Staatshaftungsrecht. Michael Ahrens
zu nehmen. Potenzielle Käufer sind ebenso einzubeziehen, weil das Vorliegen eines Bauvorbescheides eine wirtschaftliche Funktion hat, konkret sich auf den Entschluss zum Erwerb und den Kaufpreis auswirkt. Ein bebaubares Grundstück ist schließlich besser verwertbar und teurer als ein nur als Wiesengrundstück nutzbares. Die wirtschaftliche Funktion eines Bauvorbescheides hat die Baubehörde mit zu beachten, da sie davon ausgehen muss, dass ein Bauvorbescheid einem Käufer vorgelegt wird. Auf den zweiten Blick schützt damit die verletzte Amtspflicht auch A.
Im dritten Schritt ist zu erörtern, ob der eingetretene Schaden (die Mehraufwendungen des A bei der Kaufpreiszahlung) im Schutzbereich der verletzten Amtspflicht (keine unrichtigen Bauvorbescheide zu erlassen) liegt. Bei dem im Vertrauen auf den Bauvorbescheid vorgenommenen Grundstückserwerb hat A einen überhöhten Kaufpreis bezahlt. Darin hat sich gerade die Gefahr verwirklicht, zu deren Abwehr die konkret verletzte Absicht unmittelbar dient. Aus diesen Gründen ist eine Drittbezogenheit der Amtspflicht zu bejahen.[80]
2. Sonderfall: Normatives Unrecht, insbesondere Bebauungspläne
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Eine entscheidende Rolle spielt die Drittbezogenheit bei der Frage nach einer Amtshaftung aufgrund fehlerhafter Rechtsetzungsakte. Zu diesem Bereich zählen zum einen die Rechtsetzungsakte der förmlichen Gesetzgebung, sprich durch Parlamentsgesetze – legislatives Unrecht. Zum anderen gehören die Rechtsetzungsakte der Verwaltung selbst, Rechtsverordnungen und Satzungen als rein materielle Gesetze, aber auch der Erlass von Verwaltungsvorschriften dazu – normatives Unrecht.
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Soweit es um förmliche Gesetze, Rechtsverordnungen, Satzungen außerhalb des Baurechts und um Verwaltungsvorschriften geht, ist nach der Rechtsprechung des BGH keine drittbezogene Amtspflicht anzunehmen. Bei dieser Art von Normen geht es durchweg um generelle und abstrakte Regelungen. Der Normgeber nimmt dabei ausschließlich Aufgaben der Allgemeinheit war. Eine Bezugnahme auf bestimmte Personen oder Personengruppen fehlt.[81]
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Die Literatur stimmt dem BGH teilweise zu.[82] Teilweise wird sie mit dem Hinweis abgelehnt, dass grundrechtsverletzende Normen einen Drittbezug zum Bürger auslösen, da Grundrechte unstreitig individualrechtsschützenden Charakter haben.[83] Trotz der Annahme eines Drittbezuges entfällt eine Amtshaftung jedoch wegen fehlenden Verschuldens bzw. Versäumung eines Rechtsmittels.[84]
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Soweit es sich um eine unterlassene Rechtsetzung handelt, ist eine Drittbezogenheit der Amtspflicht nur anzunehmen, wenn eine Rechtspflicht zur Rechtsetzung besteht. Eine derartige Pflicht ist grundsätzlich nicht gegeben, da der Normgeber hinsichtlich des Erlasses einer Regelung grundsätzlich ein Gestaltungsermessen hat.[85]
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Ausnahmsweise wird eine solche Rechtspflicht aber bejaht, wenn ein Verfassungsauftrag wie in Art. 6 Abs. 5 GG besteht oder eine Schutzpflicht des Staates aus den Grundrechten offensichtlich verletzt wird.[86]
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Bewegung ist in diese Diskussion über die Amtshaftung für legislatives Unrecht durch die Rechtsprechung des EuGH gekommen. Es geht dabei um die Nichtumsetzung von europarechtlichen Richtlinien in nationales Recht.[87]
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In einer Klausur können Sie beiden Ansichten mit entsprechender Argumentation folgen. Auf der sicheren Seite sind Sie mit der Rechtsprechung! In einer Prüfung kann die Ansicht der Rechtsprechung nicht als falsch gekennzeichnet werden. Denken Sie daran, wenn Sie der Gegenansicht zuneigen, dass der Amtshaftungsanspruch höchstwahrscheinlich an der Frage des Verschuldens bzw. der Versäumung eines Rechtsmittels scheitern wird.
