Handbuch Wirtschaftsprüfungsexamen. Christoph Hillebrand
Folge dieser Obliegenheitsverletzung unter Kaufleuten ein Gewährleistungsverlust eintritt, § 377 Abs. 2 HGB: „gilt die Ware als genehmigt“).[58]
Gefahrübergang meint also die Preisgefahr. Die Risikoabgrenzung des § 446 ist jedoch nicht in allen Fällen interessengerecht. Sie passt regelmäßig für Hol- und Bringschulden (vgl. § 269 Abs. 1). Gerade im Hinblick auf das Transportrisiko im Zusammenhang mit der Übergabe kann auch ein sog. Distanzkauf (Schickschulden) vereinbart werden, wonach der Verkäufer die Versendung an den Wohnsitz des Käufers auf dessen Verlangen hin schuldet, die Lieferung aber nicht auf seine Gefahr erfolgen soll. Wurde eine solche Vereinbarung getroffen, spricht § 447 Abs. 1 vom Versendungskauf und lässt die Gefahr bereits mit Übergabe an die Transportperson (Spediteur gem. § 453 HGB, Frachtführer gem. § 407 HGB etc.) und damit bereits vor Übergabe an den Käufer übergehen.[59] Distanz- bzw. Versendungskauf beruht deshalb auf einer Risikoklausel. Ob eine solche gewollt ist, unterliegt der Vertragsauslegung.
Kein Versendungskauf, sondern Bringschuld liegt vor, wenn auch die Montage beim Kunden geschuldet wird, die z.B. durch die Möbelspedition miterledigt wird; anderes kann auch nicht durch AGB vereinbart werden.[60] Im Handelsverkehr verwandte Klauseln wie „ab Lager“, „ab Werk“ oder „frei Haus“ etc. sind meist keine Risikoklauseln, sondern bloße Spesenklauseln, welche nur die Tragung der Transportkosten, nicht des Transportrisikos regeln. Beides darf nicht verwechselt werden (vgl. § 269 Abs. 3). Im E-Commerce wie im gesamten Versandhandel ist es typischerweise Aufgabe des Verkäufers, die Versendung der Kaufsache – auf eigene oder fremde Kosten – zu veranlassen, es handelt sich deshalb regelmäßig um einen Versendungskauf. Es kann dahinstehen, ob Käufern optional die Abholung der Ware ermöglicht wird, die Bestellung des Käufers enthält ggf. die schlüssige Erklärung, dass die Kaufsache ihm geliefert werden solle. Gem. § 447 trägt damit der Käufer das Versandrisiko; wichtige Ausnahme[61] ist der Verbrauchsgüterkauf, bei dem § 447 durch § 475 Abs. 2 für den Normalfall ausgeschlossen ist, also trotz Versendungskaufs der Verkäufer das Versandrisiko trägt.
Beim Versandhandel liegt infolge der AGB bisweilen auch Kauf auf Probe vor (vgl. § 454), so dass Gefahrübergang dann sowieso erst mit Billigung eintritt (vgl. § 455).[62]
Beispiel:
Wird eine Warensendung bei hilfsbereiten Nachbarn des Empfängers abgegeben, fällt deren Unachtsamkeit in das Versandrisiko. Trägt dieses beim Versendungskauf wegen § 447 der Käufer, muss er unter allem Umständen den Kaufpreis bezahlen (vgl. § 326 Abs. 1, Abs. 2) und kann Zug um Zug Abtretung von schuldrechtlichen und deliktischen Ansprüchen des Verkäufers gegen den Transporteur bzw. die Nachbarn (!) verlangen (Paketannahme begründet ein Auftragsverhältnis zwischen Paketdienst und Nachbar, § 662, mit Haftung gegenüber dem Auftraggeber, also Paketdienst, nach § 280 Abs. 1), vgl. §§ 320 Abs. 1, 285 (Fall der Drittschadensliquidation). Der Erwerber ist meist nämlich noch nicht Eigentümer (obwohl der Verkäufer bereits erfüllt hat, § 447). Die Übergabe der Kaufsache an die Transportperson, geschweige denn an die Nachbarn, ist unabhängig von der Anwendbarkeit von § 446 (bei Beförderungspflicht des Verkäufers) oder § 447 (bei Distanzkauf und Beförderung auf Verlangen des Kunden) im Regelfall nicht dergestalt als Besitzkonstitut vereinbart, dass der Verkäufer den Eigentumsübergang auf den Käufer nach §§ 929 S. 1, 930 herbeiführen dürfte; geschuldet wird Übereignung nach § 929 S. 1. – Eine andere Vereinbarung ist im Kaufvertrag denkbar, etwa wenn der Käufer bereits vor Ort bezahlt hätte; danach wäre der Erwerber dann bereits Eigentümer, obwohl der Verkäufer ggf. nach § 946 während eines von ihm noch geschuldeten Transports weiterhin die Preisgefahr trüge (Transportschäden blieben – deshalb – nach § 434 Abs. 1 S. 1 der Mängelgewährleistung unterstellt).
