Sachenrecht III. Ralph Westerhoff
des Bürgen zum Schuldner
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Erste Voraussetzung für die Nichtigkeit ist also, dass der Bürge naher Angehöriger des Hauptschuldners ist. Anerkannte „nahe Angehörige“ sind Ehepartner, Kinder, Partner einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft, Verlobte sowie die Eltern.
Bei diesem Personenkreis geht man davon aus, dass ihre Entscheidung, die Bürgschaftsverpflichtung zu übernehmen, nicht von rationalen Überlegungen gesteuert, sondern Ausfluss der besonderen emotionalen Bindung ist.
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Bei anderen Personen – wie z.B. erwachsene Geschwister oder Arbeitnehmer des Hauptschuldners – gilt diese Rechtsprechung nicht.[33]
Hinweis
Wenn Sie feststellen, dass der Bürge nicht zu dem Personenkreis zählt, bei dem eine Bürgschaft bei krasser Überforderung sowie fehlendem eigenen Interesse sittenwidrig ist, kann die Bürgschaft dennoch nach § 138 Abs. 1 nichtig sein. Dazu muss aber mehr vorliegen, als nur die krasse Überforderung und das fehlende eigene wirtschaftliche Interesse. Eine solche Bürgschaft ist dann sittenwidrig, wenn der Gläubiger bewusst die geschäftliche Unerfahrenheit ausnutzt, die wirtschaftlichen Folgen einer Bürgschaft gegenüber dem Bürgen bagatellisiert oder eine Zwangslage missbraucht.[34]
Im Gegensatz zur Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaften naher Angehöriger trägt aber hier der Bürge die volle Beweislast.
cc) Krasse finanzielle Überforderung
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Zweitens muss der Bürge durch die Übernahme der Bürgschaft finanziell krass überfordert sein. Wenn dies der Fall ist (siehe gleich folgende Definition), dann besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Übernahme der Bürgschaft nicht aus rationalen, sondern aus rein emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner übernommen wurde.[35] Dies hat für den Bürgen folgende prozessuale Konsequenz: Legt er dar, dass er Angehöriger ist und dass die Bürgschaft ihn wirtschaftlich krass überfordert, muss er nicht mehr beweisen, dass er die Bürgschaft aus emotionaler Verbundenheit übernommen hat. Vielmehr muss der Gläubiger nachweisen, dass die Übernahme der Bürgschaft rational motiviert war.
Eine finanziell krasse Überforderung liegt dann vor, wenn der Bürge voraussichtlich nicht einmal in der Lage ist, die Zinsen des Kredites, für den er mithaftet, aufzubringen.
dd) Kein eigenes wirtschaftliches Interesse
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Drittens müssen Sie feststellen, ob der Bürge nicht ein eigenes wirtschaftliches Interesse am Kredit für den Hauptschuldner hatte. Erlangt nämlich der Bürge durch den aufgenommenen Kredit unmittelbar einen Vorteil, so ergibt die Gesamtwürdigung, dass trotz der Überforderung keine Sittenwidrigkeit anzunehmen ist.[36]
Dies ist hauptsächlich dann der Fall, wenn der Bürge Miteigentümer des durch den Kredit angeschafften Gegenstandes oder Mitunternehmer bei dem mit dem Kredit finanzierten Vorhaben wird und dabei erhebliche Gewinnaussichten hat.[37]
ee) Kenntnis des Gläubigers
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Schließlich muss der Gläubiger in Kenntnis dieser Umstände die Bürgschaft verlangt und somit die besonderen Umstände ausgenutzt haben. Ein bewusstes „Sichverschließen“ vor Tatsachen, die auf der Hand liegen, wird noch als „Kenntnis“ gewertet und ist damit nicht geeignet, den Gläubiger zu entlasten.[38] Ein bewusstes Ausnutzen des Gläubigers wird bei Bürgschaften naher Angehöriger bis zum Beweis des Gegenteils vermutet.
