Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts. Marco Mansdörfer
grenzt er den Verbrechensbegriff stark ein und fasst unter das echte Strafrecht nur „vorsätzliche, mit Unrechtsbewusstsein begangene gewaltsame Angriffe auf Leib, Leben und Freiheit“. Abstrakt beschreibt er das damit erfasste Unrecht als Unrecht, das unabhängig davon ist, ob man in einer Demokratie oder einer Diktatur lebt, das so gesehen absolut sei und sich politischer Verfügung entziehe[276].
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Die vorstehenden Erwägungen zeigen jedenfalls, dass die Sanktion als Reaktion auf unwertes Handeln einen Sinngehalt hat, der maßgebend durch die Tat bestimmt wird. Je nach Tat fungiert Strafe als Instrument zum Schutz von elementaren Rechtsgütern, schützt Strafe Sicherheitsinteressen oder eine elementare Sozialmoral oder verwirklicht einen sozialen Ordnungsauftrag. Dies alles unter den einen Begriff des Strafrechts zu fassen, ist bei einem Verständnis des Begriffs der Strafe als Sanktionierung von unwertem Verhalten möglich, für die Entwicklung prinzipieller Zurechnungs- und Verantwortlichkeitsstrukturen aus Gründen der Praktikabilität der Rechtsanwendung wünschenswert und insbesondere im Kontext einer wirtschaftsstrafrechtlichen Abhandlung auch sachdienlich[277]. Jenseits dieses Grundverständnisses ist die Strafe material aber vielgestaltig, weshalb auch das Sanktionensystem insgesamt pluralistisch ausgestaltet ist.
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Damit verknüpft ist die Forderung nach einer Präzision bei der Strafrechtsanwendung im Einzelfall: Strafe als Vergeltung für die Verletzung elementarer Rechtsgüter, wie etwa der Tötung eines Menschen, fordert die schärfste Sanktion heraus, verlangt material eine möglichst präzise Zurechnungsdogmatik und prozessual die größtmögliche Gewährleistung der Beschuldigtenrechte. Bei einer Strafe als Reaktion auf einen bloßen Verstoß gegen gesamtgesellschaftliche Sicherheitsinteressen (z. B. den öffentlichen Frieden) oder elementare sozialmoralische Vorstellungen rückt das Element des sozialethischen Tadels in den Vordergrund, material liegt hier die Straftat möglicherweise im Vorfeld einer in der Außenwelt dokumentierten, dinglich fassbaren Rechtsgutsverletzung, dafür bleibt die Strafe in ihren Folgen begrenzt. Eine Sanktion gegen bloße Ordnungsvorschriften kann möglicherweise bereits bei einem rein objektiven und nicht mit individueller Schuld verknüpften Verstoß gegen eine Norm verhängt werden, entsprechend gering wird der kommunikative Gehalt der Strafe, die ihrem Betrag nach im Einzelfall – etwa bei einem massiven kartellrechtlichen Verstoß gegen die gesetzlich festgeschriebene Marktordnung – weit über der Geldstrafe einer Straftat liegen kann. Daraus folgt, dass auch Ordnungswidrigkeiten und Verwaltungsunrecht mit einem sozialethischen Unwerturteil belegt werden, der Gehalt dieser Aussage erschöpft sich aber (meist) in dem Tadel des Verstoßes gegen die Ordnung oder den Missbrauch einer bestimmten Institution[278].
c) Auseinandersetzung mit naheliegender Kritik
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Den Begriff der Strafe in erster Linie als sanktionierende Reaktion auf unwertes Handeln zu beschreiben, mag Kritik hervorrufen. Am nächsten liegt der Einwand Roxins, ein entsprechendes Strafrecht drohe unscharf zu werden, und die zu schützenden Rechtsgüter seien nur schwer fassbar[279]. Und wenn das Strafrecht erst seinen Bezug zu einem konkreten Rechtsgut verloren habe, bestehe die Gefahr, sich in bedenklicher Weise einem reinen Gesinnungsstrafrecht zu nähern[280]. Roxin ist freilich nicht der Auffassung, dass sozialgefährliches Verhalten von der Gesellschaft geduldet werden soll. Roxin erkennt das Bedürfnis einer staatlichen Intervention vielmehr ohne Weiteres an. Seine Kritik mündet letztlich in die Mahnung, eine Dogmatik und Zurechnungsstrukturen zu entwickeln, die insbesondere Ausdehnungen und Vorverlagerungen gerecht werden kann[281]. Diese Mahnung ist sicher auch für das Wirtschaftsstrafrecht berechtigt.
