Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts. Marco Mansdörfer

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einem reinen Shareholder-Value-Ansatz vor, er vernachlässige soziale und ökologische Aspekte. Damit ist die Grundfrage angesprochen, ob und inwieweit eine Unternehmung über ihre Verpflichtung zum Erwerbsprinzip hinaus andere gesellschaftliche Anliegen internalisieren soll. Die Wahrnehmung gesellschaftlicher Anliegen liegt in dem Spannungsfeld zwischen völliger Ignoranz und hoher Sensibilität. Diesem Spannungsfeld korreliert eine minimale Wahrnehmung gesellschaftlicher Aufgaben oder eine deutliche Förderung der Bezugsgruppe entsprechender Interessen[222]. Eine solche Bezugsgruppe ist neben den unmittelbar am Wirtschaftsverkehr Beteiligten, wie Eigenkapitalgeber, Fremdkapitalgeber, Arbeitnehmer, Management, Kunden und Lieferanten, vor allem die allgemeine Öffentlichkeit[223]. Die allgemeine Öffentlichkeit legitimiert sich als Anspruchsgruppe gegenüber der Unternehmung, indem sie die notwendige Infrastruktur, Rechtsordnung und Umweltgüter zur Verfügung stellt und so zur Unternehmung beiträgt. Dafür erhebt sie gegenüber der Unternehmung den Anspruch auf die Zahlung von Steuern, auf die Einhaltung der Rechtsordnung und auf einen schonenden Umgang mit Umweltressourcen.

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      In einem nächsten Schritt ist das Selbstverständnis der Unternehmung im Spannungsfeld von institutioneller und funktioneller Zweckbestimmung zu ermitteln[224]. In diesem Zusammenhang geht es um die Frage, ob die Rolle der Unternehmung in ihrer Erhaltung als Institution aus sich heraus und damit binnengerichtet oder außenbestimmt als Mittel zur Befriedigung sozialer/ökonomischer Interessen definiert werden soll. Außenbetrachtet wird das Unternehmen technokratisch als vollständig lenkbares und Werte schaffendes System zur Kapitalbeschaffung und Leistungserstellung gesehen. Ein binnengerichtetes, institutionelles Selbstverständnis der Unternehmung stellt dagegen die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Humanressourcen, also der einzelnen Menschen, stärker in den Vordergrund, um auf diese Weise ein offenes und dynamisches „Sozialsystem“ zu etablieren.

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      Diese Definitionsmöglichkeiten der Unternehmung in der Gesellschaft und als Organisation werden ergänzt durch das Verständnis der Rollen von Mitarbeitern und Management und die innerhalb des Unternehmens geltenden Regeln zur Handhabung von Macht und Konflikten.

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      Je nachdem, ob der Unternehmungsführung ein rein ökonomisches oder ein komplexeres Menschenbild zugrunde liegt, wird das zwischen Mitarbeitern und Management bestehende Führungsverhältnis stärker von Vertrauen oder Misstrauen geprägt. Dem korrespondiert, dass eine Unternehmung entweder deutlich vom Management korrigierend gelenkt wird oder stärker zusammen mit den Mitarbeitern als evolvierendes System entwickelt wird. Im letzteren Fall verstehen sich Manager zunehmend als „Kultivateure einer spontanen Ordnung“[225].

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      Die Zusammenarbeit von Mitgliedern einer Unternehmung wird entscheidend durch den Umgang mit Konflikten geprägt. Konflikte können formell zwischen Organisationseinheiten der Unternehmung oder informell zwischen verschiedenen Mitarbeitern innerhalb der Unternehmung bestehen und strukturelle oder personenbedingte Ursachen haben. Die Vorgaben zur Lösung derartiger Konflikte liegen zwischen einer autoritären Problemlösungs- und Konfliktordnung einerseits sowie einer horizontal angelegten und nicht auf formalen Weisungsbeziehungen beruhenden Kooperation andererseits[226]. In jedem Fall wird das Management versuchen, die negativen Folgen von Konflikten – wie die Funktionsstörungen, Instabilitäten, Abnahme von Rationalität und Unzufriedenheit beim Einzelnen – zu vermeiden. Die positiven Folgen von Konflikten – wie die Entwicklung neuer Aktivitäten in Wettbewerbssituationen, die Reformulierung von innerbetrieblichen Normen und die mit dem Konflikt verbundene, veränderte Selbstwahrnehmung – wird das Management für das Unternehmen nutzen. Die dazu gehörige ordnungspolitische Konzeption steht in einem Spannungsfeld von Steuerung durch Weisung und Steuerung durch Verhandlung. Ressourcen des Unternehmens werden administrativ mittels Verteilungsschlüsseln, Entscheidungen von oben (top-down), dezentral durch internen Wettbewerb oder durch Abstimmungsprozesse unter Gleichrangigen verteilt.

