Sachenrecht III. Ralph Westerhoff
Regeln
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Die Bürgschaft ist ein einseitig verpflichtender Vertrag, durch den sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger des vom Gesetz als „Hauptschuldner“ bezeichneten Dritten verpflichtet, für die Erfüllung der Verbindlichkeit einzustehen.[1]
Wichtig ist zu erkennen, dass der Bürge durch die Bürgschaft eine eigene, von der Hauptschuld unabhängige Verpflichtung eingeht. Es ist also nicht etwa so, dass der Bürge bei seiner Inanspruchnahme die Verbindlichkeit des Hauptschuldners erfüllt. Dann nämlich würde die gesicherte Forderung untergehen. Dass sie es nicht tut, zeigt der Blick auf § 774 Abs. 1. Mit der Zahlung geht die Hauptforderung auf den zahlenden Bürgen über (cessio legis, siehe Rn. 38). Das könnte sie nicht, wenn der Bürge die Schuld des Hauptschuldners beglichen hätte.[2]
Sind Ihnen die Technik und die grundlegenden Prüfungsschritte zum Zustandekommen von Rechtsgeschäften noch geläufig? Wenn nicht, sollten Sie den Stoff jetzt wiederholen.[3]
Es ist also wichtig zu begreifen, dass der Anspruch des Gläubigers gegen den Bürgen ein „ganz normaler“ vertraglicher Anspruch ist. Wie bei jedem Vertrag brauchen wir also zwei übereinstimmende Willenserklärungen, nämlich das Angebot und die Annahme.
Beim Abschluss eines Bürgschaftsvertrages gelten also alle Regeln über das Zustandekommen und die Wirksamkeit von Verträgen.
b) Abgrenzung von verwandten Rechtsinstituten
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Wirtschaftlich gesehen führt die Bürgschaft dazu, dass dem Gläubiger neben seinem eigentlichen Schuldner eine weitere Person zur Verfügung steht, die für die Verbindlichkeit einzustehen hat. Dieses Ziel kann aber auch anders erreicht werden. Gerade wenn eine mündliche „Verbürgung“ und damit eine im Zweifel unwirksame (§ 766, Schriftformerfordernis, siehe Rn. 49 ff.) Bürgschaft vorliegt, wird gerne versucht, die Haftung des „Bürgen“ auf eine andere Anspruchsgrundlage zu stützen, die nicht dieser Form bedarf. Praktisch wichtig sind dabei der Schuldbeitritt sowie der selbstständige Garantievertrag. Diese unterliegen nach herrschender Meinung nicht dem Formerfordernis des § 766. Ob nun eine Bürgschaft, ein Schuldbeitritt oder ein Garantievertrag vorliegt, muss durch Auslegung des Vertrages ermittelt werden.[4]
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Bei dem Schuldbeitritt (auch Schuldmitübernahme, kumulative Schuldübernahme) haftet der Beitretende nicht für eine fremde Schuld, sondern will die Verbindlichkeit des „Hauptschuldners“ zu seiner eigenen machen.[5] Das hat zur Konsequenz, dass er nicht untergeordnet (subsidiär) zu dem Schuldner haftet, sondern gleichrangig mit diesem. Es liegt eine klassische Gesamtschuld vor mit der Folge, dass sich der Gläubiger aussuchen kann, wen er in Anspruch nimmt, § 421.
Dies und der Umstand, dass der Schuldbeitritt nicht der Form des § 766 bedarf, macht das Rechtsinstitut noch gefährlicher als es die ohnehin schon riskante Bürgschaft ist. Deshalb legt die Rechtsprechung die Willenserklärung im Zweifel dahin gehend aus, dass die ungefährlichere Bürgschaft und nicht der Schuldbeitritt gewollt ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Beitretende ein unmittelbares wirtschaftliches oder rechtliches Interesse an der Tilgung der Hauptschuld hat.[6]
Beispiel
Das Maschinenbauunternehmen M GmbH ist in der Krise. Lieferant L erfährt davon und will M nur noch gegen Vorkasse beliefern. Geschäftsführer G, der zugleich Hauptgesellschafter der M GmbH ist, erklärt telefonisch, dass er persönlich für die Forderung des L „geradestehe“.
In einem solchen Fall will der G sein Unternehmen retten. Er selbst ist der unmittelbar Begünstigte, da er Hauptgesellschafter ist. Hier liegt ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse des G vor, sodass von einem Schuldbeitritt auszugehen ist.
