Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz / Verwaltungszustellungsgesetz. Eva-Maria Kremer
in der Neufassung vom 10.9.2003 (SächsGVBl. S. 614, 615), zuletzt geändert am 6.10.2013 (SächsGVBl. S. 802).
(14) Sachsen-Anhalt: Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (VwVG LSA) vom 20.2.2015 (GVBl. LSA S. 50, 51).
Eine besondere Zuweisung enthält § 71 VwVG LSA: Verwaltungsakte, die auf die Herausgabe einer Sache oder auf eine sonstige Handlung oder eine Duldung oder Unterlassung gerichtet sind und die nicht unter § 2 Abs. 1 fallen, werden, auch wenn sie nicht der Gefahrenabwehr dienen, nach dem Vierten Teil des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (SOG LSA) durchgesetzt. Gemäß § 73 VwVG LSA gilt das auch für sofort vollstreckbare öffentlich-rechtliche Verträge.
(15) Schleswig-Holstein: Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein (Landesverwaltungsgesetz – LVwG –) in der Fassung vom 2.6.1992 (GVOBl. S. 243); § 1 Abs. 1, §§ 2, 3, §§ 228 bis 322 LVwG, zuletzt geändert am 25.9.2018 (GVOBl. S. 648).
(16) Thüringen: Thüringer Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (ThürVwZVG) in der Neubekanntmachung vom 5.2.2009 (GVBl. S. 24), zuletzt geändert am 23.9.2015 (GVBl. S. 131, 133).
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands am 3.10.1990 hatten auch die östlichen neuen Bundesländer das Recht der Verwaltungsvollstreckung in eigener Zuständigkeit zu regeln. Die erlassenen Gesetze sind eigenständige Schöpfungen mit verschiedenartigem Aufbau und unterschiedlicher Gestaltung. Sie orientieren sich am Recht des Bundes und der westdeutschen Bundesländer. Daraus sowie aus später folgenden gesetzlichen Regelungen hat sich inzwischen eine weitgehende Rechtseinheit in Gesamtdeutschland ergeben. Das ist zu begrüßen (Sadler, Die Verwaltungsvollstreckungsgesetze der neuen Bundesländer, LKV 1995, 409, 417).
V. Vollstreckung nach pflichtgemäßem Ermessen
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Das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz verpflichtet die Vollzugsbehörde nicht, eine Handlung, Duldung oder Unterlassung zu erzwingen. Vielmehr entscheidet sie nach pflichtgemäßem freien Ermessen im Rahmen ihrer dienstlichen Ordnung (vgl. BVerfG B 7.12.1998 – 1 BvR 831/89, BayVBl. 1999, 303 = ZBR 1999, 127 = NVwZ 1999, 290; BVerwG U 25.9.2008 – 7 C 5/08, DVBl. 2009, 132 = NVwZ 2009, 122 = DÖV 2009, 132 L = BeckRS 2008, 40173; BVerwG U 15.2.1990 – 4 C 45/87, BVerwGE 84, 354, 360 = DVBl. 1990, 583 = DÖV 1990, 705 = NVwZ 1990, 663 = UPR 1990, 226 = ZfBR 1990, 196 = StTg 1990, 506 = JZ 1991, 241 = JuS 1991, 82 = BRS 50 Nr. 205 = Buchholz 406.11 § 39b Nr. 2).
Alle Vollstreckungsvorschriften sind „Kann“-Bestimmungen. Das ergibt sich aus dem Text der §§ 6 ff. VwVG. Es herrscht das Opportunitätsprinzip. Inhalt und Bedeutung des Ermessens ergeben sich aus § 40 VwVfG; dort heißt es: „Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.“
Bund und Länder haben inhaltsgleiches Recht. Auch die Vollzugsbehörden der Länder entscheiden nach pflichtgemäßem Ermessen über die Durchführung von Zwangsmaßnahmen (vgl. OVG Bautzen B 28.5.1998 – 1 S 149/98, JbSächsOVG 6, 143 = NVwZ-RR 1999, 101).
Für die Finanzbehörden ist das Ermessen in § 5 AO im Zusammenhang mit der „Kann“-Bestimmung des § 328 Abs. 1 AO definiert. Sie entscheiden also ebenso nach pflichtgemäßem Ermessen über den Verwaltungszwang (BFH U 6.11.2012 – VII R 72/11, BFHE 239, 15 – BStBl. II 2013, 141).
Daraus folgt, dass die Behörde auch ein bereits eingeleitetes Verwaltungszwangsverfahren in jedem Stadium des Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahrens einstellen sowie insgesamt von einem zulässigen Vollzug absehen kann. Es gibt für sie also keinen Automatismus und Zugzwang.
