Die straflose Vorteilsnahme. Tobias Friedhoff
wurde, solche Hinweise auf Einladungen zu schreiben und – ähnlich wie bei einer Klassenfahrt in der Unterstufe – die Einholung der Erlaubnis des Vorgesetzten einzufordern, damit der eingeladene Amtsträger tatsächlich auch kommen darf?
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Diese Frage führt unmittelbar zum Thema der vorliegenden Arbeit „Die straflose Vorteilsannahme“. Der Tatbestand der Vorteilsannahme (§ 331 StGB) ist es, der dies möglich macht. Und das, obwohl die Zahl der jährlich ermittelten Fälle dieses Tatbestandes eher bescheiden ausfällt und keine so umfangreiche Auswirkung auf das gesellschaft- und wirtschaftliche Leben vermuten lässt. Nach der vom Bundeskriminalamt (BKA) herausgegebenen Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) wurden im Jahr 2010 420 Fälle der Vorteilsannahme erfasst, die Aufklärungsquote lag bei 87,9 %.[5] In dem ebenfalls vom BKA erstellten Bundeslagebild Korruption wurden im Jahr 2010 insgesamt 585 Fälle der Vorteilsannahme polizeilich festgestellt (im Jahr 2009 waren es 1.376 Fälle).[6]
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Im Vergleich zu anderen Straftatbeständen sind dies doch sehr überschaubare Zahlen.[7] Dabei ist zu beachten, dass der Tatbestand der Vorteilsannahme dem Korruptionsstrafrecht zuzuordnen ist, bei dem ein hohes Dunkelfeld vermutet wird.[8] Der Grund liegt primär darin, dass es sich bei Korruptionsdelikten um heimliche Delikte handelt, bei denen es kein klassisches Opfer wie bei einem Diebstahls- oder einem Körperverletzungsdelikt gibt, das die Straftat von sich aus bei der Polizei meldet; die Strafverfolgungsbehörden sind vielmehr auf Hinweisgeber angewiesen,[9] um von solchen Straftaten überhaupt Kenntnis zu erlangen und um sie dann aufklären zu können.[10] Man kann also davon ausgehen, dass die tatsächliche Zahl von Handlungsweisen, die unter den Tatbestand der Vorteilsannahme subsumiert werden könnten, deutlich höher liegt, als dies die Statistiken ausweisen.
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Dabei löst der Tatbestand der Vorteilsannahme bei Amtsträgern als Empfänger des Vorteils wie auch bei vielen Personen, die als Geber des Vorteils unter die entsprechende Regelung der Vorteilsgewährung (§ 333 StGB) fallen können, große Unsicherheit darüber aus, was rechtlich erlaubt ist und bei welchen Handlungen sie mit Ermittlungen von Seiten der Staatsanwaltschaft rechnen müssen. Die Frage, die hierbei gestellt wird, ist: Wann ist die Vorteilsannahme straflos? Wo liegt die Grenze zwischen strafloser und strafbarer Vorteilsannahme?
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Diese Arbeit hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, zunächst diese Unsicherheit, die der Tatbestand der Vorteilsannahme auszulösen vermag, näher zu betrachten und die Ursachen hierfür zu beschreiben. Dieser Teil der Arbeit umfasst daher die Bestandsaufnahme des Tatbestandes der Vorteilsannahme de lege lata (Teil 2, Rn. 7 ff.). Danach wird dargelegt, wie momentan in Rechtsprechung und Literatur versucht wird, dem Tatbestand im Hinblick auf den ultima-ratio-Grundsatz strafrechtliche Kontur zu verleihen (Teil 3, Rn. 106 ff.) und wie sich der Tatbestand gegenüber einem fundamentalen Grundsatz des Strafrechts, dem Bestimmtheitsgebot, verhält (Teil 4, Rn. 166 ff.). Anschließend wird ein Abschnitt über die strafrechtliche Handhabung der Vorteilsannahme in den Ländern Österreich und Schweiz in die Arbeit aufgenommen (Teil 5, Rn. 219 ff.). Dieser strafrechtsvergleichende Teil wird sehr hilfreich bei der Entwicklung von Lösungsansätzen zur Neuregelung der Vorteilsannahme in Deutschland sein.
