Staatshaftungsrecht. Michael Ahrens
durch den Erlass eines Verwaltungsaktes zu dessen vollständiger inzidenten Überprüfung kommen. Das heißt, dass Sie an dieser Stelle die formelle und materielle Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes zu überprüfen haben. Auf diese Weise kann sich in einer Amtshaftungsklausur ohne Weiteres ein Schwerpunkt im Allgemeinen wie im Besonderen Verwaltungsrecht finden.
2. Teil Amtshaftung, § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG › B. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen › IV. Gegenüber einem Dritten
1. Feststellung der Drittbezogenheit
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§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG setzt voraus, dass eine Amtspflichtverletzung gegenüber einem Dritten begangen wird. Diese Drittbezogenheit dient der Haftungsbegrenzung. Es soll nicht jede Amtspflichtverletzung einen Amtshaftungsanspruch auslösen. Sie besteht nur, wenn zwischen Staat und Bürger aufgrund der Amtspflichten ein besonderes Näheverhältnis besteht.[68]
Eine Drittbezogenheit der Amtspflicht liegt vor, wenn die Amtspflicht zumindest auch dem geschädigten Bürger gegenüber besteht.
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Unter Zugrundelegung der ständigen Rechtsprechung[69] lässt sich damit die Drittbezogenheit der Amtspflicht in einer gestuften Prüfungsabfolge ermitteln. Es ist zu klären, ob
• | die Amtspflicht überhaupt Drittwirkung entfaltet, |
• | der Geschädigte dem geschützten Personenkreis zuzurechnen ist und |
• | das konkret betroffene Recht oder Rechtsgut von der Drittwirkung erfasst wird.[70] |
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Besteht danach keine Drittbezogenheit, so entfällt ein Amtshaftungsanspruch unabhängig davon, ob der Bürger durch die Amtspflichtverletzung einen Schaden erlitten hat.
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Die Frage nach der generellen Drittwirkung einer Amtspflicht beantwortet sich nach den Grundsätzen der zur Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO entwickelten Schutznormtheorie.[71] Danach ist durch Auslegung der konkreten Amtspflicht zu ermitteln, in wie weit sie auch die Interessen einzelner Personen schützt und damit für diese Personen subjektive Rechte begründet, auf die sie sich berufen können.[72]
JURIQ-Klausurtipp
In einer Klausur gilt für diesen Punkt die Faustformel: Einen generellen Drittbezug können Sie annehmen, wenn die Verletzung der Amtspflicht in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Klagebefugnis begründen könnte. Bei der Verletzung subjektiver Rechte ist das stets der Fall. Im Übrigen kommt es auf Ihre Argumentation zur Auslegung der konkreten Amtspflicht an.
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Der Aspekt der Zurechnung des Geschädigten zum geschützten Personenkreis verlangt, dass die verletzte Amtspflicht den Zweck hat, gerade den Personenkreis zu schützen, dem der Geschädigte angehört. Auch hier ist auf die oben erwähnten Grundsätze der Schutznormtheorie als Hilfskriterium zurückzugreifen.