„Das Prinzip des Rechtsstaates fordert, dass der einzelne wissen muss, inwieweit die Verwaltung in seinen Rechtskreis eingreifen darf. Es fordert aber weder, dass der Gesetzgeber die Verwaltung bindet, den möglichen Eingriff immer zu vollziehen, noch dass der Gesetzgeber tatbestandsmäßig genau umreißt, wann die Verwaltung von einem zulässigen, nach Tatbestand und Folge eindeutig geregelten Eingriff Abstand nehmen darf.“
So lautet der Leitsatz folgender Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: BVerfG B 3.2.1959 – 2 BvL 10/56, BVerfGE 9, 137, 147–149 = NJW 1959, 931 = DVBl. 1959, 326 = DÖV 1959, 302 = VerwRspr. 12, 15.
Insoweit ist der Aussage von Rudolph zuzustimmen (S. 25): Eine gesetzliche Verpflichtung zum Vollzug wäre auch rechtspolitisch verfehlt. Denn das Ansehen der Verwaltung in der Öffentlichkeit und damit die Bereitschaft zur freiwilligen Befolgung hoheitlich auferlegter Pflichten seitens der Bürger kann durch Verhandlungs- und Verständigungsbereitschaft der Behörden eher gefördert werden als durch die Brechung des entgegenstehenden Willens mit Zwangsmaßnahmen. Die Behörde würde aber natürlich unglaubwürdig werden, wenn sie ohne besondere Gründe von dem Vollzug absehen sollte.
Allerdings kann es Ausnahmefälle geben, in denen das Ermessen reduziert und auf „Null“ geschrumpft ist. Hier ist „nur eine einzige ermessensfehlerfreie Entschließung, nämlich die zum Einschreiten, denkbar“ (BVerwG U 18.8.1960 – 1 C 42/59, BVerwGE 11, 95, 97 = NJW 1961, 793 = DVBl. 1961, 125 = BBauBl. 1961, 24 = ZMR 1961, 181 = BayVBl. 1961, 53 = VerwRspr. 13, 180 = BRS 12 S. 174). Dann ist die Behörde verpflichtet, ein Verwaltungszwangsverfahren durchzuführen (vgl. OVG Münster B 8.2.1995 – 20 B 73/95, NVwZ-RR 1996, 182 = NWVBl. 1995, 260). Eine Ermessensreduzierung auf Null kann sowohl das Entschließungsermessen, ob ein Verwaltungszwangsverfahren durchzuführen ist, als auch das Auswahlermessen, in welcher Weise zu vollstrecken ist, betreffen.
Sollten jedoch spezialgesetzliche Vorschriften die Durchsetzung eines Verwaltungsaktes zwingend anordnen, muss die Behörde das Verwaltungszwangsverfahren durchführen. Das ist z.B. gemäß § 5 des EG-Verbraucherschutzdurchsetzungsgesetzes, § 30 Abs. 2 des Infektionsschutzgesetzes, § 41 Abs. 3, 4 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches, § 16a des Tierschutzgesetzes, § 2 Abs. 1 S. 1 des Katzen- und Hundefell-Einfuhr-Verbotsgesetzes, § 3 des Luftsicherheitsgesetzes, § 15 Abs. 4 des Versammlungsgesetzes, § 34a des Asylgesetzes und § 58 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes der Fall. Diese gesetzlich vorgeschriebene Handlungspflicht ergibt sich aus dem Legalitätsprinzip.
Zwischen den reinen Ermessensvorschriften, nach denen die Vollstreckungsbehörde einen Verwaltungsakt durchsetzen kann, und den gebundenen Vorschriften, nach denen die Vollstreckungsbehörde einen Verwaltungsakt durchsetzen muss, liegen die sog. Soll-Vorschriften. Ein Beispiel bildet § 57 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes. Hiernach soll ein Ausländer, der in Verbindung mit der unerlaubten Einreise über eine Außengrenze aufgegriffen wird, zurückgeschoben werden. Derartige „Soll-Vorschriften“ verpflichten die Behörde im Regelfall, das Gesollte zu tun, lassen ihr in besonders gelagerten Ausnahmefällen (atypische Fällen) aber die Möglichkeit, von der Norm abzugehen. (Zu den „Soll-Vorschriften“ siehe im Einzelnen die Kommentierungen zu § 40 VwVfG.)
Sofern der Verwaltungszwang die Wohnung des Verantwortlichen erfasst, ist auf Art. 13 Abs. 7 GG hinzuweisen; dort heißt es u.a.: „Eingriffe und Beschränkungen dürfen im Übrigen nur zur (...) Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere (...) zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.“ Hierbei handelt es sich nicht um Durchsuchungen. Der Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG gilt also nicht.
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung steht nach dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts erforderlichen Vollstreckungsmaßnahmen nicht entgegen (U 15.12.1983 – 1 BvR 209/83, BVerfGE 65, 1, 43, 44, 70, 71 = EuGRZ 1983, 577, 596 = NJW 1984, 419, 428 = DVBl. 1984, 128, 136). Im Bereich der Gefahrenabwehr muss es hier Ausnahmen geben (Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Rn. 179). Das gilt zum Beispiel bei Fahruntauglichkeit eines Kraftfahrers (BVerwG U 15.4.1988