Soldatengesetz. Stefan Sohm
Kriterien Eignung, Befähigung und Leistung sind in erster Linie aufgrund der zurzeit der Auswahlentscheidung aktuellsten Beurteilungen zu ermitteln, weshalb der letzten dienstl. Beurteilung regelmäßig ausschlaggebende Bedeutung zukommt. Liegt für einen Soldaten im Auswahlverfahren eine hinreichend aktuelle planmäßige Beurteilung nicht vor, so ist für ihn eine Sonderbeurteilung zu erstellen. Gegen einen Vergleich der Aussagen und Wertungen in einer planmäßigen Beurteilung mit solchen in einer Sonderbeurteilung bestehen keine grds. Bedenken, sofern die Anforderungen an die Vergleichbarkeit der Beurteilungen (etwa hins. der Beurteilungszeiträume und -stichtage) gewahrt sind.[346]
Zur abgerundeten Bewertung des Leistungs-, Eignungs- und Befähigungsbildes und seiner Kontinuität ist es zulässig, in die Auswahlentscheidung frühere Beurteilungen bis zu den beiden letzten planmäßigen Beurteilungen vor der aktuellen Beurteilung mit einzubeziehen (vgl. auch § 33 Abs. 1 Satz 2 BLV).[347] Früh. Beurteilungen sind keine Hilfskriterien, sondern vor diesen unmittelbar leistungs- und eignungsbezogen zu werten.[348] Es darf allerdings nicht aus dem Blick geraten, dass für die Auswahlentscheidung der aktuelle und nicht ein in der Vergangenheit liegender Leistungsstand maßgeblich ist. Vorletzte und vorvorletzte Beurteilungen sind deshalb nicht isoliert, sondern in Bezug auf das durch die letzte Beurteilung dokumentierte aktuelle Leistungsbild zu sehen. Vor allem darf nicht mit einer rein rechnerischen Operation das aktuelle Leistungsverhältnis zwischen den Bewerbern, das sich aus deren letzten Beurteilungen ergibt, überspielt und in sein Gegenteil verkehrt werden, indem der vorletzten und vorvorletzten Beurteilung unverhältnismäßig großes Gewicht beigemessen wird und so in der rechnerischen Gesamtbilanz aus einem Leistungsvorsprung ein Leistungsgleichstand oder sogar ein Leistungsnachteil wird.[349]
Hilfskriterien (insbes. Fraueneigenschaft im Rahmen des § 8 SGleiG, soziale Kriterien, Dienst- oder Lebensalter) können erst entscheidend sein, wenn eine auch annähernd gleiche Eignung im weiteren Sinne festgestellt wird. Ansonsten verdient der besser geeignete Kandidat den Vorzug.
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Der Dienstherr hat bei der Bewertung der Eignung, Befähigung und Leistung bezogen auf bestimmte Tätigkeitsbereiche einen Spielraum, wie er die einzelnen Merkmale gewichtet. Er ist nicht gezwungen, sie anteilig jew. zu einem Drittel in einer Gesamtbewertung anzurechnen. Dies wäre fragwürdig, weil sich die Kriterien überschneiden und teilweise bedingen. Außerdem besteht die dienstl. Beurteilung nicht nur aus bepunktbaren, objektiv nachzurechnenden Einzelmerkmalen, sondern auch aus freien Beschreibungen, die der Interpretation zugänglich sind. Es unterliegt daher der Einschätzungsprärogative des Dienstherrn, welchem Qualifikationsmerkmal er für seine Auswahlentscheidung größeres Gewicht beimisst[350], wobei er allerdings die seiner Entscheidung zugrunde liegenden wesentlichen Auswahlerwägungen schriftl. niederlegen muss, um eine sachgerechte Kontrolle durch den unterlegenen Bewerber und ggf. durch das Gericht zu ermöglichen.[351] Erst bei im Wesentlichen gleich bewerteten Personen (wie weit dieser Kreis zu ziehen ist, obliegt der sachgerechten Einschätzung des Dienstherrn) kann über die Eignung im weiteren Sinne hinaus auf Hilfskriterien zurückgegriffen werden.
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Dass die beurteilenden Vorg. ihre Soldaten bisher durchweg mit Spitzennoten bewertet haben, darf nicht dazu führen, dass dem Leistungsprinzip fremde Gesichtspunkte bei der Bestenauslese den Ausschlag geben. Diese Gefahr besteht durch Berücksichtigung des Dienst- (und damit Lebens)alters. Die Rspr. der Wehrdienstgerichte[352] hat dazu beigetragen, diese verfassungsrechtl. bedenkliche Praxis zu stützen. Gemessen an Art. 33 Abs. 2 GG und Abs. 1 ist es rechtl. unzulässig, Mindestdienstzeiten und damit implizit ein Mindestlebensalter zur Schaffung eines altersgerechten Dienstgradgefüges, zur Verwirklichung eines auch im polit. Raum propagierten allg. Laufbahnziels[353] oder zur Erleichterung der mil. Personalführung zu nutzen.