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In diesen persönlichen Schutzbereich fällt der Geschädigte immer, wenn z.B. die Amtspflicht, unerlaubte Handlungen zu unterlassen und Rechtsgüter unbeteiligter Dritter zu achten, verletzt wird.[73] Es handelt sich hierbei um eine sog. absolute Amtspflicht, die generell drittschützend ist.[74]
Zum Kreis der geschützten Personen gehört zunächst derjenige, dem die verletzte Rechtsposition zusteht und nicht anderen Personen, selbst wenn sich das pflichtwidrige Handeln des Amtsträgers für sie nachteilig auswirkt.[75]
Allerdings ist anerkannt, dass ein eigener Rechtsanspruch auf die Amtshandlung für die Drittbezogenheit nicht zwingend erforderlich ist, wenn die Auslegung der verletzten Norm ergibt, dass sie auch dem Schutz von Personen dient, die nicht selbst anspruchsberechtigt sind.[76]
Eine Besonderheit hinsichtlich des Drittbezuges der Amtspflicht bezüglich des geschützten Personenkreises besteht bei § 36 BauGB. Nach dieser Vorschrift ist bei der Erteilung einer Baugenehmigung durch den Landkreis als zuständiger Behörde das Einvernehmen der betroffenen kreisangehörigen Gemeinde einzuholen. Die frühere Rechtsprechung sah in der rechtswidrigen Verweigerung eines Einvernehmens der Gemeinde eine Amtspflichtverletzung. Zur Begründung wurde auf die Bindungswirkung dieser gemeindlichen Entscheidung, die ihrerseits in der gemeindlichen Planungshoheit beruhe, gegenüber der Baugenehmigungsbehörde verwiesen. Dadurch werde, wenn auch nur mittelbar, die Rechtstellung des Bauwilligen berührt, der dann seinerseits wegen der rechtswidrigen Versagung des Einvernehmens gegen die Gemeinde eine Amtspflichtverletzung geltend machen könne.[77] Die Rechtsprechung verneint nunmehr eine Amtspflichtverletzung, weil die Baugenehmigungsbehörde wegen des in § 36 Abs. 2 BauGB hinzugekommenen S. 3 eine umfassende Ersetzungsbefugnis hinsichtlich eines rechtswidrig verweigerten Einvernehmens habe.[78]
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Der letzte Punkt der Ermittlung der Drittbezogenheit der Amtspflicht bezieht sich auf das von der Amtspflichtverletzung betroffene Rechtsgut. Die Amtspflichtverletzung gegenüber dem Geschädigten führt nicht automatisch zu einem Ausgleich des entstandenen Schadens. Vielmehr ist weiter zu prüfen, ob das gerade im Einzelfall berührte Interesse nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt werden soll.[79] Mit anderen Worten werden die Rechtsgüter des Geschädigten von der Amtspflicht nur insoweit erfasst, wie der konkrete Schutzzweck der Amtspflicht selbst reicht. Es kommt also darauf an, dass gerade der entstandene Schaden durch die Amtspflicht verhindert werden soll.
Beispiel
A erwirbt von B ein Wiesengrundstück. Das Grundstück liegt am Stadtrand und seine nähere Umgebung ist frei von jeglicher Bebauung. B hatte zuvor einen Bauvorbescheid erhalten, wonach das Grundstück im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegt, der das Gebiet als reines Wohngebiet ausweist. Jedoch war der Bebauungsplan wegen fehlender Bekanntgabe ungültig, was der Baubehörde bekannt war.
Nach Ablauf der Geltungsdauer des Bauvorbescheides stellt A einen Bauantrag zur Errichtung eines Wohnhauses. Der Antrag wird abgelehnt, da die Errichtung eines Wohnhauses im Außenbereich unzulässig ist.
A macht einen Amtshaftungsanspruch wegen des unrichtigen Bauvorbescheides geltend, weil er im Vertrauen auf die Bebaubarkeit des Grundstücks einen höheren Kaufpreis bezahlt hatte.
Der Mitarbeiter der Baubehörde – Amtswalter – hat einen unrichtigen Bauvorbescheid erteilt und damit gegen die Amtspflicht zum rechtmäßigen Handeln verstoßen. Die verletzte Amtspflicht ist auch drittbezogen. Unter Anwendung der oben dargestellten drei Prüfungsschritte ergibt sich:
Die Amtspflicht zum rechtmäßigen Handeln hat das Ziel, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu gewährleisten. Kein Bürger soll rechtswidrigem Staatshandeln ausgesetzt sein. Sie ist damit generell drittschützend.
Im zweiten Schritt ist die Zugehörigkeit des A zum geschützten Personenkreis zu klären. Auf den ersten Blick gehört A nicht dazu, da nicht er, sondern B den Bauvorbescheid beantragt hatte. Im konkreten Verfahren zum Bauvorbescheid gehörte nur B als Verfahrensbeteiligter zum geschützten Personenkreis. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Bauvorbescheid nicht personenbezogen erlassen wird. Vielmehr bezieht er sich auf das Grundstück selbst und ist deshalb objektbezogen. Aus diesem Umstand folgt, dass die Amtspflicht Wirkung auch