Generell anerkannt ist die Drittbezogenheit der Amtspflicht im Rahmen des normativen Unrechts, wenn es um Einzelfall- bzw. Maßnahmegesetze geht.[88]
Hinweis
Da diese Konstellation äußerst selten, mehr theoretischer als praktischer Natur ist, spielt sie im Examen keine Rolle.
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Ebenso anerkannt ist die Drittbezogenheit einer Amtspflichtverletzung bei dem Erlass von Bebauungsplänen.[89]Zur Begründung sind die Prüfungsschritte anzuwenden, mit denen die Drittbezogenheit ermittelt wird.
Im ersten Schritt ist wieder die generelle Drittbezogenheit der Amtspflicht festzustellen. Das ist für das Abwägungsgebot aus § 1 Abs. 7 BauGB der Fall, denn dort sind neben den Interessen der Allgemeinheit auch die Interessen Privater zu berücksichtigen.[90] Ein genereller Drittbezug wird auch z.B. im Hinblick auf die Wahrung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse angenommen, § 1 Abs. 6 Nr. 1 u. 7c BauGB. Das hat insbesondere zur Konsequenz, keine Altlastenflächen als Baugebiet auszuweisen.[91] Diese generelle Drittbezogenheit ist mittlerweile so klar anerkannt, dass sie seitens der Rechtsprechung nicht mehr besonders erörtert und begründet wird.[92]
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Im zweiten Schritt lässt sich der von der generell drittbezogenen Amtspflicht erfasste Personenkreis über die im Plangebiet liegenden Grundstücke individualisieren. Die Rechtsprechung spricht diesbezüglich von einem Kreis Dritter, der in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise hinsichtlich seiner schutzwürdigen Interessen betroffen ist.[93]
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Sie merken an dieser Stelle die eindeutige Orientierung der Rechtsprechung an der Schutznormtheorie, die in Verbindung mit § 42 Abs. 2 VwGO entwickelt worden ist. Lassen Sie sich nicht durch die komplizierte Formulierung des BGH abschrecken. Fragen Sie sich nur, ob ein Dritter in dem Fall klagebefugt wäre.
Wiederholen Sie die Voraussetzungen der Klagebefugnis, Möglichkeitstheorie, Adressatenformel, Schutznormtheorie.
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Soweit ein Schaden durch die Nichtberücksichtigung der privaten Belange bei § 1 Abs. 7 BauGB bzw. z.B. bei Beeinträchtigung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse vorliegt, § 1 Abs. 6 Nr. 1 u. 7c BauGB ist auch die letzte Voraussetzung der Drittbezogenheit erfüllt. Der Schutzzweck der Amtspflicht umfasst den eingetretenen Schaden.
Zu beachten ist dabei jedoch, dass die Behörde die Möglichkeit einer Heilung von Verfahrensfehlern haben muss. Damit stellt sich die Frage nach dem rechtmäßigen Alternativverhalten. Danach wird ein ersatzfähiger Schaden verneint, wenn der Schaden auch bei einem möglichen, rechtmäßigen Verwaltungshandeln entstanden wäre, also die Behörde bei rechtmäßigem Verfahren zu derselben Entscheidung hätten kommen müssen.[94] Das gilt auch, wenn Baugenehmigungsbehörde und die den Plan erlassende Gemeinde auseinanderfallen, wie es bei kleinen kreisangehörigen Gemeinden, die über keine eigene Baugenehmigungsbehörde verfügen, der Fall ist.[95]
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Nicht einbezogen in den Drittbezug der Amtspflichtverletzung sind die Kreditgeber der Grundstückseigentümer, da ihnen gegenüber ein Bezug zu den Abwägungskriterien des § 1 Abs. 5–7 BauGB fehlt.[96]
Ebenso wenig erstreckt sich der Drittbezug der Amtspflicht auf die dem Gebiet, für das ein Bebauungsplan besteht, benachbarten Grundstücke. Das gilt sogar für Nachbargrundstücke innerhalb eines Bebauungsplans. Ein Drittbezug der Amtspflicht kann in diesen Fällen nur auf das jeweilige konkret betroffene Grundstück angenommen werden, nicht auf seine Umgebung, selbst wenn sie von den Auswirkungen betroffen ist.[97]
Beispiel
Das Grundstück des A ist so stark belastet, dass es unbewohnbar ist. Das Nachbargrundstück des B ist selbst unbelastet, es wird aber durch die Auswirkungen vom