AGB-Recht. Martin Schwab
Gebrauch macht, ist die Einbeziehung der geänderten AGB gescheitert. Namentlich ist der Verwender in diesem Fall nicht berechtigt, den Vertrag aus wichtigem Grund zu kündigen[65].
d) Lesbarkeit
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Zur zumutbaren Möglichkeit der Kenntnisnahme gehört schließlich, dass die AGB, sofern sie schriftlich vorformuliert werden, für den Kunden lesbar sein müssen; AGB, bei denen dies nicht der Fall ist, werden nach § 305 II Nr. 2 BGB nicht Vertragsbestandteil. Es entspricht freilich geübter und vom Gesetzgeber hingenommener Praxis, dass der Text AGB in kleinen Druckbuchstaben niedergelegt ist. Der Kleindruck kann jedoch dann nicht mehr toleriert werden, wenn er so extreme Ausmaße annimmt, dass die AGB nur noch mit der Lupe entziffert werden können[66]. So hat der BGH (sogar im kaufmännischen Verkehr!) mit Recht die Einbeziehung von AGB abgelehnt, die in zwei 9,5 cm breiten Spalten auf einer nicht ganz DIN A 4 großen Seite mit mehr als 150 Zeilen pro Spalte bei allenfalls 1 mm Zeilenhöhe und noch geringerem Zeilenabstand gedruckt waren; solche AGB können selbst mit der Lupe nur mühevoll zur Kenntnis genommen werden[67]. Ganz ähnlich lag ein vom OLG Hamburg entschiedener Fall, in dem die AGB des Verwenders auf einer DIN A 4 großen Seite in 3 Spalten zu je 5,8 cm Breite abgedruckt waren: Dort umfasste eine Spalte ebenfalls 150 Zeilen bei 1 mm Zeilenhöhe und 0,5 mm Zeilenabstand. Nur die Überschriften über den Klauseln waren in Schwarz, der Text der Klauseln dagegen in Grau gedruckt. Solche AGB können, wie das OLG zutreffend ausführte, selbst im kaufmännischen Geschäftsverkehr nicht Vertragsbestandteil werden[68]. Das OLG Hamm beanstandete zu Recht AGB, die in zwei je 9 cm breiten Spalten mit je 71 Zeilen auf einer Länge von 12,6 cm abgedruckt waren; auch von ihnen konnte der Kunde nicht zumutbar Kenntnis nehmen[69]. Für den Geschäftsverkehr mit Verbrauchern wird im Schrifttum eine Mindestgröße von 8 pt vorgeschlagen[70]; das verdient Zustimmung. Blassgraue Schrift auf blassblauem Papier zu lesen ist dem Klauselgegner – egal ob Unternehmer oder Verbraucher – nicht zuzumuten[71].
e) Rücksichtnahme auf erkennbare körperliche Behinderung
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Die Schuldrechtsreform hat die Einbeziehungsvoraussetzungen nach § 305 II BGB insoweit (im Vergleich zum früheren Recht) verschärft, als der Verwender nunmehr bei der „zumutbaren Möglichkeit der Kenntnisnahme“ auf eine ihm erkennbare körperliche Behinderung des Kunden Rücksicht nehmen muss. Erkennbar ist die Behinderung namentlich dann, wenn der Kunde ausdrücklich auf sie (z.B. auf eine besondere Sehschwäche, die das Lesen der AGB maßgeblich erschwert) aufmerksam macht[72]. Freilich soll vom Verwender nicht verlangt werden können, die AGB in unterschiedlicher Schriftgröße vorzuhalten[73]. Wenn man dem folgt, kann freilich der Schutzzweck des § 305 II Nr. 2 BGB nur noch dann erreicht werden, wenn der Verwender dem Kunden die AGB auf andere Weise, etwa akustisch wahrnehmbar macht. Man kann mit gutem Grund bezweifeln, dass das Vorhalten einer Tonbandkassette mit den AGB oder gar das Vorlesen der AGB den Verwender weniger belastet[74]. Im Schrifttum wird denn auch eine zurückhaltende Handhabung des auf Menschen mit Behinderung gemünzten Zusatzes empfohlen[75]. Insgesamt dürfte die Vorhaltung von AGB in unterschiedlicher Schriftgröße das für alle Beteiligten am wenigsten umständliche Mittel sein, um dem sehbehinderten Kunden die zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme zu verschaffen. Wo der Kunde gänzlich blind ist, müssen die AGB, sofern sie nicht vorgelesen werden, in Blindenschrift zur Verfügung stehen[76].
