Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts. Marco Mansdörfer

Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts - Marco Mansdörfer


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aufzuweisen: Das weite Feld der Rechtsgüter wird auf einige zentrale Fixpunkte beschränkt. In der Folge gewinnt das Wirtschaftsstrafrecht als eigenständige Rechtsmaterie an Übersichtlichkeit und scheint als spezielles Phänomen greifbarer zu werden. Zuletzt erlaubt es der im Grunde umfassende Ansatz bei den „wirtschaftlich schädlichen Verhaltensweisen“, auch die zentralen Tatbestände des Betrugs und der Untreue mit ihrer individualschützenden Funktion problemlos in das System des Wirtschaftsstrafrechts zu integrieren.

      Mit der Begriffstrias Volks-, Betriebs- und Finanzwirtschaft nimmt Lampe eine Unterscheidung auf, die außerdem eine gewisse Entsprechung in den Wirtschaftswissenschaften findet[38]: Ein Strafrecht der Betriebswirtschaft bezieht sich auf das einzelne Unternehmen, genau wie die neoklassische Betriebswirtschaftslehre Gutenbergs eine Theorie der Unternehmung war[39]. Ein Strafrecht der Volkswirtschaft könnte sich auf diejenigen Straftaten beziehen, die die Ebene des einzelnen Unternehmens übersteigen. Die Strafnormen zum Schutz der staatlichen Finanzwirtschaft sollen die Funktionsfähigkeit des Finanzverkehrs sichern und könnten die wichtigsten Steuervergehen – also insbesondere die §§ 370 ff. der Abgabenordnung – in das Strafgesetzbuch integrieren. Damit würde die unglückliche Folge der bisherigen Gesetzgebung beseitigt, dass wesentliche Tatbestände zum Schutz der staatlichen Finanzausgaben in den §§ 263, 331 ff. StGB im Strafgesetzbuch geregelt sind, während sich die Vorschriften zum Schutz der staatlichen Finanzeinnahmen (abgesehen vom praktisch sehr bedeutsamen § 266a StGB) im Nebenstrafrecht am Ende der Abgabenordnung finden und zum Teil weitaus schärferen Haftungsmaßstäben unterliegen[40].

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      Die von Lampe vorgeschlagene Systematisierung hat indessen einige erhebliche Nachteile: So fasst Lampe unter die Strafnormen zum Schutz der Volkswirtschaft neben den Tatbeständen zum Schutz des freien Wettbewerbs solche zum Schutz des Bank-, Versicherungs- und Börsenwesens und den allgemeinen Betrug gem. § 263 StGB[41]. Ein ähnliches Nebeneinander von klassischen Straftatbeständen des Kernstrafrechts und wirtschaftsstrafrechtlichen Sondertatbeständen findet sich bei den Delikten zum Schutz der Betriebswirtschaft. Darunter fallen sowohl spezielle Normen zum Schutz der Kreditfähigkeit oder einzelner Immaterialgüterrechte als auch der allgemeine Sachbeschädigungstatbestand des § 303 StGB oder die §§ 263, 253 StGB in der Form des Arbeitsbetruges und der Arbeitserpressung[42]. Lampe hält sich mit seiner Einteilung noch zu sehr an faktischen Kategorien auf und riskiert, dass Delikte, die typischerweise individualschützenden Charakter haben, wie zum Beispiel § 263 StGB, zu Delikten zum Schutz nebulöser Kollektivrechtsgüter, wie etwa der Volkswirtschaft, umgemünzt werden und damit ihre prägenden Konturen verlieren.

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      Otto und Tiedemann fassen unter das Wirtschaftsstrafrecht diejenigen Delikte, die in erster Linie die Wirtschaftsordnung und ihr Funktionieren schützen sollen[43]. Inhaltlich konzentrieren sie sich auf die Normen staatlicher Wirtschaftslenkung und -ordnung. Freilich sehen diese Autoren selbst, dass auch bei Angriffen gegen (unstreitig) individuelle Rechtsgüter Teilbereiche der Wirtschaftsordnung betroffen werden können. So sollen bei quantitativ massierter Begehung oder bei schweren Vermögensschädigungen auch Betrugs- und Untreuedelikte unter den Begriff des Wirtschaftsstrafrechts fallen[44]. Damit stellt sich die Frage, ob diese Delikte situationsspezifisch je eigen ausgestaltet werden sollen. Das ist nicht völlig abwegig. Beim Betrug könnte man etwa auf die Sondertatbestände der §§ 264, 264a StGB verweisen oder bei der Untreue auf spezielle Formen der Gesellschaftsuntreue. Sollten solche Spezialkonstruktionen dagegen grundsätzlich abgelehnt werden, stellt sich die Frage, welchen Wert der Begriff des Wirtschaftsstrafrechts dann überhaupt hat.