Hinweis
In den Fällen von Bürgschaften naher Angehöriger trägt der Gläubiger also auch hier die volle Darlegungs- und Beweislast. Liegen alle objektiven Voraussetzungen vor, dürfte es einem Gläubiger (fast immer Banken) sehr schwer fallen, diese Unkenntnis tatsächlich zu beweisen.
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Sollten die Voraussetzungen der Nichtigkeit einer Familienbürgschaft nicht vorliegen, so kann die Bürgschaft dennoch gemäß § 138 Abs. 1 nichtig sein. Denkbar sind hier Fälle, in denen der Gläubiger eine (seelische) Zwangslage ausnutzt, die geschäftliche Unerfahrenheit des Bürgen missbraucht oder die Gefahren einer Bürgschaft bagatellisiert.[39]
Die Schwierigkeit hier ist weniger, ob ein solcher Fall vorliegt, sondern mehr, ob der Bürge in der Lage ist, dem Gläubiger ein solches u.U. Jahre zurück liegendes Verhalten auch zu beweisen.
c) Inhaltskontrolle von Bürgschafts-AGB
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Häufig werden Bürgschaften (gerade im Massenverkehr der Banken) im Rahmen von vorformulierten Vertragsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 übernommen. Derartige Verträge unterfallen daher den Regelungen der §§ 305 ff. Anlass für eine Prüfung bieten insbesondere Klauseln, wonach der Bürge nicht nur für die Verbindlichkeit des Hauptschuldners zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages (sogenannte Anlassverbindlichkeit), sondern auch für alle künftigen Verbindlichkeiten des Hauptschuldners gegenüber dem Gläubiger (Globalbürgschaft) die Bürgschaft übernimmt. Haben Sie mit einem Fall der Globalbürgschaft zu tun, gehen Sie wie folgt vor:
aa) Globalklausel als AGB
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Wurde die Globalbürgschaft unter Verwendung von vorformulierten Vertragsbedingungen übernommen? Ist dies nicht der Fall (liegt also eine Individualabrede vor), ist mangels Allgemeiner Geschäftsbedingung der Anwendungsbereich der Klauselkontrolle durch die §§ 305 ff. schon gar nicht eröffnet.
bb) Kontrolle nach § 305c oder § 307 Abs. 2 Nr. 1
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Sie stellen dann fest, dass die Übernahme der Bürgschaft für Verbindlichkeiten über die Anlassverbindlichkeit hinaus durch eine AGB-Klausel grundsätzlich gegen § 305c (Verbot der überraschenden Klausel) verstößt. Grundsätzlich muss ein Sicherungsgeber, der aus Anlass eines Darlehens eine Bürgschaft übernimmt, wegen der mit diesem Anlass verbundenen Zweckvorstellung in Bezug auf die von ihm gegebenen Sicherheit nicht damit rechnen, auch für alle künftigen Verbindlichkeiten des Hauptschuldners zu haften. Er wird durch die Klausel gewissermaßen „überrumpelt“.[40] Dem steht auch nicht die Vorschrift des § 765 Abs. 2 entgegen, da die dort vorgesehene Möglichkeit, eine Bürgschaft für künftige Forderungen zu übernehmen, nichts darüber besagt, ob der Bürge mit solchen Erweiterungen der Bürgschaft im konkreten Einzelfall rechnen muss.[41]
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Eine Ausnahme gilt nur für diejenigen, die das Risiko einer Erweiterung selbst steuern können und zudem aufgrund ihrer beruflichen Stellung und Erfahrung mit der Üblichkeit derartiger Globalsicherungsklauseln vertraut sind, so dass diese ausnahmsweise nicht des Schutzes nach § 305c Abs. 1 bedürfen.[42] Dies sind in der Regel die geschäftsführenden Gesellschafter einer GmbH, die für „ihre“ GmbH die Bürgschaft übernehmen.
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