f) Der für die Möglichkeit der Kenntnisnahme maßgebliche Zeitpunkt
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Die zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme von AGB muss dem Klauselgegner vor Vertragsschluss gewährt werden[77]. Dies Erfordernis lässt sich nicht als bloßer funktionsloser Formalismus abtun[78]. Denn diese Möglichkeit der Kenntnisnahme bildet die Grundlage für das (nach § 305 II BGB ebenfalls erforderliche) Einverständnis des Klauselgegners mit der Geltung der AGB. So ist es mit Recht nicht für ausreichend erachtet worden, wenn Kreditkartenbedingungen zusammen mit der Karte verschickt werden[79]; denn in diesem Moment ist der Kartenvertrag bereits geschlossen. Der Karteninhaber kann sich zu diesem Zeitpunkt keine sinnvolle Meinung mehr zu der Frage bilden, ob er der Einbeziehung der AGB des Kartenausstellers zustimmen möchte. Wird der Vertrag fernmündlich geschlossen, so bereitet die Einbeziehung von AGB vor diesem Hintergrund freilich Probleme; denn hier bliebe, sofern die AGB dem Kunden nicht bereits vorliegen, als „zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme“ vor Vertragsschluss allenfalls das (kaum praktikable) Vorlesen der Klauseln am Telefon übrig. Da das Einbeziehungserfordernis des § 305 II Nr. 2 BGB den Klauselgegner schützt, kann dieser auf die zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme verzichten. Freilich wird man einen solchen Verzicht im konkreten Einzelfall nicht schon daraus herleiten können, dass der Kunde, obwohl er auf die AGB des Verwenders hingewiesen wurde, ohne Weiteres den Vertrag schließt[80]. Vielmehr muss der Verwender den Kunden ausdrücklich fragen, ob er vor Vertragsschluss die AGB einsehen möchte, und der Kunde diese Frage verneinen, d.h. auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme ausdrücklich verzichten[81]. Nur diese strenge Handhabung verträgt sich mit der oben Rn. 56 für richtig gehaltenen Auffassung, dass der Verwender dem Kunden die Möglichkeit der Kenntnisnahme unaufgefordert eröffnen muss. Nicht überzeugend erscheint es demgegenüber, wenn es für die zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme als ausreichend angesehen wird, dass die AGB unverzüglich nachgereicht werden[82]. Denn in diesem Zeitpunkt bleibt dem Kunden keine Chance mehr, ein mögliches Einverständnis mit jenen AGB zu reflektieren: der Vertrag ist dann vielmehr verbindlich geschlossen.
g) Unzulässige Bestätigungsklauseln
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Versuche des Verwenders, die Einbeziehung seiner AGB mit Hilfe von Bestätigungsklauseln sicherzustellen, werden in der Rechtsprechung mit Recht kritisch gesehen. Eine vorformulierte Bestätigung des Kunden, wonach er von den AGB des Verwenders Kenntnis genommen habe, ist nach § 309 Nr. 12 a BGB und ebenso nach § 309 Nr. 12 b BGB unwirksam[83]. Denn es liegt im Verantwortungsbereich des Verwenders, dem Kunden die zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme zu verschaffen, und der Verwender muss im Streitfall beweisen, dass dem Kunden diese Möglichkeit gegeben wurde.
Anmerkungen
Zutreffend Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack AGB-Recht, § 305 Rn. 156.
Ausdrücklich für Erfordernis eines Hinweises in einem solchen Fall BGH WM 1988, 607, 610.
OLG Köln NJW-RR 1987, 53, 54; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack AGB-Recht, § 305 Rn. 148; a.A. – Text der AGB auf Aushang nicht ausreichend – Staudinger/Schlosser BGB, § 305 Rn. 145.
Ebenso Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack AGB-Recht, § 305 Rn. 147.
Schmidt NJW 2011, 1633, 1636 f.
Staudinger/Schlosser BGB, § 305 Rn. 145; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack AGB-Recht, § 305 Rn. 147.