Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz / Verwaltungszustellungsgesetz. Eva-Maria Kremer
wird nicht um eine Woche verlängert. Denn dann würde die Behörde ohne gesetzliche Grundlage eine weitere Wochenfrist als Schonfrist gewähren müssen. Vielmehr wird der Beginn der Vollstreckung im Interesse des Schuldners nur hinausgeschoben.
Auch bei der Gerichtsvollstreckung nach § 169 VwGO ist dem Vollstreckungsschuldner die Schonfrist eingeräumt (Schoch/Schneider/Bier/Möller, § 169 Rn. 50; Sodan/Ziekow/Heckmann, § 169 Rn. 45). Gleiches gilt ferner gemäß § 254 Abs. 1 S. 1 AO.
In Nordrhein-Westfalen können gemäß § 6 Abs. 4 VwVG NRW ohne Einhaltung der Schonfrist beigetrieben werden: Zwangsgelder und Kosten einer Ersatzvornahme sowie Säumniszuschläge, Zinsen, Kosten und andere Nebenforderungen, wenn im Leistungsbescheid über die Hauptforderung auf sie dem Grunde nach hingewiesen worden ist.
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Für die Geldbuße aus einem Bußgeldbescheid (Rn. 17) enthält § 95 Abs. 1 OWiG folgende Regelung: Die Geldbuße wird vor Ablauf von zwei Wochen nach Eintritt der Fälligkeit nur beigetrieben, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen erkennbar ist, dass sich der Betroffene der Zahlung entziehen will.
2. Vollziehbarkeit von Leistungsbescheiden
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Die Behörde kann die Vollstreckung auch einleiten, wenn ihr Leistungsbescheid noch nicht unanfechtbar ist. Das ergibt sich aus § 5 Abs. 1 VwVG i.V.m. § 251 Abs. 1 AO. Allerdings finden die in § 251 AO genannten Bestimmungen des § 361 AO und des § 69 FGO keine Anwendung. Denn sie sind in § 5 Abs. 1 VwVG nicht aufgeführt. Hier gelten vielmehr die in § 80 Abs. 2 bis 8 VwGO festgelegten Aussetzungsvorschriften (vgl. Engelhardt/App/Schlatmann, § 251 AO Rn. 2). Insoweit werden in § 3 nicht so strenge Anforderungen für den Beginn der Vollstreckung gestellt, wie sie in § 6 Abs. 1 für die Erzwingung von Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen enthalten sind. Dennoch ist zu empfehlen, grundsätzlich entsprechend zu verfahren.
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Zunächst wird es wohl keine Behörde geben, die haushaltsmäßig nicht in der Lage wäre, die Rechtsbehelfsfrist von einem Monat abzuwarten. Sodann sollte die Behörde das prozessrechtliche Risiko bedenken, welches sie unnötigerweise eingeht. Denn die schon vor Unanfechtbarkeit des Leistungsbescheides eingeleitete Vollstreckung könnte rechtswidrig sein (OVG Bautzen B 29.11.2005 – 5 Bs 4/04, juris = NVwZ-RR 2007, 68; OVG Hamburg B 18.12.2006 – 3 Bs 218/05, juris = NVwZ 2007, 364).
Aus diesen Gründen schreibt Sachsen in § 24 Abs. 4 SächsVwVG vor, dass Kosten der Ersatzvornahme innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Leistungsbescheides zu zahlen sind. Ebenso zweckmäßig ist die Bestimmung des § 24 Abs. 3 S. 2 SächsVwVG, wonach der Leistungsbescheid sofort vollziehbar ist.
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Die Unanfechtbarkeit oder die sofortige Vollziehbarkeit ist Voraussetzung für die Beitreibung in folgenden Bundesländern:
(1) Baden-Württemberg: § 2 LVwVG.
(2) Bayern: Art. 19 Abs. 1 VwZVG.
(3) Hessen: § 2 HessVwVG.
(4) Niedersachsen: § 3 Abs. 1 Nr. 1 NVwVG.
(5) Rheinland-Pfalz: § 2 LVwVG.
(6) Saarland: § 30 Abs. 1 Nr. 1 SVwVG.
