Staatshaftungsrecht. Michael Ahrens
Beispiel 3
Eine Stadt beauftragt eine private Firma mit der eigenverantwortlichen und weisungsfreien Steuerung sämtlicher Ampelanlagen. Aufgrund eines Fehlers des Schaltprogramms zeigt an einer Kreuzung eine Ampelanlage sowohl für den Geradeausverkehr als auch für den Querverkehr Grün. Infolgedessen kommt es zu einem schweren Unfall. Einer der Geschädigten verlangt Schadensersatz von der Stadt.
Hier ist nach der Rechtsprechung unter Zugrundelegung der Werkzeugtheorie keine Amtswalterstellung anzunehmen, da die private Firma selbstständig und gerade weisungsfrei handeln konnte. Allenfalls die Überlegung, dass dieses Ergebnis zu einer Schlechterstellung des Geschädigten führt, könnte in einer Gesamtschau aller Umstände berücksichtigt werden. Eine derartige ergebnisorientierte Sichtweise kommt aber letztlich einer Aufgabe der Werkzeugtheorie gleich.
Die Literatur kommt hingegen über die Qualifizierung der Verkehrsregelungsaufgabe als öffentlich-rechtlich wiederum unproblematisch zur Annahme einer Amtswalterschaft.
JURIQ-Klausurtipp
Die Thematik „Handeln eines Amtswalters“ können Sie in folgenden Schritten erörtern:
Zunächst ist eine Begriffsklärung „Beamter“ in § 839 BGB unter Erweiterung auf „jemand“ in Art. 34 GG vorzunehmen. Damit geht eine Verlagerung des Anknüpfungspunktes der Amtshaftung – weg vom Status des Handelnden hin zur Rechtsnatur der Tätigkeit – einher.
Diese Tätigkeit ist sodann als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren, ggf. unter Zuhilfenahme der bekannten Abgrenzungstheorien.
Anschließend erfolgt die Subsumtion im Einzelfall.
Handelt eine Privatperson aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages zur Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe, sind die Positionen der Rechtsprechung (Werkzeugtheorie und ihre Modifizierung) und der Literatur (funktionaler Ansatz) kurz darzustellen und zu erörtern. Als zentrale Argumente können Sie zugunsten der Rechtsprechung die Beherrschbarkeit der Gefahr, zugunsten der Literatur die Verhinderung einer Flucht ins Privatrecht anführen.
Im Ergebnis sind beide Auffassungen gut vertretbar.
2. Teil Amtshaftung, § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG › B. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen › II. Ausübung einer hoheitlichen Tätigkeit
II. Ausübung einer hoheitlichen Tätigkeit
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Weitere Voraussetzung ist, dass der Amtswalter in Ausübung eines öffentlichen Amtes gehandelt hat. Der Punkt „öffentliches Amt“ ist bereits in Zusammenhang mit dem Amtswalter behandelt worden, so dass er nicht mehr aufzugreifen ist.
„In Ausübung“ heißt, dass zwischen der hoheitlichen Tätigkeit und dem Fehlverhalten des Amtswalters ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die Verletzungshandlung noch als dem hoheitlichen Bereich zugehörig anzusehen ist. Daran fehlt es, wenn das Fehlverhalten nur bei Gelegenheit einer öffentlich-rechtlichen Tätigkeit erfolgt.[27]
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Ein äußerer Zusammenhang besteht, wenn das Fehlverhalten räumlich-zeitlich in die Wahrnehmung der hoheitlichen Aufgabe fällt. Es ist mithin auf den objektiven Geschehenszusammenhang abzustellen.[28]
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Ein innerer Zusammenhang liegt vor, wenn das Fehlverhalten und die hoheitliche Tätigkeit als einheitlicher, von der hoheitlichen Aufgabenerfüllung geprägter Lebenssachverhalt erscheint.[29] Dabei ist zu beachten, dass die Rechtswidrigkeit des Fehlverhaltens den inneren Zusammenhang nicht schon entfallen lässt. Wäre es so, käme es zu gar keiner Amtshaftung, obwohl der Staat gerade für rechtswidriges Verhalten des Amtswalters einstehen soll. Vielmehr müssen völlig sachfremde Gründe vorliegen, um den inneren Zusammenhang zu verneinen und damit Missbrauchsfälle der Amtshaftung auszuschließen.