Hinweis
Liegt ein Verbraucherdarlehen vor (Definition: § 491), muss der Darlehensvertrag gem. § 492 schriftlich geschlossen werden. Diese Formvorschrift gilt analog auch für den Schuldbeitritt eines Verbrauchers (§ 13) zu einem solchen Vertrag. Deshalb hat im Bereich der Verbraucherkreditverträge die Abgrenzung zwischen formbedürftiger Bürgschaft und formfreiem Schuldbeitritt einiges an Bedeutung verloren, da hier nunmehr (wenn auch mit anderer Begründung) ebenfalls Schriftform erforderlich ist.[7]
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Schließlich ist es auch möglich, dass der Gläubiger mit dem Dritten einen (formlos gültigen) Garantievertrag schließt. Er ist mit der Bürgschaft insofern verwandt, als auch hier der Dritte seine Bonität für eine Schuld eines anderen zur Verfügung stellt. Im Unterschied zur Bürgschaft aber entsteht eine eigene Schuld des Garanten. Diese ist unabhängig davon, ob und in welcher Höhe eine wirksame Hauptschuld besteht. Der Garantievertrag ist also nicht akzessorisch. Wann und in welcher Höhe der Garant zu zahlen hat, ergibt sich aus der Auslegung des Garantievertrages.
Damit ist der Garantievertrag genauso gefährlich wie der gerade besprochene Schuldbeitritt. Nicht von ungefähr ist die Rechtsprechung und herrschende Lehre genauso zurückhaltend mit bei der Auslegung einer Willenserklärung als Garantieversprechen.[8] Im Zweifel liegt eine Bürgschaft vor. Lediglich dann, wenn ein starkes wirtschaftliches Eigeninteresse des Garanten an der Erfüllung der Hauptverbindlichkeit angenommen werden kann, kommt ein solcher Garantievertrag in Betracht.
2. Form
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§ 766 verlangt, dass die Bürgschaftserklärung in schriftlicher Form zu erteilen ist. Der Schriftform bedarf folglich nur die Bürgschaftserklärung, also die Willenserklärung des Bürgen. Die Annahmeerklärung des Gläubigers ist formlos möglich.[9]
Mehr noch: Wie Sie wissen, ist die Annahme eines Angebotes regelmäßig eine empfangsbedürftige Willenserklärung.[10] Sie wird also grundsätzlich erst wirksam, wenn die Annahmeerklärung dem Anbietenden gemäß § 130 zugeht. Von diesem Erfordernis des Zugangs der Annahmeerklärung macht § 151 eine Ausnahme. Verzichtet der Erklärende auf den Zugang der Annahmeerklärung oder ist diese nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten, so kommt der Vertrag auch ohne Zugang einer Annahmeerklärung zustande.
Genau dies nimmt die herrschende Meinung bei der Annahme der Bürgschaft durch den Gläubiger an.[11] Aber beachten Sie: Mindestens konkludent annehmen muss der Gläubiger das zugesandte Bürgschaftsangebot schon, in dem z.B. der Bankmitarbeiter die Urkunde zu den Kreditakten nimmt. Die Annahmeerklärung muss nur nicht mehr dem erklärenden Bürgen zugehen.
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Der Gesetzgeber hat die Schriftform vorgesehen, weil er – nicht ganz zu Unrecht – die Bürgschaft für ein sehr gefährliches Instrument hält. Deshalb ist in § 766 S. 2 auch die elektronische Form, die ansonsten unter den Voraussetzungen des § 126a die Schriftform ersetzen kann, ausdrücklich ausgeschlossen.
Auch ein Telefax genügt nicht. Dies hat folgenden Grund: empfangsbedürftige Willenserklärungen werden – wie gerade ausgeführt – erst dann wirksam, wenn die formgerecht errichtete Urkunde den Empfänger erreicht. Beim Fax erreicht den Empfänger aber nur eine Kopie der formgerecht errichteten Urkunde.[12]
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Wird der Bürge bei der Abgabe der Bürgschaftserklärung vertreten, so bedarf auch die Vollmacht des Vertreters der Form des § 766. Diese wohl allgemeine Meinung[13] überrascht zunächst. Denn § 167 Abs. 2 sagt ausdrücklich:
Die