Handbuch Wirtschaftsprüfungsexamen. Christoph Hillebrand
Obhut und Verwahrung gehen über bloße Bewachung hinaus. Schließfachmiete bei einer Bank ist keine Verwahrung, ebensowenig das Einstellen eines Pkw auf einen bewachten Parkplatz; in diesen Fällen ist die Bewachung, so sie denn überhaupt geschuldet wird, dienst- oder werkvertragliches Element eines gemischten Vertrags, der wesentlich Miete ist. Die Aufbewahrung von Sachen i.S.e. Verwahrungsverhältnisses kann auch Nebenleistung in einem Schuldverhältnis sein, so etwa im Rahmen der als Mietverhältnis einzuordnenden Benutzung eines öffentlichen Schwimmbades. Gleiches gilt auch bei Dienst- oder Werkverträgen, wenn dort Besucher gezwungen werden, ihre Garderobe so abzulegen, dass sie diese nicht selbst im Blick behalten können (Gaststätten, Theater, Bibliotheken etc.). Verwahrung als Nebenleistung entsteht auch hinsichtlich der überlassenen Einlagen beim Geschäftsbesorgungsvertrag einer Bank oder des überlassenen Stoffes beim Werklieferungsvertrag.
1. Entgeltliche und unentgeltliche Verwahrung
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Die Grundfigur des Verwahrungsverhältnisses in den §§ 688 ff. ist doppelt ausgebildet, nämlich als entgeltlicher und damit gegenseitiger Vertrag mit dann normaler Sorgfaltshaftung entsprechend § 276; andererseits auch als unentgeltliche Verwahrung mit entsprechend gemilderter Haftung (vgl. § 690). Zur Abgrenzung stellt § 689 eine den §§ 612, 632 vergleichbare Regel auf.
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Entgeltliche Verwahrung ist etwa das handelsrechtliche Lagergeschäft (§§ 467–475h HGB).
Zur entgeltlichen Verwahrung gehören auch die meisten Verwahrungsverhältnisse als Nebenleistungen, bei denen die Verwahrung zwar nicht speziell entgolten wird, aber in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einem entgeltlichen Vertrag steht, so in Gaststätten oder Theatern etwa bei Benutzungszwang von Garderoben, die für den Nutzer während seines Aufenthalts nicht einsehbar sind; bloßes Bereithalten einer Ablagemöglichkeit bedeutet jedoch nicht, Obhut über die abgelegten Sachen übernehmen zu wollen.
Unentgeltliche Verwahrung ist abzugrenzen zum Gefälligkeitsverhältnis, so etwa bei nachbarlicher Erlaubnis zum Abstellen von Gegenständen im fremden Kellerraum, wobei gerade dieses Beispiel für die Existenz von Nebenpflichten auch außerhalb vertraglicher Bindungen spricht, etwa hinsichtlich eines notwendigen Zusperrens der Kellertüre, das ansonsten im Belieben des Eigentümers steht. Dagegen liegt bei Zwang zur Garderobenbenutzung in Gaststätte oder Museum und fehlender Einsehbarkeit für den Gast während des Aufenthalts Verwahrung vor und nicht Gefälligkeit.
2. Fürsorgepflichten, Substitution
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Die Obhut der Verwahrung erzeugt sachliche Fürsorgepflichten, die jedoch keine treugebundene Geschäftsbesorgung sind, wenngleich der Verwahrer verpflichtet sein kann, freie Entscheidungen in Bezug auf die Ordnungsgemäßheit der Aufbewahrung zu treffen (vgl. etwa §§ 691, 692 und den Anspruch auf Ersatz für solche Aufwendungen, § 693). Solche Nebenpflichten folgen lediglich aus der Gefahrenverteilung im Verwahrungsverhältnis, wonach der zufällige Untergang des Verwahrungsguts stets den Hintermann trifft; Zufall setzt zur Abgrenzung vom Verschulden aber die Definition von Pflichten voraus (vgl. § 276 Abs. 2).
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§ 691 S. 1 und 2 (Hinterlegung bei Dritten) entspricht der Substitution beim Auftrag nach § 664 Abs. 1 S. 1 und 2, Rechte und Haftung sind deshalb hier wie dort parallel – bei zugelassener Substitution haftet der Verwahrer nur für Auswahlverschulden, nicht aber für den Substituten, bei unzulässiger Substitution haftet er hingegen sogar für Zufall (anders bei gewerblicher Lagerung, bei der für das Verschulden des Dritten als Erfüllungsgehilfe auch bei zugelassener Dritteinlagerung gehaftet wird, vgl. §§ 472 Abs. 2, 475 S. 2 HGB). S. zur Bedeutung dieses Unterschieds für die Drittschadensliquidation (sog. Obhutsfälle) sogleich.
