Staatshaftungsrecht. Michael Ahrens
Die Kfz-Haftpflichtversicherung des A ist aber gerade dafür da, den von A gegenüber B verursachten Schaden zu übernehmen. Damit wird ein Ausgleich im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem vorgenommen. Ein Ausschluss des Amtshaftungsanspruchs über die Subsidiaritätsklausel ist gegeben.
Die Voraussetzungen des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB sind im Übrigen zu bejahen. Die Polizei bzw. ihre Bediensteten haben durch ihr Unterlassen fahrlässig gehandelt. Der Anspruch gegen die Kfz-Haftpflichtversicherung des A besteht und ist auch durchsetzbar. Ein Amtshaftungsanspruch gegen das Land L scheitert an der Subsidiaritätsklausel, weil B gegen die Kfz-Haftpflichtversicherung des A einen Anspruch als anderweitige Ersatzmöglichkeit hat.[141]
2. Richterspruchprivileg nach § 839 Abs. 2 BGB
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Handelt es sich um richterliche Tätigkeit, so unterfällt sie dem Merkmal „Ausübung eines öffentlichen Amtes“ i.S.d. Amtshaftungsanspruchs. Der Richter ist im Fall einer Amtspflichtverletzung nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Als Straftaten, die allein in Betracht kommen, sind die Rechtsbeugung, § 339 StGB, und die Richterbestechlichkeit, § 332 Abs. 2 StGB, zu nennen. Da beide Taten vorsätzliches Handeln verlangen, scheidet ein Amtshaftungsanspruch wegen eines fahrlässig falschen Urteils aus.
Der Sinn des Richterspruchprivilegs wird zum Teil im Schutz der richterlichen Unabhängigkeit, überwiegend aber im Schutz der Rechtskraft staatlicher Urteile vor einer erneuten Sachprüfung gesehen. Es soll verhindert werden, dass derjenige, der einen Prozess verliert, über ein Verfahren zur Amtshaftung die nochmalige Überprüfung eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens erreicht. In einem Amtshaftungsverfahren müsste die Entscheidung des Gerichts erneut geprüft werden, um einen Amtspflichtverstoß überhaupt feststellen zu können.[142] Das gilt auch für Beisitzer, Schöffen und ehrenamtliche Richter.[143]
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Erfasst werden mit dem Merkmal „Urteil“ in § 839 Abs. 2 BGB alle gerichtlichen Entscheidungen, die in Rechtskraft erwachsen können.[144] Neben Urteilen fallen darunter u.a. Beschlüsse, § 91a ZPO, nicht aber Beschlüsse über Haftbefehle, Durchsuchungsanordnungen oder im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, §§ 916, 935, 940 ZPO oder §§ 80, 80a, 123 VwGO.[145]
Wenn kein Urteil oder eine vergleichbare Entscheidung i.S.d. § 839 Abs. 2 BGB vorliegt, greift auch für Richter die Amtshaftung nach den allgemeinen Regeln ein, also auch im Falle einer fahrlässigen Amtspflichtverletzung des Richters. Die Rechtsprechung des BGH vertritt hierbei die Ansicht, dass aufgrund des Grundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit eine Haftungsbeschränkung des Richters auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu erfolgen hat.[146] Da diese Auffassung keine Stütze im Gesetzestext des § 839 BGB hat, ist sie abzulehnen.[147]
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Schließlich ist zu beachten, dass das Haftungsprivileg des § 839 Abs. 2 BGB nicht nur bei einer Amtspflichtverletzung durch ein Urteil eingreift, sondern „bei“ einem Urteil. Damit wird das der eigentlichen Entscheidung vorausgehende Verfahren mit einbezogen. Jedoch ist wiederum § 839 Abs. 2 S. 2 BGB zu sehen, der eine Haftungseinschränkung für bestimmte Verfahrenshandlungen schafft.
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Zwischen der Amtspflichtverletzung bei einem Urteil und dem eingetretenen Schaden muss ein Kausalzusammenhang bestehen.[148]
3. Versäumung von Rechtsmitteln
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Nach § 839 Abs. 3 BGB entfällt ein Amtshaftungsanspruch, wenn der Geschädigte es unterlassen hat, den Schaden durch Einlegung eines Rechtsmittels abzuwenden.
