Sachenrecht III. Ralph Westerhoff
Parteien eines Bürgschaftsvertrages steht es frei, weitere Voraussetzungen für die Entstehung einer Bürgenhaftung (etwa aufschiebenden Bedingungen) zu vereinbaren.
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In bestimmten Fällen kann die Haftung des Bürgen nach dem Gedanken des „Dolo Agit“-Einwands[54] (§ 242) wegen eines gegenläufigen Schadensersatzanspruches aus c.i.c. nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1, 249 Abs. 1 von Anfang an ausgeschlossen sein.[55]
Hinweis
§ 242 wirkt über sein Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens als immanente Schranke eines Rechts. Besteht der Vorwurf bereits von Anfang an, begründet § 242 eine rechtshindernde Einwendung gegen einen treuwidrig erlangten Anspruch.[56]
Beispiel
Die geschäftlich unerfahrene Großtante T des N begleitet den N auf sein Bitten hin mit zur Bank. N füllt dort eine Menge Papiere aus. Plötzlich drückt der Sachbearbeiter S der überrumpelten T einen Stift in die Hand und fordert sie auf, an einer bestimmten Stelle zu unterschreiben. Auf ihre Nachfrage, was das denn solle, erklärt der Sachbearbeiter der Bank, das sei reine Formsache und sie müsse sich keine Gedanken machen. N unterschreibt daraufhin das mit „Selbstschuldnerische Bürgschaft“ überschriebene Formular.
In diesen Fällen (die leider kein Produkt fantasiebegabter Juristenhirne, sondern bittere Realität sind),[57] kann man der T auf vielfältige Weise helfen. Einmal ist zu prüfen, ob hier nicht der Bürgschaftsvertrag infolge Anfechtung[58] oder wegen § 138 Abs. 1 nichtig ist. Die Voraussetzungen haben wir bereits in Rn. 61 ff. besprochen.
Sollten diese Tatbestände nicht vorliegen, prüfen Sie weiter, ob dem Bürgschaftsanspruch der Dolo-Agit-Einwand nach § 242 wegen eines gegenläufigen Schadensersatzanspruches entgegensteht.
In dem Verhalten des Sachbearbeiters kann man nämlich eine Pflichtverletzung im Rahmen des Schuldverhältnisses mit der T erblicken (Verletzung der Aufklärungspflicht). Der daraus resultierenden Schadenersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, begründet dann einen rechtshindernden Einwand gegen die Verpflichtung des Bürgen.[59]
JURIQ-Klausurtipp
Den „Dolo-Agit-Einwand“ erkennen Sie ganz deutlich durch eine einfache „Nagelprobe“: Angenommen, die T würde auf die Bürgschaft zahlen. Dann würde sich ihr Aufhebungsanspruch gegen die Bank aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 249 Abs. 1 sofort in einen Rückzahlungsanspruch verwandeln. Die Bank müsste die Zahlung also postwendend zurückerstatten.
Die nach § 249 Abs. 1 geschuldete Naturalrestitution ist auf Aufhebung bzw. Rückabwicklung des Vertrages gerichtet, wenn der Schaden in dem Zustandekommen des Vertrages und der damit verbundenen Belastung mit einer Verbindlichkeit besteht.[60] Hat der Geschädigte die Verbindlichkeit bereits erfüllt, begründet die geschuldete Naturalrestitution eine Pflicht zur Rückerstattung der Leistung.[61]
2. Teil Die Personalsicherheiten › A. Die Haftung des Bürgen › II. Anspruch erloschen?
II. Anspruch erloschen?
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Wie bei jedem anderen Anspruch auch müssen Sie beim Anspruch des Gläubigers gegen den Bürgen nunmehr prüfen, ob dieser Anspruch durch eine rechtsvernichtende Einwendungen untergegangen ist.