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Umgekehrt haftet der Hinterleger wegen Verletzung seiner besonderen Fürsorgepflicht, wenn von der hinterlegten Sache eine unerkennbare Gefahr für den Verwahrer ausgeht, vor der er ihn hätte warnen müssen (vgl. § 694).
3. Haftung
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Der Verwahrer haftet nach den §§ 280 ff., 823 sowohl für die Beschädigung der Sache als auch für – schuldhafte – Unmöglichkeit der Rückgabe (die eigentliche Sach- und Bestandsgefahr bleibt beim Hinterleger). Es gilt die Umkehr der Beweislast nach § 280 Abs. 1 S. 2; für die Erfüllungsgehilfen haftet der Verwahrer über § 278. Grundsätzlich hat der Verwahrer das Verwahrungsgut vor schädigenden Einflüssen zu bewahren und im Schadensfall auch die Rettung zu versuchen, soweit dies angemessen ist.
Bei der unentgeltlichen Verwahrung (vgl. § 690) haftet der Verwahrer insoweit nur für die Anwendung eigenüblicher Sorgfalt. Ihn trifft dann auch kein Vorwurf daraus, dass er eigenes, auch wertloses Gut bei Rettungsbemühungen dem Verwahrungsgut vorzieht.
4. Verwahrung als Dauerschuldverhältnis
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Der Verwahrungsvertrag hat Dauerschuldcharakter. Deshalb entspricht es der Interessenlage, dass der Hinterleger die verwahrte Sache jederzeit zurückfordern kann, auch wenn für die Verwahrung eine feste Verwahrungszeit bestimmt war (vgl. § 695). Umgekehrt kann der Verwahrer jederzeitige Rücknahme verlangen, bei vereinbarter fester Verwahrungszeit jedenfalls unter der Voraussetzung des wichtigen Grundes (vgl. § 696). Die Rückgabe ist nach § 697 Holschuld.
§ 2 Vertragsordnung des Bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts › F. Aufnahmeverhältnisse › II. Sonderformen des Verwahrungsgeschäfts
1. Hinterlegungsdarlehen
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Praktisch wichtige Sonderform der Verwahrung ist die sog. unregelmäßige Verwahrung (§ 700), etwa hinsichtlich der Guthaben auf dem normalen „Bankkonto“. Ein solcher Verwahrer erhält die hinterlegte Sache nicht zur Obhut, sondern zu Eigentum und schuldet die Rückgewähr von Sachen gleicher Art, Güte und Menge als Nebenleistungspflicht. Diese Form setzt deshalb als Gegenstand zwingend vertretbare Sachen (vgl. § 91) voraus, ist umgekehrt aber auch erforderlich, weil solche (z.B. Bargeld) aufgrund der §§ 946 f. regelmäßig von Gesetzes wegen in das (Mit-)Eigentum des Empfängers übergehen, der sie nur so (in seiner Kasse etwa) sinnvoll verwahren kann und insb. darf. Die Nähe zur Verwahrung ergibt sich daraus, dass die Rückgabe jederzeit verlangt werden kann (§§ 700 Abs. 1 S. 3, 695 bzw. 697); im Übrigen soll nach § 700 Abs. 1 S. 1 Darlehensrecht gelten (eben mit Ausnahme der dort der Rückgewähr notwendig vorausgehenden Kündigung, vgl. §§ 488 Abs. 3, 608 Abs. 1).
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Der Kündigungsverzicht ist entgegen der Formulierung in § 700 Abs. 1 S. 3 nicht eigentlich Rechtsfolge der Abgrenzung zum Darlehen, sondern Ausdruck der Interessenlage bei der irregulären Verwahrung; der Empfänger darf mit der Einlage wirtschaften, kann aber nicht wirklich mit ihr disponieren. Maßgeblich sind deshalb die Parteiinteressen und die beiderseitige Vorstellung über eine jederzeitige Verfügbarkeit. Soll der Empfänger mit der eingelegten Sache disponieren können und wird deshalb eine Rückzahlung an eine Kündigungsfrist gebunden oder für bestimmte Zeit ausgeschlossen (z.B. als Festgeldanlage für eine bestimmte Laufzeit), liegt nicht unregelmäßige Verwahrung, sondern Darlehen vor. Die nach § 695 unbeachtliche Bestimmung einer Verwahrungsdauer widerspricht dem nicht, sondern dient nur dem Interesse des Hinterlegers, bis dahin mit sicherer Verwahrung rechnen zu dürfen, aber