Handbuch Wirtschaftsprüfungsexamen. Christoph Hillebrand
von Sachen, Rechten und sonstigen Immaterialgütern als Wirtschaftseinheit. Ein Mangel besteht danach jedenfalls, soweit eine mehr als nur unerhebliche Wertminderung vorliegt, die eine Erschütterung der wirtschaftlichen Grundlagen des Unternehmens bedeutet.
Eine weitere beachtliche Einschränkung gilt zumindest für das Rücktrittsrecht gem. § 323 Abs. 5 S. 2, während der Nacherfüllungsanspruch nach §§ 437 Nr. 1, 439 ebenso wie der Schadensersatzanspruch nach §§ 437 Nr. 3, 281 bzw. 280 keine Schwelle einer Unbeachtlichkeit kennen (soweit § 439 Abs. 4 die Nacherfüllung wegen Unverhältnismäßigkeit ausschließt, bliebe der Verkäufer indes nicht von seiner Gewährleistung frei, sondern haftete unmittelbar (§ 440) auf die Käuferrechte der Minderung, des Rücktritts oder Schadensersatzes).
Besondere Probleme werfen in der Praxis ausbleibende Gewinne des erworbenen Unternehmens auf. Soweit bestimmte Ertragsgrößen nicht garantiert sind, gehen die Parteien im Zweifel auf Grundlage der Jahresabschlüsse der Vorjahre prognostisch von einer linearen Entwicklung aus. Soweit sich dies nicht erfüllt, mag das aus Umständen resultieren, die erst nach dem Gefahrübergang begründet wurden. Die Ertragskraft des Unternehmens war dann zumindest im Zeitpunkt des Closing (Übertragungsstichtag der Anteile) wohl noch vorhanden. Ein Rechtsmangel liegt dagegen vor, wenn die innerbetrieblichen oder betriebsbezogenen Grundlagen der Prognose falsch waren, etwa die Jahresabschlüsse unzutreffend aufgestellt, tatsächlich nicht vorhandenes Anlage- oder Umlaufvermögen vorgetäuscht wurde oder für den Verkäufer absehbar war, dass bestimmte Umsatzträger künftig wegfallen würden und dies in Planungsrechnungen nicht angemessen berücksichtigt worden war; nur insoweit wäre Raum für Nacherfüllung bzw. Gewährleistung. Soweit Ertragseinbußen auf Schäden an Einzelgegenständen zurückzuführen sind und diese bereits vor der Übertragung der Anteile eingetreten waren, lag bei Gefahrübergang ein relevanter Mangel dann vor, weil diese für das Unternehmen als Wirtschaftseinheit für die Ertragsaussichten Bedeutung haben.[94]
d) Vertragsgestaltung
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Es bestehen danach eine unklare Rechtslage bei einem Anteilserwerb unter 100 % und Interpretationsspielräume hinsichtlich Share wie Asset Deal bezüglich des Mangelbegriffs, der ein „Durchschlagen“ auf das Gesamtunternehmen voraussetzt. Überdies wirken sich Bilanzierungswahlrechte und Einschätzungsspielräume auf die Bewertungsgrundlagen für die künftige Ertragskraft des Unternehmens aus. Hierbei ist es Aufgabe der Vertragsgestaltung, den Parteiwillen zum Ausdruck zu bringen (insb. z.B. im Hinblick auf sog. earn-out-Klauseln). Dies erfolgt (etwa auch im Hinblick auf § 442) durch umfassende und detailliert zu dokumentierende Informationen vor Kaufabschluss (sog. Due Diligence) sowie durch umfassende Garantien und Haftungsausschlüsse (sog. Disclosures, Caps und De-minimis Regelungen) im Unternehmenskaufvertrag.[95]
e) Haftung bei Firmenfortführung (§ 25 HGB)
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Hat sich der Erwerber eines Handelsgeschäftes dazu entschlossen, das Unternehmen unter der bisherigen Firma fortzuführen, dann muss er haftungsrechtliche Vorschriften berücksichtigen, die in den §§ 25 bis 27 HGB eine grundsätzlich umfassende Haftung des Firmenfortführers für alle im Betrieb des Geschäfts begründeten Schulden des früheren Inhabers (Rechtsträgers) vorsehen. Der Erwerber kann also für Verbindlichkeiten in Anspruch genommen werden, die weit vor dem Rechtsträgerwechsel begründet wurden und von deren Existenz der Erwerber/Erbe möglicherweise keine Kenntnis hat (die also insb. nicht im Kaufpreis berücksichtigt und „übernommen“ wurden).