Beispiel 1
Ein Polizist nimmt außerhalb seiner Dienstzeit aus persönlichen Gründen polizeiliche Maßnahmen an einer anderen Person vor, die dabei verletzt wird. Hier fehlt es schon an einem äußeren Zusammenhang, da der Polizist außerhalb der Dienstzeit handelt. Der innere Zusammenhang fehlt, da das Verhalten nicht als von der hoheitlichen Aufgabenerfüllung geprägter Sachverhalt anzusehen ist. Eine Amtshaftung scheidet aus.
Beispiel 2
Eine Polizistin wird im Dienst durch ihren Vorgesetzten in frauenfeindlicher, auch obszöner Weise schikaniert, diskriminiert und beleidigt. Dieser Psychoterror (Mobbing) treibt sie in den Selbstmord. Ihr Vater begehrt Schadensersatz.
Der äußere Zusammenhang ist wegen der während des Dienstes geschehenen Handlungen des Vorgesetzten gegeben. Aufgrund der Verbindung zur hoheitlichen Aufgabenerfüllung ist ein innerer Zusammenhang zu bejahen. Er entfällt nicht aus sachfremden, persönlichen Motiven, da hier eine Trennung zwischen dienstlichen und privaten Aspekten nicht möglich ist. Mobbing im Rahmen eines Beamtenverhältnisses geschieht demnach nicht nur bei Gelegenheit, sondern in Ausübung des öffentlichen Amtes.[30]
Das Merkmal „In Ausübung“ ist auch in Gestalt eines Unterlassens denkbar. Das setzt aber voraus, dass eine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Handeln gegenüber dem Geschädigten bestand.[31]
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Eine Ausübung einer hoheitlichen Tätigkeit liegt bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr zwar begrifflich vor. Gleichwohl kann in diesem Zusammenhang kein Amtshaftungsanspruch entstehen, da das Amtshaftungsrecht auf bewaffnete Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht anwendbar ist. Militärische Kampfhandlungen fallen aus dem Anwendungsbereich dieser Normen heraus.
Dies ergibt sich zum einen aus dem historischen Kontext. Weder 1896 bei § 839 BGB noch 1949 bei der Formulierung des Art. 34 GG hatte der jeweilige Gesetzgeber an einen Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte im Ausland gedacht. Zum anderen passt die an einer alltäglichen Verwaltung orientierte Amtshaftung inhaltlich nicht auf militärische Einsätze oder gar Kampfhandlungen im Ausland. Aus dem GG lässt sich zudem keine Verpflichtung entnehmen, im Falle militärischer Auslandseinsätze entsprechende individuelle Schadensersatzansprüche zu schaffen. Schließlich ist eine Ausweitung der Amtshaftung auf diesen Bereich aus Gründen des Vorbehalts des Gesetzes und der Wesentlichkeitstheorie nur durch den Gesetzgeber selbst möglich.[32]
2. Teil Amtshaftung, § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG › B. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen › III. Amtspflichtverletzung
III. Amtspflichtverletzung
Eine Amtspflichtverletzung liegt vor, wenn der Amtswalter eine ihm obliegende Pflicht, die sich aus seinem amtlichen Verhältnis zum Staat ergibt, verletzt.
1. Bedeutung der Amtspflicht im Gefüge des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG
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Der Amtswalter muss bei der Ausübung seiner Tätigkeit eine ihm gegenüber einem Dritten obliegende Amtspflicht verletzt haben.
Dieses zunächst schwer zu verstehende Merkmal ist historisch begründet. Es basiert auf der schon erwähnten Mandatstheorie, nach der zwischen dem Landesherrn und dem einzelnen Staatsdiener ein privater Vertrag