Staatshaftungsrecht. Michael Ahrens
Innenverhältnis gegenüber dem Staat als seinem Dienstherrn.
Der Amtswalter hat aber gerade bei seinem Handeln im Außenverhältnis zum Bürger auch die Pflicht, die den Staat, seinen Dienstherrn, bindenden Rechtspflichten zu beachten.
Verletzt ein Amtswalter also eine Pflicht gegenüber dem Staat, verletzt er zugleich eine Pflicht des Staates, die dieser gegenüber dem Bürger zu beachten hat.[33] Abgekürzt bedeutete das, dass der Amtswalter letztlich direkt im Verhältnis zum Bürger die Amtspflicht einzuhalten hat.
JURIQ-Klausurtipp
Diese Herleitung ist in einer Klausur grundsätzlich nicht darzustellen. Nur im Fall einer innerdienstlichen Weisung bzw. Verwaltungsvorschrift spielt sie eine Rolle. Dieser Sonderfall wird weiter unten erörtert.
Die Herleitung soll nur dem besseren Verständnis der Konstruktion des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG dienen.
2. Die wichtigsten Amtspflichten
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Die wichtigste Amtspflicht ist die zu einem rechtmäßigen Verhalten, die sich aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Art. 20 Abs. 3 GG, ergibt.[34] Daraus folgen konkret ausgeprägte und typische Amtspflichten wie die Pflicht
• | zum zuständigkeits- und verfahrensgemäßen Handeln,[35] |
• | zur sorgfältigen Sachverhaltsermittlung, § 24 VwVfG,[36] |
• | zur Erteilung korrekter Auskünfte, korrekten Beratung, § 25 VwVfG,[37] |
• | zur Einhaltung einer angemessenen Bearbeitungsfrist,[38] |
• | zur Unterlassung unerlaubter Handlungen,[39] und absolut geschützte Rechte unbeteiligter Dritter zu achten,[40] |
• | keine rechtswidrigen Rechtsakte zu erlassen,[41] |
• | zur fehlerfreien Ermessensausübung und Beachtung der Verhältnismäßigkeit,[42] |
• | zu konsequentem, widerspruchsfreiem Verhalten,[43] |
• | zur Beachtung und Orientierung an der höchstrichterlichen Rechtsprechung sowie Begründungspflicht im Fall einer Abweichung hiervon,[44] |
• | zum Tätigwerden soweit eine Rechtspflicht hierzu besteht,[45] |
• | zur Verkehrsregelung, d.h. die sich aus der StVO ergebenden Pflichten zur Regelung des Straßenverkehrs vorzunehmen.[46] Die Verkehrsregelungspflicht ist von der Verkehrssicherungspflicht zu trennen. |
3. Sonderfall: Verkehrssicherungspflicht
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Die Verkehrssicherungspflicht trifft Hoheitsträger – Behörden und Amtswalter – zunächst nach allgemeinem Deliktsrecht. Umstritten ist aber, ob die Verkehrssicherungspflicht eine Amtspflicht darstellt mit der Folge einer Haftungsprivilegierung. Die Verkehrssicherungspflicht beinhaltet die Pflicht, allgemein zugängliche Wege, Plätze und Räume in einem verkehrssicheren Zustand zu halten, damit niemand zu Schaden kommt. Die Rechtsprechung lehnt ihre Qualifizierung als Amtspflicht ab, da die geschaffene Gefahr nicht vom Verhalten eines Amtswalters, sondern von der Sache selbst ausgeht. Etwas anderes gilt nur, wenn die Verkehrssicherungspflicht als hoheitliche Aufgabe übertragen worden ist.[47]
Die Literatur ordnet die Verkehrssicherungspflicht als hoheitliche Aufgabe ein.[48]
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Hinsichtlich der Straßenverkehrssicherungspflicht ist aber die Problematik durch die gesetzliche Einordnung als hoheitliche Aufgabe entfallen, vgl. § 9a StrWG NRW – z.B. Unterlassen eines Hinweises auf eine Gefahrenlage – [49], Art. 72 BayStrWG – z.B. Unterlassen einer ausdrücklichen Verkehrsregelung.[50] Die Frage nach der Einordnung der Verkehrssicherungspflicht bleibt nur zu diskutieren u.a. bei Kinderspielplätzen[51] oder städtischen Sportplätzen.[52]
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Innerhalb dieses Sonderfalles kann sich zudem die Problematik der Beteiligung Privater, denen die Verkehrssicherungspflicht übertragen worden ist, zeigen. Es geht dabei um private Bau- oder Umzugsfirmen, die eine seitens der Behörde genehmigte Halteverbotsbeschilderung selbst vornehmen und dabei die Verkehrssicherungspflicht verletzen.[53]
4. Sonderfall: Weisung/Verwaltungsvorschrift
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Eine weitere besondere Situation liegt vor, wenn der Amtswalter aufgrund einer innerdienstlichen Weisung oder einer Verwaltungsvorschrift durch seinen Dienstherrn/Vorgesetzten gehalten ist, eine im Verhältnis zum Bürger rechtswidrige Entscheidung zu treffen. Diese im Außenverhältnis zum Bürger rechtswidrige Entscheidung ist im Innenverhältnis zum Dienstherrn/Vorgesetzten rechtmäßig, die Amtspflicht im Innenverhältnis und die Rechtspflicht im Außenverhältnis fallen auseinander.
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Die oben erläuterte Konstruktion der Amtshaftung führt also dazu, dass der Amtswalter im Innenverhältnis korrekt handelt und es damit an einer Pflichtverletzung fehlt, die auf den Staat übergeleitet werden kann. Der von der im Außenverhältnis rechtswidrigen Maßnahme betroffene Bürger bleibt so hinsichtlich eines Amtshaftungsanspruches schutzlos. Diese Rechtsschutzlücke wird über eine Haftungsverschiebung innerhalb der Verwaltung gelöst. Der Amtswalter ist dabei nicht isoliert zu betrachten, sondern die Verwaltung als Ganzes. Dies umso mehr als der Bürger die verschiedenen Verwaltungsebenen und -hierarchien im Regelfall nicht unterscheidet. Deshalb ist das rechtswidrige Verhalten des Amtswalters im Außenverhältnis zum Bürger demjenigen zuzurechnen, der die innerdienstliche Weisung erteilt bzw. die Verwaltungsvorschrift erlassen hat. Der Amtshaftungsanspruch ist dann gegen ihn (Dienstherrn/Vorgesetzten) zu richten und sodann auf den Staat überzuleiten.[54]
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Abweichend von dieser Lösung wird unter Bezugnahme auf den Wortlaut des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG „einem Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht“ die Ansicht vertreten, dass sich die Amtspflichten direkt auf das Verhältnis zum Bürger beziehen. Amtspflichten und Rechtspflichten entsprechen sich.[55]
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Jedoch ist darauf hinzuweisen, dass es ausdrücklich „Amtspflichten“ heißt, so dass derselbe Wortlaut wie auch die historisch bedingte Konstruktion der Amtshaftung gegen eine Gleichsetzung von Amts- und Rechtspflichten sprechen.
Beispiel 1
Auf Weisung