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Weiter geht die Kritik von Jakobs an modernen Entwicklungen des Strafrechts. Jakobs erkennt die Stabilisierungsprobleme moderner Gesellschaften und den daraus resultierenden Bedarf einer Garantie auch von Werten und des entsprechenden Wertekonsenses. Er will den Einsatz des Strafrechts in diesem Bereich aber auf „Legitimationskrisenzeiten“ beschränken und nennt es dann „Feindstrafrecht“[282]. Dieses „Feindstrafrecht“ müsse so deutlich vom „Bürgerstrafrecht“ abgesetzt werden, dass keine Gefahr bestehe, es könne per systematischer Interpretation oder Analogie oder sonst wie in das bürgerliche Strafrecht einsickern[283]. Diese Analyse des Istzustandes lässt freilich einige wesentliche Fragen offen: So erscheint zweifelhaft, wie sich die von Jakobs beschriebenen Legitimationskrisenzeiten auszeichnen. Dieser Frage soll an dieser Stelle nicht näher nachgegangen werden. Von Interesse ist hier nur, ob zu diesem Feindstrafrecht auch das Wirtschaftsstrafrecht zu zählen ist und dieses in seiner Anwendung auf besondere Legitimationskrisen unseres Wirtschaftssystems zu beschränken ist. Darauf deutet zunächst der Umstand hin, dass zu den von Jakobs kritisierten Normen auch Normen gehören, die typischer Weise dem Wirtschaftsstrafrecht zugeordnet werden[284]. Auch geht es im Wirtschaftsstrafrecht, das die Voraussetzungen von wirtschaftlichem Handeln des Einzelnen im konkreten Wirtschaftssystem schützt, letztlich um den Schutz eines Wertekonsenses und nicht um den Schutz naturgegebener Freiheiten. Da im Wirtschaftsstrafrecht die Legitimationskrise von Normen aber nicht zeitlich beschränkt, sondern aufgrund der dort herrschenden Dilemmasituationen strukturell angelegt ist, kann es sich nicht um typisches Feindstrafrecht handeln. Die Gesellschaft kann sich nicht auf Anreizstrukturen verständigen, denen die Neigung zum Rechtsbruch immanent ist, und diejenigen Personen, die diesen Strukturen folgen, zugleich als Feinde aus ihrer Mitte ausschließen. Es scheint also neben dem von Jakobs als „Feindstrafrecht“ bezeichneten Strafrecht durchaus Bereiche zu geben, in denen eine solch besondere Stabilisierung der Normen durch Strafrecht notwendig ist und dazu gehört auch das Wirtschaftsstrafrecht.
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Nach Hassemer könnte das Wirtschaftsstrafrecht tendenziell aus dem Bereich des Strafrechts auszuscheiden und einem von ihm für die Zukunft favorisierten außerstrafrechtlichen Interventionsrecht zugeordnet werden[285]. Ob eine Flucht in ein Interventionsrecht gegenüber dem tradierten Strafrecht verstanden als Kombination von Kriminal- und Verwaltungsstrafrecht tatsächlich vorzugswürdig ist, erscheint zweifelhaft. Letztlich sind es aus bürgerlich-liberaler Sicht doch gerade die rechtsstaatlichen Garantien, die das Strafrecht als Sitz der staatlichen Sanktionsgewalt so attraktiv machen, und deren Schutz auch bei der Sanktionierung von Verstößen gegen elementare individuelle Voraussetzungen wirtschaftlichen Handelns eingreifen sollte.
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Zuletzt bescheinigen verschiedene Autoren dem tradierten Strafrecht angesichts der Herausforderungen einer modernen Gesellschaft zumindest gravierende Unzulänglichkeiten und kritisieren eine „Flexibilisierung der überkommenen dogmatischen Strukturen“[286] sowie „neuartige organisationsbezogene Betrachtungsweisen“[287]. Diese Kritik beinhaltet – wie schon die Kritik Roxins – positiv gewendet die Aufforderung, die rechtsstaatlichen Zurechnungsgrundsätze zu bewahren und Strafrecht nur dort einzusetzen, wo rechtlich missbilligte Gefahrschaffungen individuell zugeschrieben werden können. Das aber ist ein Anliegen, dem an dieser Stelle nur zugestimmt wird und dem auch die folgenden Ausführungen gewidmet sind.
2. Die besondere Bedeutung des Handlungsunrechts gegenüber dem Erfolgsunrecht bei der Begründung von Strafe
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Verboten kann nur sein, was prinzipiell verbietbar ist. Verbietbar ist nur, was einer normativen Steuerung zugänglich ist, also nur eine menschliche Verhaltensweise[288]. Der rein tatsächliche Eintritt des Erfolges scheidet dagegen als Verbot per se aus[289]. Das traditionelle Strafrecht scheint an diesem Punkt inkonsistent, hängt die Strafbarkeit doch beim dominierenden vorsätzlichen Erfolgsdelikt – soweit nicht bereits der bloße Versuch strafbar ist – gerade vom Eintritt des Erfolges ab[290]. Tatsächlich handelt es sich dabei aber nur um eine scheinbare Inkonsistenz.
Gerade der Erfolgseintritt dokumentiert das Gewicht des Normverstoßes und fordert damit den Einsatz des Strafrechts in besonderem Maße heraus[291]. Bereits Hans Welzel hat pragmatisch den Erfolg als den äußeren Umstand qualifiziert, der die Behörden in der Rechtswirklichkeit zum Einschreiten veranlasst[292]. Welzel hat außerdem