1. Erfüllung und Erfüllungssurrogate
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Zunächst kann die Bürgschaftsverpflichtung aus allgemeinen Grundsätzen heraus erloschen sein. Zu diesen Einwendungen zählt die Erfüllung des Bürgschaftsanspruchs (§ 362 Abs. 1) oder die Aufrechnung mit einer Gegenforderung des Bürgen (§ 389).[62]
2. Erlöschen der Hauptforderung
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Aus der Akzessorietät der Bürgschaft folgt zwingend, dass die Haftung des Bürgen insoweit erlischt, als die gesicherte Forderung nachträglich erloschen ist.[63] § 767 Abs. 1 S. 1 spricht dies noch einmal ausdrücklich an (siehe bereits Rn. 78). Erlischt also etwa die Hauptforderung durch Erfüllung (§ 362 Abs. 1), Aufrechnung (§ 389) oder Erlass[64] (§ 397), entfällt insoweit auch der Anspruch gegen den Bürgen.
a) Wirkung
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Bürgschaften können (und werden in Praxis tausendfach) von Verbrauchern übernommen. Hat nun ein Verbraucher eine Bürgschaft übernommen und „reut“ ihn das, stellt sich die Frage, ob ihm ein Widerrufsrecht i.S.d. § 355 zusteht. Ein solches könnte er möglicherweise aus einer (analogen) Anwendung des § 495 (Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehen), aus § 312 (Widerruf bei Haustürgeschäften) und endlich aus § 312d (Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen) herleiten.
Durch einen wirksamen Widerruf wandelt sich der Bürgschaftsvertrag wie bei Ausübung eines Rücktritts ex nunc in ein Rückgewährschuldverhältnis nach §§ 357 Abs. 1 S. 1, 346 ff. um.[65] Die Haftung des Bürgen erlischt damit.
b) Widerrufsrecht analog § 495?
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Die Bürgschaft selbst ist kein Darlehen.[66] Folglich kann ein Widerrufsrecht eines Verbrauchers, der eine Bürgschaft übernommen hat, nur durch analoge Anwendung der § 495 abgeleitet werden. Eine analoge Anwendung setzt aber eine planwidrige Regelungslücke voraus,[67] die von der herrschenden Meinung nicht angenommen wird.[68]
c) Widerrufsrecht des Verbrauchers?
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Das „Verbraucherrichtlinienumsetzungsgesetz“ vom 20.9.2013 hat die Rechte des Verbrauchers bei Verbraucherverträgen umfassend neu gestaltet. Eine eingehende Darstellung würde den thematischen Rahmen dieses Buches sprengen.
Für unseren Sachzusammenhang müssen Sie sich nur merken, dass nach ganz herrschender Meinung die Bürgschaft zwischen einem Unternehmer als Gläubiger und einem Verbraucher als Bürgen als „entgeltliches“ Geschäft im Sinne der Verbraucherschutzvorschriften anzusehen ist.[69]
Begründet wird dies mit einer „richtlinienkonformen“ Auslegung. Bülow lässt darüber hinaus die in der Bürgschaft liegende „mittelbare Entgeltlichkeit“ genügen.[70] Gemeint ist damit, dass die Bürgschaft selbst zwar nur ein einseitig verpflichtender Vertrag sei, jedoch in einem engen Zusammenhang zum gesicherten Vertrag stehe (Bülow nennt dies „Bezugsobjekt“) und dieser Vertrag sei entgeltlich.
Ich halte das für falsch. Denn typischerweise ist zwar ein Darlehen eines Unternehmers an einen Verbraucher „entgeltlich“, weil der Verbraucher Zinsen zu zahlen hat. Was aber, wenn sich Verbraucher B für das Darlehen von Verbraucher A, das sich dieser im Rahmen einer inzwischen häufig anzutreffenden sogenannten „Null-Prozent-Finanzierung“ vom Unternehmer gewähren lässt, verbürgt. In diesem Fall wäre das Bezugsobjekt ebenfalls ein unentgeltlicher Vertrag.
Was bleibt ist die Berufung auf die angeblich gebotene „richtlinienkonforme Auslegung“. Diese ist aber keinesfalls zwingend.[71] Deshalb erscheint mir die Heranziehung dieser Auslegungsmethode