(7) Sachsen-Anhalt: § 3 Abs. 1 Nr. 1 VwVG LSA.
(8) Thüringen: § 19 ThürVwZVG.
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Wenn die Behörde ausnahmsweise die Unanfechtbarkeit des Leistungsbescheides nicht abwarten kann, sollte sie die sofortige Vollziehung des Leistungsbescheides gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO anordnen. Damit nimmt sie einem etwaigen Rechtsbehelf die aufschiebende Wirkung. In einem solchen Fall wird stets ein besonderes öffentliches und auch gerichtsfest begründbares Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides bestehen.
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Sollte sich schließlich die Notwendigkeit ergeben, die Vollstreckung noch vor rechtskräftigem Abschluss eines langwierigen Verwaltungsstreitverfahrens durchzuführen, hat die Behörde auch dann immer noch die Möglichkeit, die sofortige Vollziehung anzuordnen. Sie kann nämlich diese Anordnung auch nach Erlass ihres angefochtenen Verwaltungsaktes in jeder Lage des Verfahrens treffen, also auch im Verwaltungsstreitverfahren.
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Von diesen Grundsätzen gibt es mit Rücksicht auf zwingende Gründe der staatlichen Haushaltswirtschaft Ausnahmen bei der Erstattung von Leistungen. Das trifft auf § 49a VwVfG zu: Bei Bescheiden nach Landesrecht gilt das entsprechende Verfahrensrecht des betreffenden Landes. Soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden oder infolge Eintritts einer auflösenden Bedingung unwirksam geworden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten.
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Für die Wirksamkeit der Rücknahme und des Widerrufs ist entscheidend, dass die Behörde die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 und § 49 Abs. 3 S. 2 VwVfG eingehalten hat (zur Berechnung der Frist siehe BVerwG B 19.12.1984 – Gr. Sen. 1, 2/84, juris = BVerwGE 70, 356; BVerwG U 24.1.2001 – 8 C 8/00, juris = BVerwGE 112, 360; BVerwG U 28.6.2012 – 2 C 13/11, juris = BVerwGE 143, 230). Zum Vergleich: Gemäß § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X gilt ebenfalls eine Jahresfrist (BSG U 25.10.1995 – 5/4 RA 66/94, juris = NVwZ 1996, 1248).
Führt der Leistungsempfänger wegen der Zuwendung einen Verwaltungsrechtsstreit gegen die Bewilligungsbehörde, so gilt: Die Jahresfrist beginnt erst mit der Beendigung des Prozesses zu laufen (BVerwGE 143, 230 Rn. 30 a.a.O.; OVG Magdeburg B 26.1.2010 – 1 L 10/10, juris = NVwZ-RR 2010, 551; OVG Bremen U 16.2.2011 – 2 A 37/09, juris = NordÖR 2011, 197).
Im Verwaltungsprivatrecht scheidet ein Rückgriff auf die Jahresfrist aus (BGH U 6.11.2009 – V ZR 63/09, juris = NVwZ 2010, 531).
Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG kann nach Unionsrecht entfallen. Sie findet zum Beispiel bei der Rücknahme einer gemeinschaftsrechtswidrigen Subvention keine Anwendung (BVerwG U 23.4.1998 – 3 C 15/97, juris = BVerwGE 106, 328).
Bei der Rückforderung einer gemeinschaftsrechtswidrigen Subvention greift das Unionsrecht sogar noch schärfer ein: Die Entscheidung eines nationalen Gerichts, welche die Rückforderung behindert, erlangt keine Rechtskraft (EuGH U 18.7.2007 – C-119/05, juris = DÖV 2007, 835).
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Sollte es um die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes gehen, der von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen wurde, gilt Folgendes (BVerwG U 20.12.1999 – 7 C 42/98, juris = BVerwGE 110, 226): Die Zuständigkeit richtet sich nach dem jeweils anzuwendenden Fachrecht. Fehlen derartige Regelungen, ist nach allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen die Behörde zuständig, die zum Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung für den Erlass des aufzuhebenden Verwaltungsaktes sachlich zuständig wäre.
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Die zu erstattende Leistung ist gemäß § 49a Abs. 1 S. 2 VwVfG durch schriftlichen Verwaltungsakt