Ursprünglich hatte die Regelung des § 839 Abs. 3 BGB den Grund, den leistungsschwachen Beamten zu schützen. Dieser Grund ist mit der Haftungsüberleitung auf den Staat nach Art. 34 GG weggefallen.[149] Mittlerweile wird der Grund für diese Haftungsbeschränkung in einer Konkretisierung und Verschärfung des Gedankens des Mitverschuldens, § 254 BGB, bzw. des Grundsatzes von Treu und Glauben[150] gesehen.[151] Darüber hinaus drückt diese Regelung den Vorrang des Primärrechtsschutzes aus.[152]
Hinweis
Denken Sie daran: Primärrechtsschutz heißt, den rechtswidrigen hoheitlichen Eingriff durch Rechtsbehelfe bzw. -mittel abzuwehren. Ziel ist die Beseitigung der rechtswidrigen Maßnahme und damit die Wiederherstellung eines rechtmäßigen, dem Gesetz entsprechenden Zustandes. Der Sekundärrechtsschutz duldet den rechtswidrigen Zustand und verfolgt das Ziel, diesen rechtswidrigen Zustand durch Schadensersatz bzw. Entschädigung auszugleichen.
Bitte prägen Sie sich ein, im gesamten Staatshaftungsrecht gilt der Grundsatz vom Vorrang des Primärrechtsschutzes vor dem Sekundärrechtsschutz. Es gibt zwischen diesen beiden Möglichkeiten kein Wahlrecht.[153] Also kein „dulde und liquidiere“!
Machen Sie sich noch einmal bei der Gelegenheit klar, welche primären Rechtsschutzmöglichkeiten es gibt (Klagearten der VwGO).
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Rechtsmittel i.S.d. § 839 Abs. 3 BGB sind alle Rechtsbehelfe, die sich gegen die Amtspflichtverletzung wenden oder die Abwendung des Schadens zum Ziel haben.[154] Der Begriff umfasst neben den förmlichen auch die formlosen Rechtsbehelfe, Widerspruch, § 68 VwGO – soweit er noch nicht durch landesrechtliche Regelungen entfallen ist, z.B. § 6 AGVwGO NRW –, grundsätzlich alle Klagen nach der VwGO, Anträge im Eilverfahren, §§ 80 Abs. 5, 123 VwGO, sowie daneben Petitionen, Gegenvorstellungen und Dienstaufsichtsbeschwerden.[155] Nicht dazu gehören die Folgenbeseitigungsklage[156] und die Verfassungsbeschwerde.[157]
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Das Versäumnis, ein Rechtsmittel einzulegen, muss schuldhaft, zumindest fahrlässig sein. Davon ist auszugehen, wenn aus der Sicht des Geschädigten Anlass dazu bestand, vom Vorliegen einer Amtspflichtverletzung auszugehen. Das ihm hierzu möglicherweise die erforderlichen Rechtskenntnisse fehlen, steht der Annahme eines Verschuldens nicht entgegen.[158] Der Geschädigte muss im Zweifelsfall rechtskundige Beratung in Anspruch nehmen.[159] Ein Verschulden der dabei herangezogenen Personen – Rechtsanwälte – ist dem Geschädigten unter den Voraussetzungen des § 278 BGB zuzurechnen. Die hierfür erforderlichen Sonderverbindung ergibt sich aus der in § 839 Abs. 3 BGB enthaltenen Schadensminimierungspflicht.[160] Wird aber die Einlegung eines Rechtsmittels versäumt, weil der Geschädigte sich auf Aussagen und Erklärungen des Amtswalters verlässt, so ist das grundsätzlich nicht zu beanstanden, sprich die Beschränkung des § 839 Abs. 3 BGB greift nicht ein.[161]
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Schließlich muss für eine Haftungsbegrenzung nach § 839 Abs. 3 BGB eine Kausalität zwischen der Versäumung der Einlegung eines Rechtsmittels und dem eingetretenen Schaden vorliegen. Es ist unter Zugrundelegung eines hypothetischen Geschehensablaufs zu prüfen, wie sich die Dinge entwickelt hätten, wenn ein im konkreten Fall zur Verfügung stehendes Rechtsmittel eingelegt worden wäre. Die Ursächlichkeit ist damit dann gegeben, wenn die Nichteinlegung des Rechtsmittels kausal für den Schadenseintritt war, weil dieses versäumte Rechtsmittel tatsächlich Erfolg gehabt hätte.[162] Die Folge ist, dass der Amtshaftungsanspruch dann entfällt.
4. Mitverschulden § 254 BGB
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Die Amtshaftung ist verschuldensabhängig. Damit kann in ihrem Bereich § 254 BGB angewandt werden, soweit nicht § 839 Abs. 3 BGB schon den Anspruch auf Amtshaftung ausgeschlossen hat.[163]
Das Mitverschulden kann sich sowohl auf die Schadensentstehung, § 254 Abs. 1 BGB, als auch auf die Schadensminderung, § 254 Abs. 2 BGB, beziehen. Der Umfang des Mitverschuldens kann bis zum völligen Wegfall des Amtshaftungsanspruchs führen.[164]
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