Ziel dieser Arbeit ist es, die beschriebenen Unsicherheiten aus dem Tatbestand so gut es geht zu tilgen, damit die Frage „Wann ist eine Vorteilsannahme straflos“ zukünftig so sicher wie möglich beantwortet werden kann. Dies soll dadurch geschehen, dass am Ende der Arbeit ein eigener Formulierungsvorschlag für eine mögliche Neuregelung des § 331 StGB entwickelt wird (Teil 6, Rn. 367 ff.). Auch für die Vorteilsgewährung soll ein entsprechender Tatbestandsentwurf entwickelt werden. Da in dieser Arbeit jedoch die Vorteilsannahme im Zentrum der Untersuchung steht, wird auf die Vorteilsgewährung immer nur dann eingegangen, wenn und soweit dies für das Gesamtverständnis für erforderlich angesehen wurde; viele Überlegungen zur Vorteilsannahme lassen sich im Übrigen ohne Weiteres auf die Vorteilsgewährung übertragen.
Da sich in den Tatbestandsentwürfen die Überlegungen der gesamten Arbeit bündeln und ihren Abschluss finden, wurde auf ein Schlusswort verzichtet.
Anmerkungen
An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei Herrn Flavio Bertoli, LL.M. (College of Europe Bruges), Syndikus/Senior Legal Counsel der Siemens AG, bedanken, der mir nicht nur freundlicherweise die zitierten Musterauszüge zur Verfügung gestellt hat, sondern darüber hinaus geduldig die Sicht eines Großunternehmens auf den Tatbestand der Vorteilsannahme und die damit verbundenen Probleme darlegte. Seiner Ansicht nach führten diese Hinweise auf den Einladungen im Übrigen teilweise zu einer Sensibilisierung auf Seiten der Eingeladenen im Hinblick auf die im Zusammenhang mit den Korruptionsstraftatbeständen auftretenden Schwierigkeiten, teilweise erschöpfte sich die Reaktion jedoch auch in Empörung über einen solchen Hinweis und insbesondere über die Aufforderung, die Genehmigung des Vorgesetzten einzuholen, wobei sich hier insbesondere Personen „im staatsnahen Bereich“ erheblich echauffierten und sich in negativer Weise hervortaten.
Bei der „Siemens-Korruptionsaffäre“ ging es (verkürzt dargestellt) um die jahrelange, systematische Bildung schwarzer Kassen für die systematische Bestechung von ausländischen (amtlichen sowie privatwirtschaftlichen) Entscheidungsträgern, damit diese die Siemens AG bei der Vergabe von Aufträgen bevorzugt auswählten; vgl. die ausführliche Darstellung eines solchen Vorgehens durch den BGH in dessen Sachverhaltsdarstellung zur „Siemens-Entscheidung“, BGH NStZ 2009, 95 (96 f.), mit ausführlicher Besprechung von Satzger NStZ 2009, 297 ff.
Vgl. Der Spiegel Ausgabe 16/2008, S. 79; nach der sehr kritischen Berichterstattung in der Zeitschrift Der Spiegel wurden solche Hinweise nicht mehr auf Einladungen der Siemens AG gedruckt; Quelle: Flavio Bertoli, LL.M. (College of Europe Bruges).
Vgl. die Homepage der Siemens AG, abrufbar unter http://www.siemens.de/ueberuns/daten/Seiten/home.aspx, zuletzt abgerufen am 22.1.2012.
BKA PKS 2010, S. 48; bezüglich der Vorteilsgewährung wurden 124 Fälle erfasst, bei einer Aufklärungsquote von 93,5 %.
BKA Korruption, Bundeslagebild 2010, S. 9; im Jahr 2010 wurden außerdem 465 Fälle der Vorteilsgewährung (2009 noch 973 Fälle) polizeilich registriert.
Zum Vergleich aus der PKS 2010: Diebstahl ohne erschwerende Umstände: 1.233.812 Fälle (S. 42); Betrug: 968.162 Fälle (S. 44); Untreue: 10.186 Fälle (S. 45); Jagdwilderei: 1.016 Fälle (S. 49).
Bannenberg/Schaupensteiner Korruption in Deutschland, S. 38 ff., gehen davon aus, dass nur 1 % der Korruptionsdelikte tatsächlich auch aufgedeckt wird; vgl. auch LK-Sowada Vor § 331 Rn. 46; MK-Korte § 331 Rn. 17; Schwind Kriminologie, § 21 Rn. 41.