einen Amtswalter, der aufgrund einer Beleihung oder als Verwaltungshelfer tätig wird. Auch in dieser Konstellation ist eine gesetzliche Grundlage für einen Regressanspruch erforderlich. Allerdings entfällt in diesen Fällen eine Begrenzung des Rückgriffs auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit nach Art. 34 S. 2 GG. Art. 34 S. 2 GG ist auf Private, die als Amtsträger handeln, mithin nicht anzuwenden. Das ergibt sich aus dem Zweck des Art. 34 S. 2 GG, der einerseits in einer Stärkung der Entschlussfreude des Amtsträgers und der damit verbundenen Förderung der Effektivität hoheitlichen Staatshandelns liegt. Andererseits soll Art. 34 S. 2 GG auch der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Bediensteten Rechnung tragen. Zumindest der letzte Aspekt liegt nicht vor, wenn ein Privater als Amtsträger tätig wird.[14]
Da Art. 34 S. 2 GG zur Ausgestaltung eines Regressanspruchs gegenüber einem privaten Amtsträger nicht herangezogen werden kann, muss der Umfang des Regresses in der entsprechenden gesetzlichen Regelung selbst enthalten sein.[15]
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Machen Sie sich keine allzu großen Sorgen! Fragen nach einem Regress sind in Klausuren äußerst selten. Und wenn sie wider Erwarten doch auftauchen, dann gilt: Nennen Sie die Anspruchsgrundlage und prüfen Sie dann, wie die Norm es von Ihnen verlangt, ob eine Amtspflichtverletzung vorliegt.
Diese Prüfung erfolgt nach den Vorgaben des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG – siehe Prüfungsschema zu Beginn dieses Teils.
Lediglich beim Verschulden findet eine Begrenzung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit statt, soweit es sich um öffentlich-rechtliche Bedienstete handelt, Art. 34 S. 2 GG. Geht es um einen Privaten, der als Beliehener