§ 25 Abs. 1 S. 1 HGB erlegt eine (Mit-) Haftung des Erwerbers auf, sofern es sich um ein vollkaufmännisches (oder ein gem. §§ 2 ff. HGB eingetragenes minderkaufmännisches) Handelsgeschäft handelt, wobei es allein darauf ankommt, dass tatsächlich ein Wechsel des Unternehmensträgers stattgefunden hat. Lediglich bei einem Erwerb direkt vom Insolvenzverwalter ist § 25 Abs. 1 HGB nicht anwendbar, da andernfalls ein Unternehmen in der Insolvenz nicht veräußert werden könnte. Eine den Haftungstatbestand auslösende Fortführung des Handelsgeschäfts unter der bisherigen Firma durch den Erwerber liegt schon dann vor, wenn er das Handelsgeschäft im wesentlichen Bestand oder seinem Kern fortführt; auch die Fortführung der bisherigen Firma verlangt keine buchstabengetreue Übernahme, sondern es genügt die Fortführung im Kern.
Aufgrund der Tatbestandsmerkmale ist deutlich, dass die Haftung grundsätzlich den Erwerb eines Unternehmens durch Asset-deal betrifft. (Wird eine Gesellschaft durch Share-deal erworben, bleibt diese selbst Rechtsträger des Unternehmens; ein neu eintretender Gesellschafter haftet ggf. gem. §§ 128, 130 HGB für Altschulden der Gesellschaft.)
§ 25 Abs. 1 S. 1 HGB begründet einen gesetzlichen Schuldbeitritt, so dass der Erwerber – neben dem früheren Inhaber, dessen rechtsgeschäftliche Schuld dann aber wegen seines Ausscheidens auf fünf Jahre begrenzt wird (vgl. § 26 Abs. 1 HGB) – für alle im Betrieb begründeten Altverbindlichkeiten haftet (nicht für private Schulden des früheren Inhabers). Die Haftung gem. § 25 Abs. 1 S. 1 HGB kann durch Eintragung eines Haftungsausschlusses im Handelsregister ausgeschlossen werden (§ 25 Abs. 2 HGB).
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Nach § 25 Abs. 1 S. 2 HGB gelten umgekehrt Forderungen den Schuldnern des Unternehmens gegenüber als auf den Erwerber übergegangen, wenn der Erwerber das Handelsgeschäft – für S. 2 aber zwingend – mit Einwilligung des bisherigen Inhabers unter der bisherigen Firma mit oder ohne Anführung eines Nachfolgezusatzes fortführt.
§ 25 Abs. 1 S. 2 HGB ist eine Schuldnerschutznorm, die an die Unternehmenskontinuität nach außen anknüpft; sie führt nur zum Freiwerden des eigentlich an einen Nicht-Gläubiger leistenden Schuldners (Gläubiger ist und bleibt der frühere Rechtsträger, sofern die Forderung nicht abgetreten wurde). § 25 Abs. 1 S. 2 HGB führt nicht etwa zu einem (gesetzlichen) Forderungsübergang und gibt dem neuen Inhaber daher kein Forderungsrecht.
Der interne Ausgleich zwischen Veräußerer und Erwerber muss anhand des Unternehmenskaufvertrages erfolgen; schweigt dieser, bleibt § 816 Abs. 2 BGB (Leistung an einen Nichtberechtigten, die – wegen § 25 Abs. 1 S. 2 HGB – dem Berechtigten gegenüber wirksam ist).
7. Factoring und Forfaitierung
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Geschäftsmodelle des Forderungs-(ver-)kaufs sind Factoring und Forfaitierung, die diesen bankentypischen Dienstleistungs- und Kreditelementen verbinden. Der Factor, meist ein Kreditinstitut, nimmt Forderungen seines Kunden herein und schreibt ihm den Gegenwert abzüglich eines Disagios (Abschlags) sofort gut. Es handelt sich aus Bankensicht um ein Diskontgeschäft, das dem Kunden Liquidität verschafft (Finanzierungsfunktion) und ihn der Mühen des Forderungseinzugs enthebt (Dienstleistungsfunktion). Ähnlich kauft ein Forfaiteur Forderungen aus einem (meist internationalen) Liefergeschäft auf (bzw. die über die Forderung ausgestellten Wertpapiere) und wickelt den Forderungseinzug ab. Beim Factoring werden die gattungsmäßig bestimmten Forderungen (bei der Fortaitierung nur bereits entstandene Forderungen als Speziesschuld) auf den Forderungskäufer übertragen (Gegenstand im WP-Examen 2017/II).[96]
Beim echten Factoring übernimmt die Factor-Bank auch das Risiko des Forderungsausfalls (Delkrederefunktion). Es liegt dann Rechtskauf vor, bei dem der Factor-Kunde nur für Verität (den Bestand), nicht aber Bonität der Forderung haftet. Ebenso bei der echten Forfaitierung. Der „echte“ Factoringvertrag ist ein Forderungskaufvertrag, bei dem sich der Verkäufer gem. §§ 453 Abs. 1, 433 Abs. 1 verpflichtet, dem Factor die verkaufte Forderung (durch Abtretung) zu verschaffen. Für die Bonität haftet der Verkäufer nicht, da diese weder einen Sach- noch Rechtsmangel der Forderung darstellt. Dies unterscheidet das „echte“ Factoring vom „unechten“ Factoring, bei dem der Zedent das Ausfallrisiko wegen fehlender Bonität des Schuldners übernimmt. Der vom Factor für die Forderung gezahlte Betrag steht