Sachenrecht II. Achim Bönninghaus
670; BGH NJW 1985, 2474.
Palandt-Herrler Einl. v. § 854 Rn. 1.
Palandt-Herrler § 930 Rn. 2–5.
Palandt-Sprau § 781 Rn. 2.
2. Teil Erwerb des Besitzes
Inhaltsverzeichnis
A. Erwerb des unmittelbaren Besitzes
B. Verlust des unmittelbaren Besitzes
C. Erwerb mittelbaren Besitzes
D. Übertragung des mittelbaren Besitzes
E. Verlust des mittelbaren Besitzes
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Entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch darf der Besitz, als tatsächliche Sachherrschaft nicht mit dem Eigentum, der rechtlichen Sachherrschaft, verwechselt werden. Das Gesetz schützt nicht nur das Eigentum, sondern auch den Besitz an einer Sache (vgl. z.B. §§ 861, 862, 1007). Der Besitz spielt im Sachenrecht eine große Rolle. Die nachfolgende Darstellung erläutert die klausurwichtigen Begriffe und Grundsätze.
2. Teil Erwerb des Besitzes › A. Erwerb des unmittelbaren Besitzes
A. Erwerb des unmittelbaren Besitzes
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Unmittelbarer Besitzer i.S.v. § 854 ist, wer die tatsächliche Gewalt über eine Sache ausübt.
Für den Besitz ist die tatsächliche Sachherrschaft kennzeichnend. Wann eine solche vorliegt, richtet sich nach der Verkehrsauffassung (h.L.).[1] Dabei ist eine räumliche Beziehung zur Sache und eine gewisse Dauer dieser Sachbeziehung erforderlich.
Beispiel
A wird nicht dadurch zum Besitzer der Ware in einer Einkaufstasche des B, dass B ihn bittet, diese kurz zu halten, während er an der Kasse bezahlt.
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Andererseits führt eine vorübergehende Lockerung der Ausübung der tatsächlichen Gewalt nicht zum Besitzverlust.
Beispiel
A, der in Nürnberg wohnt, ist Besitzer des von ihm gepachteten Schrebergartens, auch wenn er sich zur Zeit nicht darin aufhält. B bleibt Besitzer seines Fahrrads, auch wenn er es während der Vorlesung vor der Uni abgestellt hat (vgl. § 856 Abs. 2).
Unerheblich ist, ob ein Recht zum Besitz besteht. Auch der Dieb einer Sache ist Besitzer.
Besitz ist aber nur an einer Sache möglich. So ist z.B. der Inhaber eines Patents nicht dessen „Besitzer“.
Für den Erwerb des unmittelbaren Besitzes bestehen drei Möglichkeiten:
2. Teil Erwerb des Besitzes › A. Erwerb des unmittelbaren Besitzes › I. Originärer Erwerb des unmittelbaren Besitzes
I. Originärer Erwerb des unmittelbaren Besitzes
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Originärer Erwerb des unmittelbaren Besitzes
I. Erlangung der tatsächlichen Gewalt über eine Sache
II. Besitzbegründungswille
Nach § 854 Abs. 1 wird „der Besitz einer Sache durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache erworben“. Es kommt also nicht auf den Übertragungswillen des bisherigen Besitzers an. Der Besitz kann also sowohl ohne dessen Willen („originär“) oder mit dessen Willen („abgeleitet“) erworben werden. Für beide Fälle gilt § 854 Abs. 1.
Für den originären Besitzerwerb ist die Erlangung der tatsächlichen Gewalt, und nach h.M.[2] daneben ein Besitzbegründungswille erforderlich. Zu beachten ist aber: Der Besitzerwerb ist kein Rechtsgeschäft, sondern ein Realakt. Infolgedessen sind die §§ 105 ff., 119 ff., 164 ff. nicht anwendbar.[3]
Beispiel
Das 6-jährige Kind K findet einen Geldbeutel. Hier erlangt K unmittelbaren Besitz an dem Geldbeutel. Wesentlich ist zur Besitzerlangung, dass die Erlangung des Besitzes nach außen erkennbar ist. Der natürliche Besitzerwerbswille, den auch ein Kind haben kann, reicht aus. Geschäftsfähigkeit ist nicht erforderlich.
2. Teil Erwerb des Besitzes › A. Erwerb des unmittelbaren Besitzes › II. Abgeleiteter Erwerb des unmittelbaren Besitzes
II. Abgeleiteter Erwerb des unmittelbaren Besitzes
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Der abgeleitete Besitz ist der gesetzliche Normalfall. Hier erlangt der neue Besitzer den Besitz vom bisherigen Besitzer. Auch diese Form des Besitzerwerbs fällt unter § 854 Abs. 1.
Soll der Besitzerwerb fehlerfrei (sonst § 858 Abs. 1) sein, muss zur Erlangung der tatsächlichen Gewalt noch der „Abgabewille“ des bisherigen Besitzers und der „Erwerbswille“ des Erwerbers treten. Auch hier liegt kein rechtsgeschäftliches Handeln vor. Ausreichend ist ein genereller Besitzbegründungswille.
Beispiel
A wirft die Geldkasse in den Nachttresor einer Bank ein. Hier überträgt A der Bank den unmittelbaren Besitz, da ein genereller Wille der Bank, den Besitz an dem Geld auszuüben, vorliegt.
Hinweis
Fehlt der Abgabewille des bisherigen Besitzers, so hat dies folgende Konsequenzen: Der erlangte Besitz ist dann i.d.R. „fehlerhaft“ i.S.v. § 858 Abs. 2, mit der Folge, dass dem früheren Besitzer ein Herausgabeanspruch aus § 861 zusteht. Die Sache kommt dem bisherigen Besitzer abhanden, was einen gutgläubigen Erwerb Dritter grundsätzlich ausschließt, vgl. § 935 Abs. 1. Der einseitig, ohne den Willen des bisherigen Besitzers erlangte Besitz ist keine „Übergabe“ i.S.v. § 929 S. 1.