Bei einem Versendungskauf nach bereits erfolgter Übereignung fielen Erfüllung und Übergang der Preisgefahr zusammen, wodurch die Drittschadensliquidation in dieser Fallgestaltung z.T. entbehrlich würde, weil der Erwerber zumindest eigene Deliktsansprüche wegen Eigentumsverletzung gegen den Transporteuer bzw. die hilfsbereiten Nachbarn(!) geltend machen könnte.
13. Besonderheiten beim Verbrauchsgüterkauf
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Zugunsten des Käufers greifen, sofern er Verbraucher (vgl. § 13) ist und ein Verbrauchsgüterkauf (vgl. § 474 Abs. 1) vorliegt, insoweit zwei Besonderheiten. Danach ist die Verlagerung des Transportrisikos beim Versendungskauf auf ihn unzulässig (vgl. § 475 Abs. 2, wonach § 447 im Normalfall nicht anzuwenden ist). Zum anderen erfährt der Verbraucher eine Beweislastumkehr dahin, dass beim Auftreten eines Sachmangels innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang widerleglich vermutet wird, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war (vgl. § 477). Ist also nicht erweislich, ob die Ursache eines Sachmangels bereits bei Gefahrübergang gesetzt war, so geht diese sog. Beweisfälligkeit des Käufers entgegen den allgemeinen Vorschriften beim Verbrauchsgüterkauf nicht zu Lasten seiner Gewährleistungsrechte.
Nach § 478 Abs. 1, Abs. 3 gilt das Recht des Verbrauchsgüterkaufs bei neuhergestellten Sachen auch in der gesamten vorangegangenen Lieferkette vom Hersteller bis zum Letztverkäufer und verdrängt die dort sonst regelmäßig geltenden Vorschriften des Handelskaufs (Regresskette); insb. setzt sich auch dort die Beweislastumkehr des § 477 fort. Für Nacherfüllungs- und alle Gewährleistungsrechte seines Käufers kann der Verkäufer bei seinem Lieferanten ohne Fristsetzungen Regress nehmen; § 445a. Für die Verjährungsfristen der §§ 438, 476 Abs. 2 gelten nach § 445b Abs. 2, 3 Ablaufhemmungen in der gesamten Lieferkette. Allerdings bleiben die Rügeobliegenheiten des § 377 HGB in der Lieferkette bestehen (§ 478 Abs. 4).[63]
14. Haftung für Rechtsmängel
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Parallel zu Sachmängeln gestaltet sich die Gewährleistung für Rechtsmängel. Solange der Gegenstand nicht frei von fremden Rechten verschafft ist, ist nicht erfüllt (vgl. §§ 435 S. 1, 433 Abs. 1 S. 2). Die primäre Erfüllungspflicht ist also noch offen, solange keine Lastenfreiheit besteht.[64] Hat der Käufer die Kaufsache angenommen, richtet sich sein Erfüllungsanspruch nach §§ 437 ff. Neben dinglichen Lasten können Rechtsmängel auch etwa dem Käufer gegenüber wirkende schuldrechtliche Ansprüche (etwa zu übernehmende Mietverhältnisse, vgl. § 566 Abs. 1, und bestimmte Einreden Dritter, vgl. § 986 Abs. 2) sein.
15. Rechte des Käufers bei Mängeln
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Parallel zur vorausgegangenen Bestimmung der vertraglichen Haupt- und Nebenleistungspflichten anhand des Äquivalenzinteresses gibt das Ausbleiben dessen, was zuvor das Forderungsrecht aus dem Schuldverhältnis war, nun die Gewährleistungsrechte als sekundäre Rechtsbehelfe (das Nacherfüllungsverlangen ist kein nachrangiger Rechtsbehelf, sondern die Fortsetzung der ursprünglichen Erfüllungsklage). Als besonderes Gewährleistungsrecht des Käufers existiert lediglich noch seine Befugnis zur Herabsetzung des Kaufpreises (Minderung gem. § 441). Ansonsten hat der Käufer die allgemeinen Leistungsstörungsrechte, deren Geltendmachung an die Interessenlage beim Kaufvertrag lediglich angepasst wird. Es sind dies die Rückgängigmachung des Kaufvertrags (Rücktritt, § 437 Nr. 2), und bei Verschulden des Verkäufers (vgl. § 280 Abs. 1 S. 2 als negatives Tatbestandsmerkmal) statt Rücktritt und Minderung Schadensersatz, § 437 Nr. 3.
Die Systematik der Rechtsbehelfe schützt das Äquivalenzinteresse der Parteien aus dem Kaufvertrag. Mit einer mangelhaften Leistung kann der Verkäufer seine Leistungspflichten zunächst einmal nicht erfüllen. Wie bereits festgestellt, bleibt dem Käufer die ursprüngliche Erfüllungsklage erhalten (§§ 437 Nr. 1, 439: Nacherfüllungsverlangen). Lediglich im Falle der Unmöglichkeit der Nacherfüllung bedarf es dieses Verweises nicht, weil eine darauf gerichtete Nachfristsetzung als sinnlos von vornherein nicht verlangt wird. Das ist der Unterschied in den Verweis in § 437 Nr. 2 (Rücktritt/Minderung)