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Dies bestätigt die Rspr. des BVerwG[354] zur Unzulässigkeit der Berücksichtigung nicht im verfassungsrechtl. Leistungsgrds. verankerter Kriterien (wie Mindestverweildauer in einem Dienstgrad oder Mindestdienstzeiten) bei einer Bewerberauswahl für eine Beförderung. Diese Rspr. muss zu einer krit. Überprüfung der in der SLV und in Dienstvorschriften enthaltenen, z.T. in vielen Jahren bemessenen, sachlich nicht zu rechtfertigenden Wartezeiten[355] führen.[356] Das BVerwG hebt hervor, nur so lange eine Wartezeit geeignet und erforderlich sei, „eine zuverlässige Beurteilung des Leistungsvermögens und eine fundierte Prognose über die voraussichtliche Bewährung in einem höheren Amt zu ermöglichen“[357], lägen ihr als Bewährungszeit leistungsabhängige Faktoren zugrunde. Der Zweck der Bewährungszeit setze Wartezeiten Grenzen. Eine Wartezeit, die länger sei als zur Feststellung der Eignung notwendig, sei dem Anciennitätsprinzip zuzuordnen, das dem Leistungsgrds. widerspreche. Obergrenze für Bewährungszeiten ist nach Ansicht des BVerwG[358] i.d.R. der für eine Regelbeurteilung vorgesehene Zeitraum; bei Spitzendienstposten kann ein größerer Zeitrahmen angemessen sein.
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Gravierende Auswirkungen muss diese Rspr. im Bereich der Fw-Dienstgrade haben. Wegen der derzeit breiten Dienstpostenbündelung (Fw bis StFw[359]) finden dort grds. jew. nur Beförderungen mit besoldungsrechtl. Steigerung ohne Übertragung eines höher dotierten Dienstpostens statt. Die dienstl. Aufgaben bleiben unverändert. Die grds. Bewährung wird schon bei der erstmaligen Wahrnehmung des Dienstpostens im Dienstgrad Fw nachgewiesen. Bei weiteren Beförderungen ist, soweit die Bündelung reicht, eine erneute Bewährungszeit unnötig.
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Eine Berufung auf das Dienst- oder Lebensalter[360] in Form von Wartezeiten bei Auswahlverfahren ist nur zulässig, wenn es sich um echte Bewährungszeiten handelt oder wenn eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Sprungbeförderung (§ 27 Abs. 4 Satz 2[361]) verhindert werden soll. Als weitere Ausnahme von der Bestenauslese erkennt das BVerwG[362] nicht im Leistungsgrds. verankerte Belange an, die als immanente Grundrechtsschranke bei Auswahlverfahren berücksichtigt werden können, weil ihnen selbst Verfassungsrang zukommt. Hier ist an die bei mil. Auswahlverfahren zu beachtende Einsatzbereitschaft der SK zu denken, die verfassungsrechtl. in Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG zum Ausdruck kommt. Unbeschadet der (inzwischen zu bejahenden) Frage, ob es zur Anerkennung einer von Verfassungs wegen zu berücksichtigenden Wartezeit bei mil. Ernennungs- und Verwendungsentscheidungen einer gesetzl. Grundlage bedarf[363], reicht die auf Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG gestützte Berufung auf das personalpolit. Interesse der SK an einer ausgewogenen Altersstruktur nicht aus. Es ist sachlich nicht überzeugend begründbar, warum unter Verzicht auf den im öff. Dienst bei Beförderungen vorrangigen Leistungsgrds. im mil. Bereich dienstzeit- und lebensjüngere, leistungsstärkere Soldaten gegenüber älteren Soldaten vor förderlichen Maßnahmen lange Wartezeiten in Kauf nehmen sollen. Die Altersstruktur in einzelnen Dienstgraden ist für die Einsatzbereitschaft der SK nicht entscheidend.
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Nach Art. 87a Abs. 1 GG ist das innere Gefüge der SK so zu gestalten, dass diese ihren mil. Aufgaben gewachsen sind.[364] Wollte man die geforderten Mindestwartezeiten unter Zurückstellung des Leistungsgrds. mit Art. 87a GG rechtfertigen, wäre nachzuweisen, dass sie für die Funktionsfähigkeit der SK unabdingbar und für eine die Einsatzbereitschaft stützende Personalführung von ausschlaggebender Bedeutung seien. Hierfür ist, soweit es sich bei den Wartezeiten nicht um notwendige Bewährungszeiten handelt, kein sachlicher Grund ersichtlich. Wartezeiten machen im Rahmen eines Laufbahnmodells Beförderungen von einem Mindestdienst- und damit erfahrungsgemäß Lebensalter abhängig. Sie bewirken, dass in bestimmte Dienstgrade Soldaten erst ab einem bestimmten