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      Beispiel:

      Als Beispiel für eine als funktionelles Sozialsystem organisierte Unternehmung kann das Unternehmen Robert Bosch dienen[227]: Die Robert Bosch Stiftung ist eine der großen privaten Stiftungen in Deutschland und wurde 1964 gegründet. Innerhalb vorgegebener Förderungsgebiete entwickelt sie eigene Programme und unterstützt modellhafte Praxisprojekte. Rund 93 Prozent des 1.200 Millionen Euro betragenden Stammkapitals der Robert Bosch GmbH gehören der Robert Bosch Stiftung GmbH, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke verfolgt. Die Stimmrechte aus diesen Anteilen liegen bei der Robert Bosch Industrietreuhand KG. Die Dividende der Robert Bosch GmbH fließt der Robert Bosch Stiftung GmbH anteilig zu. Von 1964 bis Ende 2005 hat die Robert Bosch Stiftung 737 Millionen Euro für soziale Projekte bereitgestellt.

      Der Geltungsbereich des ökonomischen Prinzips und der Bereich der Wahrnehmung gesellschaftsbezogener Verantwortung sind damit klar getrennt. Obwohl der überwiegende Teil der ausgeschütteten Gewinne über die Robert Bosch Stiftung unmittelbar für gemeinnützige Zwecke aufgewendet wird, bleibt die Robert Bosch GmbH ein nach dem ökonomischen Prinzip strukturiertes Unternehmen, dessen Mitarbeitern als Marktakteure den Eigengesetzlichkeiten des Marktes entsprechend handeln.

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      Die bisherigen Ausführungen zu den ökonomischen Steuerungsmechanismen und ihre strikte Orientierung am Ergiebigkeitsprinzip werfen weitere Fragen auf: Wie theoretisch sind die bisher vorgestellten Organisationsprinzipien? Kann überhaupt gewährleistet werden, dass die von der Unternehmensleitung vorgegebene Organisationsstruktur in der betrieblichen Praxis eingehalten wird? In welcher Weise geschieht dies? Welches sind die Auswirkungen einer fehlenden Organisation? Wirkt dann das ökonomische Prinzip aus sich selbst heraus oder wird es unter bestimmten Voraussetzungen durch andere Mechanismen ersetzt?

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      Wer die Konvergenz ökonomischer und rechtlicher Steuerung untersuchen will, kann diese Fragen aus mehreren Gründen nicht übergehen: Die Antwort auf diese Fragen spezifiziert zunächst das Ausmaß der Dominanz des Ergiebigkeitsprinzips und der daraus resultierenden Steuerung in der tatsächlichen betrieblichen Praxis. Sollte sich herausstellen, dass diese Dominanz Lücken aufweist, liefert die Antwort möglicherweise Hinweise darauf, ob im Bereich der Wirtschaft jenseits der „rein ökonomischen Steuerungsmechanismen“ noch andere spezifische Wirkmechanismen – wie zum Beispiel individuelle Autorität, Gruppendynamik, Tradition etc. – erkannt werden können. Diese müssen dann vom Strafrecht mit erfasst werden und gegebenenfalls müssen gerade hierauf bezogene Normen und Institutionen entwickelt werden. Vielleicht müssen aber auch nur generelle Steuerungsmechanismen – insbesondere auch die Sanktionen – auf diese Phänomene hin spezifiziert werden und so ausgestaltet werden, dass sie derartige Wirkmechanismen in dem Maß destabilisieren, wie sie dem Recht als der verbindlich vorgegebenen Ordnung widersprechen.

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      Die Grundlage für eine wissenschaftlich fundierte Antwort auf diese Fragen bilden die tatsächlichen Vorgänge innerhalb eines Unternehmens, genauer: die einem Unternehmen per se eigenen Automatismen. Diese wurden in jüngerer Zeit vor allem von der aus der Betriebspsychologie hervorgegangenen, systemorientierten Organisationspsychologie untersucht[228]. Die Psychologie erkannte, dass die Organisation für jedes Individuum – gleich ob Arbeiter, Angestellter oder Manager – ein eigenständiges psychologisches Faktum darstellt, auf das der Einzelne reagiert[229].

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      Bereits dieses Herkommen macht es begreiflich, dass die von der


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