Sachenrecht III. Ralph Westerhoff
der §§ 776 f.
a) Befreiung nach § 776 wegen Aufgabe anderer Sicherheiten
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Das Gesetz enthält in § 776 einen bürgschaftsspezifischen Einwendungstatbestand. Gibt der Gläubiger nämlich ein anderes mit der Forderung verbundenes Sicherungsrecht (also eine andere akzessorische Sicherheit) auf, so wird der Bürge insoweit frei, als er nach § 774 aus dieser Sicherheit hätte Ersatz verlangen können.
Das klingt kompliziert, ist aber auf den zweiten Blick ziemlich einleuchtend: Wie wir eingangs schon besprochen haben, kann der Bürge nach Eintritt des Sicherungsfalles Regress nehmen. Sein wichtigster Regressanspruch ist die in § 774 angeordnete Legalzession. Er erhält also kraft Gesetzes die Forderung gegen den Schuldner und damit über §§ 401, 412 alle mit der Forderung akzessorisch verbundenen Rechte. Diese Rechte (z.B. eine Hypothek) können den Schaden, den der Bürge durch seine Inanspruchnahme erlitten hat, erheblich reduzieren (auf den Ausgleich bei mehreren Sicherungsgebern kommen wir ausführlich unter Rn. 439 ff. zu sprechen).
Gibt nun der Gläubiger ein solches Sicherungsrecht auf, kann dies der Bürge nicht verhindern. Weil aber der Gläubiger damit den sonst möglichen Regress gegen den anderen Sicherungsgeber vereitelt, verliert er bei Verzicht auf ein akzessorisches Sicherungsrecht zugleich auch die zusätzlich bestehende Bürgschaft insoweit, als er durch den Verzicht den Regress des Bürgen zerstört.
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Dies gilt nach § 766 S. 2 ausdrücklich sogar dann, wenn das Sicherungsmittel erst nach Übernahme der Bürgschaft entstanden ist und der Gläubiger später darauf wieder verzichtet. Allerdings wird eine analoge Anwendung für nichtakzessorische Sicherungen abgelehnt.[72]
b) Befreiung nach § 777 wegen Zeitablaufs
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Hat der Bürge seine Haftung nach der Vereinbarung mit dem Gläubiger nur zeitlich befristet übernommen, sog. „Zeitbürgschaft“, wird er nach §§ 158 Abs. 2, 163 von seiner Haftung frei, es sei denn, dass der Gläubiger gegen den Hauptschuldner ohne schuldhafte Unterbrechungen vorgegangen ist und den Bürgen unverzüglich nach Maßgabe des § 777 Abs. 1 in Anspruch genommen hat. Der Umfang der Haftung bestimmt sich dann nach § 777 Abs. 2.
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Von der befristeten „Zeitbürgschaft“ i.S.d. § 777 ist eine Bürgschaft zu unterscheiden, bei der die Zeitangabe lediglich gegenständlich wirken und den zu sichernden Forderungskreis beschränken soll.[73]
Beispiel
Zeitbürgschaft: „Ich verbürge mich für die Forderungen des X gegen Y aus Kaufvertrag vom [Datum] in Höhe von [EUR] für zwei Jahre ab Fälligkeit.“
Bürgschaft mit gegenständlich wirkender Zeitangabe: „Ich verbürge mich für die Forderungen des X gegen Y aus Kaufverträgen der nächsten zwei Jahre.“
2. Teil Die Personalsicherheiten › A. Die Haftung des Bürgen › III. Anspruch durchsetzbar
III. Anspruch durchsetzbar
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Endlich stellt sich die Frage auf der dritten Ebene der Anspruchsprüfung, ob der Anspruch (schon jetzt) gerichtlich durchsetzbar ist.
1. Fälligkeit durch Eintritt des Sicherungsfalls
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Damit der Gläubiger den Bürgen in Anspruch nehmen kann, muss ferner der Sicherungsfall eingetreten sein. Die Voraussetzung stellt sicher, dass der Bürge nur dann zahlen muss, wenn die vertraglich oder gesetzlich definierten Umstände eingetreten sind, dass nunmehr der Bürge haften soll.
Der Sicherungsfall setzt grundsätzlich die Fälligkeit der Hauptforderung voraus. Der Gläubiger muss also gegenüber dem Bürgen darlegen und beweisen, dass seine Forderung gegenüber dem Hauptschuldner fällig ist.[74]
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Im Bürgschaftsvertrag können noch weitere Fälligkeitsvoraussetzungen vereinbart werden, etwa der Nachweis einer erfolglosen Inanspruchnahme des Schuldners (sonst nur Einrede nach § 771).[75]
2. Einreden
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Weiter ist zu prüfen, ob der Bürge gegen den (bestehenden und nicht erloschenen) Anspruch des Gläubigers eine Einrede erheben kann, wodurch die Durchsetzbarkeit des Anspruchs zeitweise (dilatorisch) oder sogar auf Dauer (peremptorisch) gehemmt wird.
Hinweis
Sie erinnern sich: Der Unterschied zwischen den gerade besprochenen Einwendungen und den hier behandelten Einreden lag in Folgendem: Eine Einwendung ist vom Gericht, sofern ihre Voraussetzungen vorgetragen und ggf. bewiesen wurden, von sich aus zu beachten. Auf eine Einrede muss sich der Schuldner ausdrücklich berufen. Der Merksatz lautete: „Bei der Einrede muss man reden“.[76]
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Bei der Bürgschaft ist nun wieder die Besonderheit zu beachten, dass die Einreden einerseits aus dem Vertragsverhältnis zwischen Bürgen und Gläubiger und andererseits aus dem Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner herrühren können. Wir haben also zu beachten, dass bei akzessorischen Sicherheiten Einreden „doppelt“ zu prüfen sind:
a) Einreden aus dem Verhältnis Gläubiger – Hauptschuldner
aa) Einreden des Hauptschuldners, § 768
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Die mehrfach erwähnte Akzessorietät der Bürgschaft findet einen sehr deutlichen Ausfluss in der Regelung des § 768. Es heißt dort in Abs. 1 S. 1:
Der Bürge kann die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden geltend machen.
Das hat für Sie in der Klausursituation die Konsequenz, dass Sie an dieser Stelle sämtliche Einreden, die dem Hauptschuldner gegen den Gläubiger zustehen, prüfen müssen.
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Der Bürge kann sich also insbesondere darauf berufen, dass
• | die Hauptforderung verjährt ist (§ 214), |
• | der Gläubiger dem Hauptschuldner die Schuld gestundet hat, |
• | oder dass dem Hauptschuldner gegen den Gläubiger ein Zurückbehaltungsrecht zusteht (etwa aus § 273 oder § 320). |
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Das Recht des Bürgen, sich auf Einreden aus dem anderen Vertragsverhältnis berufen zu dürfen, ist sehr stark ausgeprägt. Der Bürge verliert nach § 768 Abs. 2 nicht einmal dann die Einrede, wenn der Hauptschuldner auf diese verzichtet.
Beispiel
B hat sich für eine Forderung des G gegen S verbürgt. Kurz vor Ablauf der Verjährung des Anspruchs des G erkennt S seine Verpflichtung gegenüber G an.
Die Anerkennung der Forderung führt gemäß § 212 Abs. 1 Nr. 1 zu einem Neubeginn der Verjährung. Dies gilt aber nicht für den