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      Verschiedene stärker an den Bedürfnissen der Rechtspraxis orientierte Versuche zur Systematisierung des Wirtschaftsstrafrechts erscheinen aus rechtsdogmatischer Sicht ebenfalls kaum weiterführend. Das Wirtschaftsstrafrecht wird dort nicht nach speziellen Wirtschaftsrechtsgütern aufgeteilt, sondern in einer Weise gegliedert, die sich an dem im Verlauf eines fiktiven Mandats wechselnden Beratungsbedarf orientiert. Da diese Gliederungen nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Systematisierung des Rechtsgebiets erheben, kann die Ausrichtung am Beratungsbedarf zunächst nicht kritisiert werden. Selbst aus praktischer Sicht wäre indessen ein stärker materiell dominiertes Gliederungsschema wünschenswert, da dieses auch die alltägliche (Vorfeld)Beratung insbesondere von Wirtschaftsunternehmen erleichtern könnte. Wenn es gelingen würde, die wesentlichen Risikotypen zu charakterisieren, wäre für die Praxis zugleich ein grober Leitfaden gewonnen, an dem sich die Rechtsberatung orientieren und an dem ein Laie einen möglichen künftigen Beratungsbedarf erkennen könnte.

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      Müller-Gugenberger/Bieneck teilen das Wirtschaftsstrafrecht nach Pflichtverstößen bei der Gründung, beim Betrieb sowie bei der Beendigung und bei der Sanierung des Unternehmens ein[45]. Bei Beginn des Unternehmens werden vor allem Verstöße gegen Anmelde- und Erlaubnispflichten, Straftaten im Zusammenhang mit der Kapitalbeschaffung und Steuerdelikte hervorgehoben[46]. Während des Betriebs des Unternehmens werden Vermögens- und Steuerstraftaten in den Vordergrund gerückt[47]. Daneben werden Untreuesachverhalte, Verstöße gegen Delikte zum Schutz von Arbeitnehmerinteressen, Verstöße im Rahmen des Finanz- und Rechnungswesens sowie Delikte im Zusammenhang mit der Erzeugung und dem Absatz der Produkte betont[48].

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      Eidam konzentriert seine Ausführungen auf Straftaten beim Betrieb des Unternehmens und arbeitet „vier strafrechtliche Hauptrisikobereiche“ heraus: Das Umweltrisiko, das Betriebsstättenrisiko, das Produktrisiko und das Verkehrs- und Verkehrswirtschaftsrisiko[49]. Das Umweltrisiko steht als Oberbegriff für das Umweltstrafrecht. Das Betriebsstättenrisiko erfasst mit den Korruptions- und Kartelldelikten, der Untreue oder Computerkriminalität höchst unterschiedliche Tatbestände. Das Produktrisiko dient als Kategorie zur Einordnung der Körperverletzungstatbestände sowie der Straftaten und Ordnungswidrigkeiten des Lebensmittel-, Arzneimittel- und Gentechnikrechts. Unter der Überschrift des Verkehrs- und Verkehrswirtschaftsrisikos werden – unter anderem – die Sanktionsnormen des Straßen-, Schiffs-, Bahn- und Luftverkehrs sowie der Personen- und Güterbeförderung zusammengefasst. Damit nicht genug führt Eidam abschließend Beispiele für übergreifende Risikobereiche auf und entwickelt am Ende das Verkehrs-, Umwelt-, Betriebsstätten- und Produktrisiko für Fälle, deren strafrechtlich relevante Rechtsgutsverletzung sich als Realisierung verschiedenster Risiken darstellt[50].

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      Achenbach/Ransiek gliedern das Wirtschaftsstrafrecht in ihrem an die Rechtspraxis gerichteten Handbuch zum Wirtschaftsstrafrecht topisch nach verschiedenen Kriminalitätsbereichen[51]: Nach einem ersten Kapitel über Sanktionen gegen Unternehmen und die Ahndung unternehmensbezogenen Handelns werden die strafrechtliche Produkthaftung, Delikte gegen den Wettbewerb und die staatliche Wirtschaftslenkung diskutiert. Daran schließen sich Kapitel über allgemeine Vermögensdelikte, über Daten- und Datennetzdelikte sowie Insolvenzdelikte an. Sodann werden gesellschaftsrechtliche Bilanz-, Prüfer- und Falschangabendelikte, der Kreditbetrug und Delikte gegen den unbaren Zahlungsverkehr, Kapitalmarktdelikte, Sanktionen gegen die Verletzung des Urheberrechts und gewerblicher Schutzrechte, Delikte auf dem Gebiet des Arbeitslebens sowie die Geldwäsche erörtert. Das Handbuch endet mit einem Kapitel über Vermögensabschöpfung und Zurückgewinnungshilfe. Theoretisch erklärt Achenbach


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